TOILETTENPAPIER Eine Zeitlang gab es keins, damit die Bevölkerung mehr Zeitungen kauft. Aber das ist nicht der Punkt, auf den es ankommt. Gab es welches, dann das Grobkrepp mit Sandpapierfühlung. Der Witz, damit wäre bezweckt, noch mehr gerötete Hinterteile zu erzeugen, erlangte traurige Berühmtheit. Was fehlte, war der heute als selbstverständlich angesehene Kern der Papprolle, um den das Klopapier herum aufgewickelt ist. Der ist auch völlig überflüssig. Die Beschränkung aufs Wesentliche zeigte sich ebenso im Fehlen der Perforation, an der man einzelne Blätter abreißt. Als ob man es nötig hätte, vorgeschrieben zu kriegen, und sei es auch nur in Form einer Hilfe, wo man das Klopapier abreißt. Die Bevormundung des DDR-Bürgers erstreckte sich also keineswegs auf alle Lebensbereiche. Heute droht eine Spaltung der Gesellschaft in mindestens zwei Klassen hinsichtlich der Benutzung ihres Toilettenpapiers. Die Reichen können sich ökologisch recyceltes und dennoch extraweiches saugverstärktes allergiepräventives mit Erdbeerduft leisten, während die Armen mit billigem extraweichem saugverstärktem genmanipuliertem Vorlieb nehmen müssen, für das ganze Eukalyptuswälder abgeholzt wurden. Der Toilettenpapier-Punkt geht eindeutig an die DDR.
HAUPTSTADT HAUPTSTADT Der Vergleich der Hauptstädte ist nahe am Unentschieden. Ostberlin und Brüssel haben als Gemeinsamkeit eine verbotene Zone, die man nur unter Lebensgefahr begehen kann. Der Unterschied besteht darin, dass man, wenn man die Grenze erfolgreich überwunden hat, in Westberlin angekommen ist und sich einigermaßen sicher fühlen kann, in Brüssel jedoch eine Art Slum oder Failed State betritt. Aber das muss ja niemand. Beiden Staatswesen ist das Bestreben eigen, diesen Zustand auf andere Ortschaften zu übertragen. Jede größere Stadt hat heutzutage mindestens einen Stadtteil, der als Problembezirk bezeichnet wird, damit es sich so anhört, als wären die Probleme eingegrenzt. Die DDR schuf städtische Westteile durch Einrichtung der Intershops. Um dem Unentschieden zu entgehen, richten wir unser Augenmerk auf die Befindlichkeit der Westberliner. Sie denken mit Wehmut an die Mauer zurück, die ihnen ein Leben in Saus und Braus garantierte. In Brüssel hat niemand die Absicht, eine solche zu errichten, was ja ganz furchtbar ausgrenzend wäre. Wegen der Freude, die man in Westberlin an der Insellage hatte, gewinnt hier die DDR.
ZEITUNGEN ZEITUNGEN Eine Zeitlang kaufte man sie als Ersatz für nicht erhältliches Toilettenpapier, aber das ist nicht der Punkt, auf den es ankommt. Das Massenmedium Zeitung diente nicht der Information, sondern der Propaganda. Erfolge bei der Planerfüllung und der Besuch Erich Honeckers im Ministerium für Volksbildung bei der Ministerin für Volksbildung Margot Honecker und die Begrüßung der sowjetischen Delegation waren nicht etwa eine ausgiebige Meldung wert, sie geschahen eigens als Stoff für ausgiebige Meldungen der täglichen Zeitungen, wobei man annehmen kann, dass Besuch und Empfang wirklich stattfanden, wogegen die Erfolge in der Produktion keine Vorlage in der Realität hatten. Die DDR-Zeitungen waren demzufolge die Vorwegnahme des heute gängigen Formats der Scripted Reality . Das Sympathische war, dass sie sich keine Mühe geben mussten, die Verlogenheit auch noch überzeugend zu gestalten. Geglaubt hat den Kram sowieso keiner, man war aber überzeugt und froh, sich die Überzeugung nicht auch noch selbst vorschwindeln zu müssen. Das ist nun bei den heutigen Zeitungen ganz anders. Hier wird Propaganda betrieben auf perfide, emotional abgesicherte Art. Der Leser soll glauben, was da beschönigt und verharmlost wird. Ein hochbezahlter Experte sagt: Kein Problem. So was hätte es in der DDR nicht gegeben, da gab es keine Probleme, die ein Experte hätte leugnen müssen. Die Trennung von Meinung und Fakt wird den Journalistenschülern noch als Wert bekanntgegeben, doch schon von den sie unterrichtenden Großjournalisten missachtet, mit bestem Gewissen, weil sich die Fakten der Meinungslage in der Redaktion zu fügen haben. DDR-Journalismus hatte Klassenstandpunkt zu vertreten, den das Politbüro langwierig ermittelt hat. Die mussten das so machen, das war der Deal. Kein Leser hätte etwas anderes erwartet. Die heutigen Journalisten müssten ihren Unsinn nicht selbst glauben, wollen aber, und die Leser erst recht. Den Punkt für Zeitungen hat sich die DDR redlich verdient.
FERNSEHEN FERNSEHEN Etwas anders sieht es beim Fernsehen aus, soweit es sich nicht für journalistisch hält. Für das DDR-Fernsehen spricht eine Menge. Es unterlag, obwohl staatlich, keinem öffentlichen Verdummungsauftrag. Eine Zielgruppe war nicht bekannt, deshalb meinte man nicht, alle zu erreichen, indem man noch blöder wird. Es gab keine Casting-Shows. Die internationale Show mit ausländischen Gästen kam ohne Wetten aus, allerdings wäre auch sie von Markus Lanz runtergenudelt worden. Die Nachrichtensendung Aktuelle Kamera hatte keinen unwitzigen Satire-Ableger mit Namen Aktuelle-Kamera-Show . Nicht ganz eindeutig ist, was mit dem Schwarzen Kanal zu vergleichen wäre. Fernsehschnipsel kommentieren, das hat Stefan Raab abgeguckt. Den Titel Schwarzer Kanal hat Jan Fleischhauer auf Spiegel-Online übernommen, und den Job von Karl-Eduard von Schnitzler verübt am selben Kolumnenplatz der Verleger des Freitag . All das Schätzenswerte wird aber aus zwei Gründen vom heutigen Fernsehen übertroffen. Erstens sind die Fernseher heute größer. Zweitens wären da die Fernsehkrimis. In den DDR-Krimis waren die Polizisten immer die Guten und die Verbrecher die Bösen. Heute sind zumindest im öffentlich-rechtlichen Gremienfunk die Polizisten zwiespältig bis gangstermäßig gestrickt, was dem herrschenden Bild von der Polizei entspricht. Die Kriminalisierten haben soziale Ursachen, wenn es sich nicht gerade um Unternehmer als Täter handelt, die aber meistens gerechterweise in einer Art Notwehr einer Verzweiflungstat zum Opfer fallen, falls man da noch von Opfer sprechen kann. Unter den schwerwiegenden sozialen Aspekten geht der Fernsehpunkt an die heutige Fernsehlandschaft.
THEATER THEATER Der antifaschistische Kampf der Arbeiterklasse war der Gründungsmythos der DDR. Die Partei und ihre Zentralfunktionäre bezogen ihre Legitimität direkt daraus, gegen Hitler im Gefängnis gesessen oder in Moskau abweichende Kommunisten unschädlich gemacht zu haben. Dies schlug sich in der Kulturpolitik nieder und mittelbar sogar in der Kultur. Das Theater brauchte in Sachen Antifaschismus der Gesellschaft keine Konkurrenz zu machen. Kritik auf der Bühne an vereinzelten Erscheinungen der Verhältnisse, so was konnte vorkommen, wenn es sich nicht zu leicht weitererzählen ließ, aber man sollte doch stolz auf das Erreichte sein und die Errungenschaften nicht heruntermachen, und dazu gehörte Kleidung. So kam es, dass unter den staatlichen revolutionären Verhältnissen das Theater dem Publikum etwas vorspielen wollte. Die ersten Nackten traten Mitte der Achtziger auf die Bühne, sorgten für keinen Eklat und verschwanden wieder.
MERKEL MERKEL Angela Merkel war in der DDR Physikerin und ist jetzt Bundeskanzlerin. Ohne Frage geht der Punkt an die DDR.
KARTOFFELN KARTOFFELN Bei einem heutigen Sack Kartoffeln liegt der Kartoffelanteil bei nahezu einhundert Prozent. In der DDR lag er nach Abzug von Fäulnis und Dreck zwischen dreißig und zweiunddreißig, bei neuen Kartoffeln um die fünfzig Prozent. Die Kartoffelzüchtung wurde, wirklich, aus ideologischen Gründen vernachlässigt; man ging davon aus, dass die Kartoffeln unter sozialistischen Bedingungen aufwachsen und deshalb bestens gedeihen müssten. Die Prämisse stimmte ja auch, nur die Schlussfolgerung erwies sich als irrtümlich beziehungsweise hätte sich als irrtümlich erwiesen, wenn es Irrtümer unter sozialistischen Bedingungen hätte geben und deren Erweis beachtet werden dürfen. Aber das hätte bedeutet, dass man darüber nachdenkt, was die Kartoffeln über die sozialistischen Bedingungen aussagen. Die heutigen Kartoffeln sagen nichts über ihre sozialen Hintergründe, und das ist sehr angenehm. Der Punkt geht nach Europa.
Читать дальше