So, wie ich das Gespräch abgewürgt habe, war das vielleicht nicht die feine englische Art, aber eine andere Sprache versteht sie nicht. Hätte ich das Telefonat nicht an dieser Stelle abgebrochen, hätte sie vermutlich erst so richtig an Fahrt aufgenommen und mir die wüstesten Dinge um die Ohren gepfeffert. Erst neulich hat sie mir in einem Tobsuchtsanfall vorgehalten, dass sie mit dem nächstbesten Kerl in die Kiste springt, wenn ich nicht genau das tue, was sie von mir verlangt. Ihre Spielchen kenne ich mittlerweile und habe sie wirklich satt.
Ich stelle mir vermehrt die Frage, warum ich mir das mit Lindsey überhaupt antue. Ich meine, immerhin schlafen wir nur miteinander. Leider habe ich bis lang noch keine Antwort darauf gefunden. Stattdessen habe ich mir eingeredet, dass Lindsey einfach nicht anders kann. Sie ist wie sie ist. Unsere Abmachung bringt eine gewisse Bequemlichkeit mit sich, die ich durchaus schätze. Sie steht auf die gleichen Dinge im Bett wie ich und bis vor kurzem hat ihr das gereicht.
Ich verstaue das Smartphone wieder in meiner Jeans und ziehe weiter. Nach einer Weile des planlosen Herumlaufens, bleibe ich stehen und lasse den Blick durch die Menge schweifen. Dabei entdecke ich endlich meine Clique, die unter einer Baumgruppe auf dem Rasen sitzt.
Mason Campbell, der Kapitän unseres Teams, hat einen Arm um seine schwangere Ehefrau Addison gelegt, die wiederum ihren Kopf an seiner Halsbeuge bettet. Zu ihrer Linken sitzen Jacob, das Geburtstagskind, Noah und William, ebenfalls Mannschaftskameraden, die sich ihren Bieren widmen. Auch mit von der Partie sind Addisons Freundinnen Amelia, Harper und Evelyn.
Als Jacob mich entdeckt, reckt er seine Flasche in die Höhe und prostet mir über die Entfernung hinweg zu. Da auch ich wirklich Lust auf ein eisgekühltes Budweiser habe, marschiere auf meine Freunde zu.
„Hi Logan, wurde auch langsam Zeit, dass du hier aufschlägst“, begrüßt mich der Gastgeber und wirft mir eine Flasche zu, die ich dank meiner guten Reflexe problemlos auffange. „Hat Lindsey dich mal wieder nicht gehen lassen oder gibt es einen anderen Grund für deine Verspätung?“
„Du kennst sie doch“, murmele ich und lasse mich neben William nieder.
Da Jacob in seinen Geburtstag reinfeiert, gratuliere ich ihm noch nicht.
Unter keinen Umständen werde ich meinen Jungs erzählen, dass ich kurzzeitig in Erwägung gezogen habe, die Party sausen zu lassen, um mich zu Hause mit einem guten Scotch zu betäuben. Bis heute wissen meine Freunde nicht, was sich damals zugetragen hat. Und das soll auch so bleiben. Mitleid ist das Letzte, was ich will. Zumal ich es nicht verdient habe.
Heilfroh darüber, dass niemand mein Zuspätkommen weiter thematisiert, nehme ich einen großen Schluck von meinem Bier. Fast verschlucke ich mich daran, weil sich Olivia Turner, unsere neue Fitness- und Athletiktrainerin, zu uns gesellt.
Olivia, die von allen schlicht Liv gerufen wird, hat zusammen mit Addison studiert und vor kurzem erfolgreich ihre Weiterbildung im sporttherapeutischen Bereich abgeschlossen. Da Mason wusste, was sie draufhat, hat er Livs Namen in den Ring geworfen, als eine Stelle, nach dem Ausscheiden unseres Physio-Coaches, vakant wurde. Mason haben wir es also zu verdanken, dass jetzt Unruhe im Team herrscht. Nicht, weil sie einen schlechten Job macht, sondern vielmehr, weil sie eine verdammte Augenweide ist. Einige der Jungs sabbern regelrecht den Rasen voll, wenn sie den Platz mit ihren hautengen Sportklamotten betritt. Keinem meiner Mitspieler kann ich einen Vorwurf machen, denn zur Hölle, sie ist ein richtiger Leckerbissen.
Das lange Haar fällt ihr in seichten Wellen über die schmalen Schultern und schimmert seidig im letzten Licht der Abendsonne. Der nussbraune Farbton ihrer Haare steht in einem starken Kontrast zu der hellen Haut. Irgendwie erinnert mich ihre Erscheinung immer an Schneewittchen. Was mich jedoch am meisten an ihr fasziniert, sind ihre stechend leuchtenden grünen Augen in Kombination mit dem unglaublichsten Lächeln, das ich je gesehen habe.
Vom Körperbau her ist Liv klein geraten. Meiner Einschätzung nach misst sie maximal einen Meter sechzig. Im Gegensatz zu mir, ist jede Frau ein Zwerg, denn ich kratze an Zweimeterfünfmarke.
Da sie ein figurbetontes, blauweiß gepunktetes Sommerkleid trägt, werden die Vorzüge ihrer schmalen Taille und den kleinen, jedoch durchaus sehenswerten, Brüsten perfekt in Szene gesetzt. Das Kleid endet kurz über ihren Knien, weshalb ich eine fantastische Aussicht auf ihre schlanken Beine habe.
Verdammt, ich muss schwer schlucken, denn Liv ist die mit Abstand attraktivste Frau auf dieser Feier. Wenn sie nicht meine Arbeitskollegin wäre, würde ich alles daransetzen, um sie ins Bett zu bekommen.
„Vergiss es, Bruder. Sie ist seit Kurzem Teil der Defenders-Familie. Do not fuck the company. Also, wisch dir den Sabber aus den Mundwinkeln und hör auf, unseren Coach mit deinen Blicken auszuziehen“, warnt William mich in leisem Flüsterton.
„Spinnst du? Nie im Leben würde ich mich an Liv ranschmeißen. Sie ist überhaupt nicht mein Typ“, entgegne ich und nehme sofort meinen Blick von ihr.
„Wenn du das sagst“, meint William lachend. Er glaubt mir kein Wort. „Dein Gesichtsausdruck hat eine ganz andere Sprache gesprochen. Er schrie förmlich: Bald bist du fällig, Baby. Irgendwann räkelst du dich nackt unter mir.“
Entgeistert starre ich meinen Kumpel an, der mit den Augenbrauen wackelt und aufsteht.
„Ich hole mir noch ein Bier. Willst du auch eins?“ Abwartend schaut er auf mich herab, weshalb ich schnell nicke. Kopfschüttelnd geht mein Freund los.
Verdammt, William ist ein wirklich guter Beobachter. Ihm macht man nicht so leicht etwas vor. Er kann seine Mitmenschen lesen, wie kein anderer. Vermutlich macht diese Eigenschaft, sein brillantes Intuitionsvermögen, ihn zu so einem verteufelt gefährlichen First Baseman. Selbstverständlich hätte ich niemals zugegeben, dass er mit seiner Vermutung voll ins Schwarze getroffen hat. Ich schwärme nämlich schon lange heimlich für Liv.
Während ich mich mit aller Gewalt dazu zwinge, nicht wieder zu Olivia herüber zu linsen, die es sich mittlerweile zwischen Jacob und Addison bequem gemacht hat, vibriert erneut mein Handy. Erst denke ich darüber nach es zu ignorieren, entscheide mich aber doch dagegen. Rasch hole ich das Smartphone aus meiner Hosentasche, werfe einen Blick auf das Display und sehe das Anruferprofil meiner Mom aufblinken.
Hastig springe ich auf die Füße und stelle mich etwas abseits des Geschehens unter eine große Eiche.
„Hi Mom, ist alles in Ordnung?“
„Natürlich, mein Junge.“ Sie seufzt und legt eine kurze Pause ein. „Ich wollte mich nur kurz erkundigen, wie es dir geht. Ich meine jetzt, wo … wo … wo Melinas Todestag immer näher rückt.“ Sie klingt heiser. So, als habe es sie jede Menge Überwindung gekostet, den letzten Satz laut auszusprechen. „Da ich im Hintergrund Musik höre, gehe ich davon aus, dass mein Anruf ungelegen kommt. Entschuldige bitte die Störung, wir sprechen ein anderes Mal. Genieß den Abend, trink nicht so viel und komm später gut nach Hause, mein Schatz.“
„Das bekomme ich hin“, versichere ich ihr kleinlaut, da sich ein dicker Kloß in meiner Kehle gebildet hat, der mich zu ersticken droht.
Es fällt mir noch immer unsagbar schwer mit meinen Eltern über Melina zu sprechen. Sobald das Thema auf den Tisch kommt, ziehe ich mich in mein Schneckenhaus zurück. Niemand soll wissen, wie es in meinem Inneren aussieht, denn das geht nur mich etwas an.
„Das beruhigt mich. Du weißt ja, Eltern machen sich andauernd Sorgen. Ich liebe dich, Logan, vergiss das nicht. Du kannst immer zu mir kommen, wenn du jemanden zum Reden brauchst.“
„Ich liebe dich auch, Mom“, entgegne ich, lege auf und starre auf das verdunkelte Display.
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