Doch auch zu Stendhals Zeiten hat man die physische Liebe in ihrer Schönheit ebensowenig wie heute bei der Verfolgung eines Hasen erleben können. Eine junge, hübsche Bäuerin, der man begegnet, wird wohl nicht sehr sauber sein, sie wird unerfreulich riechen und die ärgste Ungeschicklichkeit zeigen. Unter freiem Himmel kann man sie nicht entkleiden und man müßte wahrlich mehr als ausgehungert sein, um an einer so unzulänglichen Beziehung wirkliches Vergnügen zu finden.
Die Professionistinnen schenken uns die physische Liebe mit all jener Kunst und Verfeinerung, die nötig ist, in der Umgebung, wie sie für die Liebe geschaffen ist; nicht vom Flurschütz bedroht zwischen Würmern und Schnecken hinter einer Hecke, sondern im warmen Zimmer bei verschlossenen Türen zwischen feinem Linnen.
Viele Männer kennen bloß die physische Liebe und begnügen sich mit ihr.
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Neben der physischen Liebe und der großen Leidenschaft (muß betont werden, daß diese Begriffsumschreibungen nur willkürliche sind und daß es in Wirklichkeit zwischen beiden hunderte von verbindenden Brücken gibt?) wollen wir einem besonderen Gefühl, das man Don-Juanismus nennt, einen Platz einräumen.
Der Don-Juanismus kann die Sehnsucht nach dem Absoluten in der Leidenschaft sein. Don Juan sucht das einzige Weib, das er restlos zu lieben vermag. Er findet es nicht. So geht er von einer zur anderen, niemals glücklich, oder nur ein so schales Glück empfindend, daß er es sofort wieder verwirft. Und diese leidenschaftliche Jagd, diese Folge von endlosen Bemühungen und immer wiederkehrenden Enttäuschungen, die Hoffnung, die jedesmal erwacht und immer wieder zunichte wird, hat viel Tragisches. Man denkt kaum mehr an seine Opfer, nur an Don Juan selbst, der zu dem größten, unersättlichsten und enttäuschtesten Liebhaber wird.
Es gibt noch einen anderen Don Juan, der lebt nur dem Wunsch, zu erobern, das große, gefährliche Spiel mit der Frau zu wagen und zu gewinnen.
Um diese Art des Don-Juanismus zu erklären, will ich die Beichte, die R. mir machte, hierhersetzen. Sie zeigt, daß dieser Don-Juanismus nicht notwendigerweise, wie der andere, einem besonderen Charakterzug entspringt, sondern eher einem gewissen Lebensalter.
»Viele Jahre hindurch«, erzählte mir R., »beherrschte mich der Wunsch, zu erobern. Ich wollte gefallen, Siege erringen: die schwersten waren die schönsten. Wenn ich eine neue Frau sah, war mein erster Gedanke nicht etwa, ob sie mir erreichbar sei, sondern: ›Ich werde sie besitzen‹. Ich fieberte bei diesem Gedanken und war doch zugleich besonnen wie ein Rechenmeister, während ich mir den Angriffsplan zurechtlegte, der sie in meine Arme zwingen sollte. Mit jeder Frau, mit jeder Verteidigung änderten sich meine Belagerungspläne. Einer Koketten spielte ich Gleichgültigkeit vor; leichtsinnig und zärtlich war ich mit den ernsten Frauen, ernst mit den frivolen. Nie erlaubte ich mir die Karten zu zinken, die ich benützte; ich wollte den Sieg nur meinem Können und nicht dem Zufall verdanken. Je nach den Umständen hemmte ich das Tempo, um Verlangen zu wecken, oder ich rannte so kühn und unerwartet eine Bresche, daß die Festung erlag, ehe ihr die Gefahr noch recht zum Bewußtsein gekommen war. In anderen Fällen wieder war mein Spiel ganz verfeinert: ein Krieg von Andeutungen, fingierten Überfällen und vorgetäuschten Rückzügen. – Ein Wort zur rechten Zeit kann unendlich tief dringen, in einer plötzlich unruhig gewordenen Seele Monate und Monate nachschwingen.
»Mühelos konnte ich mehrere Liebesangelegenheiten gleichzeitig betreiben und ihrem Ende zuführen, da ja die Dauer der einzelnen verschieden war.
»Dieses Spiel bereitete mir maßloses Vergnügen. Gibt es ein schöneres, erregenderes auf der Welt? – Eine Gegnerin vor sich zu haben, die zu lieben man bereit ist! Sie bekämpfen und sich gleichzeitig nach ihr sehnen! Einzigartige Erregungen ... Wie köstlich ist es, eine Frau, die lange Widerstand geleistet hat, zum ersten Male zu entkleiden! Sie wollte dich mit hochmütiger Kälte vernichten, sie meinte entschlüpfen zu können!
»Doch wenn ich sie besessen hatte, verlor sie ihren Reiz. Keine vermochte mich zu fesseln. War die Schlacht entschieden, zog es mich nach neuen Eroberungen. Mein Glück lag im Kampf und Sieg, nicht im Besitz.
»So lebte ich, seit ich der Kindheit entwachsen war, zehn Jahre.
»Mit Dreißig etwa begann ich zu begreifen, daß ich den Frauen besseres geben und mehr von ihnen fordern könnte; daß in dem Kampf, den ich gegen sie führte, viel Stolz und wenig Liebe lag. Eine neue Welt, die Welt des Gefühls, erschloß sich. Jetzt erst wußte ich, was Liebe sei...
»Der Don Juan-Trieb war in mir nicht ganz erstorben; manchmal erwachte er wieder, doch nur für kurze Zeit, und gab mir, trotz lebhafter Lust, nur mangelhafte Befriedigung.«
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Der Beginn einer Liebe, die Zeit vor den ersten Zärtlichkeiten, ist köstlich. Die Stunden verfließen in einer leichten, zartgefärbten Erregung, noch schlummert die Furcht vor Abweisung und der Gedanke an das erhoffte Glück. Es wäre höchste Lebenskunst, die Frau, die man zu lieben beginnt, in dieser Zeit nur selten zu sehen. Denn diese erste Stufe der Liebe ist berückend. Man müßte sie verlängern. Doch kann man die Rosenknospe überreden, Knospe zu bleiben?
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Die Anfänge der Liebe sind unruhig, ungewiß gleich denen der Flüsse. Dort, wo der Strom entspringt, genügte, so scheint es, das kleinste Hindernis, um seine Richtung zu ändern. An der Quelle ginge er ebensowohl hierhin wie dorthin. Doch sobald er sein Gefälle gefunden hat, ist weder göttliche noch menschliche Macht imstande, ihn aufzuhalten. Sicher seines Weges strömt er, wenn auch in vielfachen Windungen, dem Meere zu, das ihn ruft. Ebenso ist es mit der Liebe. Vielleicht könnte man sie im Augenblick des Entstehens ersticken? Sie ist erwacht, es ist zu spät. Nun trägt sie uns unaufhaltsam fort, bis an das Meer, in dem alle Flüsse sich verlieren und enden.
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Der Vorsichtige sagt: »Wenn du eine Frau siehst, die dir gefällt, fliehe, ehe du sie kennen lernst!«
Ebensogut könnte man dem Leben entsagen.
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Es gab Verliebte, die Hals über Kopf das Weite suchten, um einander zu fliehen. Die Furcht verwirrte sie derart, daß sie oft nicht wußten, wohin sie liefen, und sich erschöpft, halbtot, schließlich eines in des anderen Armen fanden.
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Nur melancholische Träumer behaupten, daß Liebe, selbst eine glückliche Liebe, nichts als Enttäuschungen gäbe. Zwei Wesen aber, die einander lieben und einander angehören, wissen, daß es kein anderes Glück für sie gibt, als jenes, das sie einander verdanken.
Die Dramen der Leidenschaft entstehen am häufigsten nach der vollzogenen Vereinigung. Kann das, wofür die Menschen ihre Existenz aufs Spiel setzen, das, was ihnen höher als Ehre und Leben steht, ein minderwertiges Gut, ein Nichts, eine Enttäuschung sein?
Und man sage nicht, sie wagten alles nur wegen eines Hirngespinstes, wegen eines Trugbildes ihrer Phantasie, nein, es geschieht um eines Erlebens willen, das sie kennen und dessen Stachel sie noch tief in ihrem Fleische fühlen.
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Man liebt eine Frau so sehr, daß man an Schlaf und Essen vergißt. Solange man sie nicht besessen hat, weiß man noch nichts von der Lust oder der Enttäuschung, die man mit ihr erleben wird.
Man betet sie an; man macht hundert Tollheiten, um sie zu erobern; sie wird schwach, sie gibt sich hin. Nach der Umarmung wird sie einem gleichgültig; man hat sich getäuscht; man liebt sie nicht mehr.
Nichts vermag einen im voraus zu belehren.
Alle früheren Erfahrungen sind nutzlos. Jedesmal findet man sich wieder vor dem Unbekannten. Die Wissenschaft kann tausend Fortschritte machen, die Gelehrten werden hierin ebenso unwissend bleiben, wie sie es heute sind, denn in diesem Punkt, der das Um und Auf der Liebe bildet, entscheidet allein der Versuch.
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