Ich legte die Hand an das Ende der Schaufel und rammte das rostige, stumpfe Blatt in den Boden. Als sie auftraf, brach ein Stück des kaputten Stiels ab. Ein langer Splitter bohrte sich in meine Hand.
»Scheiße!« Ich presste die Wunde gegen den Mund. Der zweite Bastard lachte. Ich lutschte den salzigen Geschmack von Schweiß und Blut zusammen mit einem fünf Zentimeter langen Splitter Hickory heraus. Das Holzstück war schon vor meine Geburt tot und Teil des Schaufelgriffs gewesen.
»Sigue cavando« , sagte der Typ, der mir am nächsten stand. Er lachte nicht. Die beiden anderen schaufelnden Männern erledigten ihre Aufgabe sehr langsam. Sich Zeit zu lassen, war eine Form des Widerstands. Die Hoffnung auf eine kleine Verschnaufpause und vielleicht eine Fluchtmöglichkeit.
Sie bekamen nicht die Chance dazu.
Wieder bohrte ich die Spitze der Schaufel in den Boden meines Grabes. Sie drang nicht mehr als einige Zentimeter in den harten Grund. Ich ließ den Griff los und zog einen weiteren Splitter aus der Handfläche. Die alte Schaufel kippte um. Ich hob sie auf und stach verärgert erneut in die Erde. Das Ergebnis war dasselbe. Ich ließ Verzweiflung, Wut und Schmerz an dem verrosteten Werkzeug aus, rammte es wieder und wieder in den Boden und schrie: »Leck mich am Arsch, du beschissenes, stumpfes Dreckstück.« Dann trat ich dagegen und wirbelte eine Wolke Staub und Erde auf. Die Schaufel fügte sich leichter in ihr Schicksal als ich. Sie flog ein Stück und blieb liegen, zeigte dabei mit meinem Blut auf irgendeinen Punkt zwischen Venus und dem Horizont. Alle sahen mich an, selbst die anderen Grabenden. »Ihr könnt mich auch mal!«, schrie ich sie an, Schaufelnde und Killer zugleich. Ich trat aus dem flachen Loch.
Der eine Scherzkeks hielt seine Waffe auf die anderen beiden Männer gerichtet, die ebenfalls aufgehört hatten, zu graben. Der Kerl, der näher bei mir stand, der Ernste, zielte auf meine Brust. Er sagte kein Wort. Das musste er auch nicht. Wir verstanden beide, was Sache war.
Und etwas anderes wurde mir ebenfalls klar. Sollte er sich bereit erklären, das Loch zu graben, wäre ich schon tot.
Ein Schritt nach hinten und ich drehte mich von ihm weg. Ein weiterer Schritt und ich war am Rande des Lichtscheins der abgeblendeten Scheinwerfer des Chevy. Die Mündung der Pistole, Kaliber .40, war noch warm vom tödlichen Schuss auf den weinenden Mann, als sie gegen meine Schädelbasis gedrückt wurde.
»Deine Schaufel wartet, mein Freund«, sagte der ernsthafte Mann. Seine Stimme war eine Mischung aus Honig und Kieselsteinen. »Komm schon. Nicht trödeln, bringʼs hinter dich. Dann kannst du dich ausruhen.«
Ich öffnete langsam und bedächtig den Hosenschlitz. Meine Blase fühlte sich zum Platzen voll an, bevor der Strahl kam. Alles wirkt lauter, wenn man dem Tode nahe ist. Als die Pisse sich in den Staub Mexikos ergoss, klang es, als würde ein Pferd einen trockenen Eimer füllen. Hinter mir lachten die Killer. Ihre überraschte Heiterkeit hörte sich an wie Krähen, die von einem frischen Kadaver empor flatterten. Ich musste erbärmlich oder dämlich gewirkt haben – oder beides zugleich –, weil ich mir lieber das Hirn wegpusten ließ, als in mein eigenes Grab zu pinkeln.
Der Lauf der Pistole löste sich von meinem Kopf und ich drehte mich um.
Als er merkte, dass ich immer noch pisste, vollführte mein Möchtegernmörder einen ulkigen kleinen Rückwärtstanz. Er richtete die Waffe auf den Boden. Seine Augen folgten dem Strahl, da er nicht vollgepisst werden wollte. Er scheiterte. Als mein Urin sein Bein traf, sprang er höher. Sein lachender Kumpel machte sich fast nass vor Gekicher. Ich hob eine Hand und schubste ihn.
Ich hatte nicht über diesen letzten Akt des Widerstandes hinausgeplant. Als ich ihn schubste, war es nicht besonders fest. Ich wollte nur, dass er zu Boden ging und am eigenen Leib spürte, was er anderen antat, bevor ich starb. Es fühlte sich gut an. Sogar noch besser, als er weiter rückwärts stolperte, die Knarre nach oben riss und in den Himmel feuerte. Als die Waffe losging, verschluckte sich der zweite Kerl fast an seinem Lachen und erschoss die Männer vor sich. Die beiden Totengräber stürzten zu Boden wie Marionetten, denen Gott die Fäden gekappt hat, während sich das schartige Ende meines Schaufelstiels dem Mann durch die Brust bohrte, den ich angepisst hatte.
Menschen, die nie wirkliche Gewalt erlebt haben, fragen sich oft, was einem durch den Kopf geht, wenn die Lage eskaliert und die kalte Nacht von glühenden, winzigen, stahlummantelten Kometen durchstreift wird. Wenn man Glück hat und Erfahrung mit so etwas, geht einem gar nichts durch den Kopf. Man reagiert einfach. Man bewegt sich.
Und das tat ich.
Der Ernste war tot. Die anderen beiden Schaufler waren tot. Der Grinsekeks richtete die Waffe auf mich und ich duckte mich zur Seite weg, verringerte den Abstand. Er schoss vorbei und dann schlug der Schlagbolzen des Revolvers auf eine leere Kammer. Fünf hatte er für die Männer in den Gräbern verbraucht und mich mit der letzten verfehlt.
Ich rannte erneut durch mein eigenes Grab und auf der anderen Seite wieder raus, um eine weitere Schaufel zu schnappen. Einer der Männer, die gerade umgebracht worden waren, hatte sie fallen lassen. Ich schwöre, als ich sie aufhob, spürte ich immer noch die Wärme seiner Finger am Griff. Grinsekeks hob die Hände, um das Gesicht zu schützen, als ich ausholte. Er hätte sich nicht die Mühe machen brauchen. Ich schwang tief, zielte mit dem Blatt der Schaufel auf die Kniescheibe. Seine Schreie waren so laut wie die Schüsse vorher. Eine Sekunde später war alles ruhig. Wenigstens hatte er aufgehört zu lachen.
Als ich auf das Werkzeug gelehnt dastand, plapperte er los. Zuerst: »Bitte«. Dann sagte er das Schlimmste, was er hätte sagen können: »Longview.« Mein Name. Longview Moody – ein dämlicher Name, den mir ein Idiot gegeben hatte. Ihn aus dem Mund dieses dauerkichernden Trottels zu hören, machte ihn mir noch verhasster.
»Longview«, sagte er wieder mit flehentlich erhobenen Händen.
»Was?«, entgegnete ich – nicht sicher, ob ich wissen wollte, was er meinte oder nur zur Klarstellung fragte. Ich war diesen Kerlen nahezu wortlos übergeben worden. Vielleicht hatte man ihnen gesagt, wer ich war, aber wieso? Für die war ich nicht mehr als ein Stück Fleisch, das man loswerden musste.
Er zeigte ungefähr auf seinen Schritt und sagte: »Dienstmarke.« Mit zwei Fingern griff er in die Hosentasche.
Ich nickte und lächelte. Was sollte mich das schon kümmern? Mexikanische Cops konnte man sich für einen Appel und ein Ei an der Grenze kaufen. Die wirklich korrupten gab es im Dutzend billiger. Ich ließ ihn danach greifen und dachte darüber nach, welche Enttäuschung es wohl für ihn wäre, wenn ich ihm zeigte, dass mir seine Marke scheißegal war. Wahrscheinlich war sie ihm genauso egal, bis er sich dahinter verstecken musste. Menschen wie ich – Gangster also – sind ehrlicher, als man denkt. Wir wollen, dass unsere Cops anständig sind. Scheiße, niemand mag einen Heuchler, und es gibt keine größere Heuchelei, als einen korrupten Bullen.
Grinsekeks fummelte die Marke aus der Tasche und hielt sie hoch. Es war eine goldfarbene Dienstmarke mit einem blauen »US« in der Mitte, wie ein schlechter Witz. Außen herum standen die Worte »Drug Enforcement Agency – Special Agent. DEA« – der hielt mir eine DEA-Marke unter die Nase.
Ich drehte mich um, spuckte auf den staubigen Boden und wartete, was wohl als Nächstes käme. Es war mühsam, zu atmen, und mir grummelte der Magen. Was sollte ich tun? Was wollte ich tun? Der Kerl hätte mich mit einem Lächeln kaltgemacht. Ich konnte ihn genauso gut hier zum Sterben in der Wüste zurücklassen, aber so grausam bin ich nicht.
Ich bin viel schlimmer.
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