Als er endlich in der Hütte ist, nachdem er die Tür mit viel Mühe aufbekommen hat, schiebt sich Mil eine Winston in den Mundwinkel und entzündet sie mit seinem Zippo. Eine echt h öllische Nacht, denkt er. R ichtiges Scheißwetter. Aber er hat schon Schlimmeres erlebt, zumindest redet er sich das ein. Er nimmt einen Zug von seiner Zigarette und sagt sich, dass er das Ufer schon finden wird, trotz der schlechten Sicht. Er ist schließlich nur eine Viertelmeile vom Land entfernt und muss doch einfach nur den alten Spuren seines Schneemobils folgen. Abgesehen davon ist sein Polaris wie ein Pferd, es findet zur Not auch allein den Weg, selbst wenn der Reiter mal die Orientierung verloren hat.
Mil wird klar, dass er garantiert als Einziger noch auf dem Eis ist, wenn man sich diesen Sturm mal genauer betrachtet. Er ist eben hart gesotten. Ein echter Draufgänger. Wenn die Fische so beißen, dann braucht es schon ein echtes Wunder, um einen Zeiss vom Eis zu kriegen. Sein Vater hatte früher immer gesagt, dass die Warmduscher bei Sonnenuntergang nach Hause gehen, doch dann fängt für die echten Männer das Angeln erst richtig an. Mil lächelt bei diesem Gedanken. Dennoch weiß er, dass man einen Blizzard auf einem zugefrorenen See nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Er hat schon genug Winter im hohen Norden erlebt, um einen gehörigen Respekt davor zu haben.
Er nimmt einen letzten Zug, dann wirft er den Stummel in den Ofen und läutet damit den Feierabend ein. Er dreht die Gaslaterne aus und zieht sich seine Wollhandschuhe über, dann schnappt er sich den Eimer mit den Fischen und geht nach draußen, wobei er darauf achtet, dass der Wind ihm nicht die Tür aus der Hand reißt. Er verstaut den Eimer sorgfältig auf dem Polaris und macht sich anschließend bereit für die Fahrt nach Hause. Er muss nur noch schnell die Hütte zuschließen, dann ist er bereit zur Abfahrt. Doch plötzlich hält er inne.
Was zur Hölle ist das?
Trotz des anhaltenden Jaulens des Windes hört er etwas, das sich wie klingelnde Glocken anhört. Das kann doch nicht sein. Aber dann hört er es wieder, und dieses Mal scheint es noch näher zu sein. Aber hier draußen? Vielleicht hat ja irgendein Idiot ein Windspiel oder so etwas Ähnliches an seine Hütte gebunden, und nun fliegt das Ding durch die Gegend. Er erinnert sich, dass Johnny Pallanpa vor ein paar Jahren mal einen zwei Meter langen Flaggenmast auf sein Dach gepflanzt hat, um aus Solidarität mit den Truppen im Irak das amerikanische Sternenbanner wehen zu lassen. Eines Nachts hat dann ein ähnlich starker Sturm nicht nur den Mast abgerissen, sondern gleich auch noch das halbe Dach mitgenommen. Als Johnny endlich fertig damit war, den Schaden unter viel Schwitzen und Fluchen zu reparieren, war er deutlich weniger patriotisch gestimmt gewesen.
Auch darüber muss Mil lächeln.
Doch dann hört er das Klingeln ganz in seiner Nähe und sein Lächeln verschwindet. Irgendwas daran stimmt nicht … nicht hier draußen … nicht in so einem Sturm und in solcher Dunkelheit, mitten auf einem zugefrorenen See. Es ist nicht so, dass er Angst hat – zur Hölle noch mal, er hat als Mitglied der ersten Luftkavallerie 1965 schließlich den Kampf um Ia Drang überlebt und seitdem hat ihn nichts mehr schrecken können. Trotzdem ist er etwas besorgt. Als er auf sein Schneemobil steigt, hört er die Glocken dicht hinter sich.
Das reicht.
Mil gibt Gas und zischt mit bemerkenswerter Geschwindigkeit über den hart zusammengepressten Schnee. Mühelos findet er seine alten Kettenabdrücke und folgt ihnen. In zehn Minuten ist er wieder an Land. Er könnte zwar noch ein bisschen schneller fahren, aber er will nicht Gefahr laufen, bei dieser schlechten Sicht seine Spur zu verlieren. Es ist ein wirklich übles Unwetter, die Seitenwinde drücken ihn fast aus dem Sitz und er kann nicht mal fünf Meter weit sehen. Hier draußen auf dem blanken Eis ist es sogar noch schlimmer, denn hier gibt es weit und breit kein Hindernis. Der Wind bläst einfach mit voller Kraft und wird eher noch stärker als schwächer.
Plötzlich hört er die Glocken wieder und auch wenn es verdammt noch mal unmöglich ist, klingt es so, als würden sie sich direkt neben ihm befinden. Trotzdem hat Mil noch immer keine Angst. Unter seinem Schneeanzug schwitzt er zwar, das Herz schlägt ihm bis zum Hals, und er beißt die Zähne zusammen, damit sie nicht klappern, doch Angst hat er nicht. Denn er weiß, was Angst aus Männern machen kann. Er hat es in der Landezone X-Ray im November '65 selbst erlebt, als die Kämpfe eskaliert waren und der Vietcong sie mit allem beschossen hatte, was sie hatten, vielleicht abgesehen von ihren Stiefeln und Reisbeuteln. Angst konnte einen dazu bringen, seltsam zu denken, und dann beging man Fehler.
Er ist ja gleich da, es ist nun nicht mehr weit.
Mil denkt ganz fest daran und klammert sich in Gedanken an das nahende Festland, wobei der Schnee wie ein bodenloser Strudel um ihn herumwirbelt. Doch plötzlich fühlt er einen Stich in seinem Herzen, denn was er da am Rande seiner schmalen Piste sieht, ist einfach unmöglich. Es kann nicht sein. Nicht hier draußen. Doch die Gestalt winkt ihm zu, als er vorbeifährt und grinst dabei breit.
Jetzt will er doch schneller fahren. Mil gibt Vollgas, er muss das Land unbedingt erreichen. Komme, was wolle, er muss es schaffen. Seine Gedanken füllen sich unwillkürlich mit den grausamen Bildern der Landezone X-Ray und er denkt daran, wie er sich damals, vor so vielen Jahren, immer wieder gesagt hat, dass, wenn er es nur schaffte, bis zum Morgengrauen durchzuhalten, alles in Ordnung wäre. Jetzt muss er das Festland erreichen, denn wenn er das schaffte, wäre alles …
Lieber Gott im Himmel!
Die Gestalt ist plötzlich direkt vor ihm. Sie steht einfach so mit offenen Armen da und wartet auf ihn. Mil weiß ganz genau, dass sie ihn niemals überholt haben kann … nicht auf dem Eis … nicht im Dunklen … nicht bei diesem Sturm. Was auch immer dieses Ding ist, es ist definitiv kein Mensch. Er kann das fiese, grinsende Gesicht sehen – die Zähne sind lang und scharf. Mil gibt erneut Vollgas. Er wird das Ding einfach volle Pulle umfahren. Einfach wegsensen. Es kommt näher und näher. Mein Gott, diese Augen!
Im letzten Moment macht die Gestalt einen Schritt zur Seite und Mil fühlt so etwas wie ein Stahlseil an seinem Hals, das ihn von der Maschine reißt. Er kracht mit voller Wucht aufs Eis. In seiner Schulter flammt ein höllischer Schmerz auf. Sein Gefährt schlittert in eine Schneedüne, wühlt sich darin noch ein Stück nach oben und kippt dann schließlich auf die Seite.
Trotz der entsetzlichen Schmerzen kämpft sich Mil auf die Beine.
Er hat ein Springmesser am Gürtel und zieht es jetzt hervor, dann lässt er die fünfzehn Zentimeter lange Klinge herausschießen. Der Sturm peitscht auf ihn ein und schleudert ihm die ganze Zeit Schnee ins Gesicht. Eiskalte Winde versuchen, ihn wieder zu Boden zu drücken, doch in seinen Venen pulsiert immer noch etwas von dem eisenharten Willen des Soldaten der ersten Luftkavallerie.
Zeig dich, du feiges Monster. Wenn du aufgeschlitzt werden willst, dann komm her!
Dann steht die Gestalt plötzlich direkt vor ihm. Die Zähne sind wie Eiszapfen, die Klauen, die nach ihm greifen, wie die eines Bären. Mit einem Aufschrei rammt Mil das Messer tief in dessen Fleisch und ein wildes Jaulen ertönt aus der Kehle der Kreatur. Doch dann erwischt ihn eine der Krallen. Seine Kehle wird brutal herausgerissen, bevor er auch nur den Gedanken fassen kann, auszuweichen.
Er ringt nach Luft, doch Blut flutet seinen Mund und schießt aus seinem zerrissenen Hals hervor. Kraftlos fällt er auf das Eis und seine Lebenskraft scheint ihn als heißer Dampf zu verlassen. Die Gestalt beobachtet genüsslich, wie er stirbt. Erst, als er sich nicht mehr bewegt, stürzt sie sich auf ihn, um zu fressen.
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