Leider war die zweite Hälfte seines Lebens umstrittener. Als sich der Nationalsozialismus über Europa ausbreitete, flohen viele Wissenschaftler und siedelten nach Amerika über. Heisenberg blieb jedoch, wo er war, und wurde angeworben, um die Nazis beim Bau einer Atombombe zu unterstützen.
Manchen Historikern zufolge versuchte Heisenberg, diese Bemühungen von innen zu sabotieren, weil er in Interviews nach dem Krieg präzise beschrieb, wie eine solche Bombe gebaut werden konnte, obwohl sein Projekt nie von Erfolg gekrönt war. Vielleicht hat er zwar alles gewusst, sagte aber nichts, um die Bemühungen der Nazis zu behindern. 22
Im Jahr 2002 wurde jedoch eine Reihe von Briefen zwischen Heisenberg und Bohr entdeckt, und diese zeichnen ein trüberes Bild. Es scheint, dass Heisenberg völlig damit einverstanden war, an der Bombe zu arbeiten, und das Projekt war nur deshalb ein Misserfolg, weil er kein gutes Team hatte, das für ihn arbeitete (die guten Wissenschaftler waren jenseits des Atlantiks), und er selbst war im Labor ratlos. 23Vermutlich war die gesamte Anlage batteriebetrieben.
Niemand weiß mit Gewissheit, was Heisenbergs ethischer Standpunkt zu jener Zeit war. Er setzte sich in die Nesseln, weil er die Arbeit von Albert Einstein, einem jüdischen Physiker, förderte, und konnte sich ernsthaften Schwierigkeiten nur dadurch entziehen, dass seine Mama ihm half. Frau Heisenberg war gut mit Frau Himmler befreundet, der Mutter von Heinrich Himmler, dem Leiter der SS, und wenn Heisenberg in Schwierigkeiten war, rief sie ihre Freundin an und sagte im Endeffekt: »Sag deinem Sohn, dass er meinen in Ruhe lassen soll!« 24
Im Hinblick auf Heisenbergs politische Einstellung vermute ich, dass er einfach nicht besonders intensiv über die ethischen Implikationen seines Tuns nachdachte und nur physikalische Probleme lösen wollte, die man ihm gab.
Ihn im Rückblick als gut oder böse zu beurteilen, ist schwierig, weil wir nicht viele Anhaltspunkte haben, und vergessen wir auch nicht, dass die Seite der Alliierten auch nicht nur aus Heiligen bestand. Robert Oppenheimer, Heisenbergs Gegenstück in Amerika, war ein Mann, der einst versuchte, seinen Doktorvater zu vergiften, indem er richtig wie im Märchen einen Apfel mit giftigen Chemikalien überzog – was wir wahrscheinlich als Mordversuch bezeichnen würden. 25
Aber wenn wir die politischen Obertöne seines späteren Lebens außer Acht lassen, ist Heisenbergs Beitrag zur Quantentheorie immer noch unschätzbar.
Man eliminiere alle Ablenkungen
Eines Sommers, als er an einem heftigen Heuschnupfenanfall litt, beschloss Heisenberg, Ferien auf der Insel Helgoland zu verbringen, auf der es keine pollenproduzierenden Pflanzen gibt. Während dieser Pause stieß er auf einen neuen Ansatz zur Mathematik der Quantentheorie, der den Ursprung dessen beinhaltete, wofür er heute am besten bekannt ist: das heisenbergsche Unschärfeprinzip. 26
Teilchen haben eindeutig bestimmte Eigenschaften, die wir messen können. Solche Dinge wie Ort, Geschwindigkeit, Masse und so weiter. Wenn wir alles über den Ausgangszustand eines Teilchens wissen, können wir theoretisch alles vorhersagen, was es im nächsten Augenblick tun wird. Und im nächsten. Und im nächsten.
Diese Philosophie des Determinismus begann mit Isaac Newton und ist das, wodurch die Physik so sehr an Bedeutung gewann. Während die alten Mystiker behaupteten, dass man Opfer schlachten und Taubenblut trinken musste, um die Zukunft vorherzusagen, zeigte Newton, dass man es mit ein paar Gleichungen und 100-prozentiger Präzision tun konnte.
Aber de Broglie und Co. entdeckten, dass alle Teilchen auch Welleneigenschaften besitzen. Die Fragen zu stellen, »wo« sich ein Teilchen befindet und »wie schnell« es sich bewegt, sind in der newtonschen Physik getrennte Fragen, aber weil Wellen per definitionem ständig in Bewegung sind und sich ihr Ort über eine Region ausbreitet, sind solche Begriffe wie Geschwindigkeit und Ort nicht mehr unabhängig voneinander.
Wenn man etwas über den Ort einer Welle weiß, enthält das auch Informationen über ihre Geschwindigkeit und umgekehrt – die beiden Eigenschaften sind miteinander verknüpft. Heisenberg wandte nun eine ähnliche Idee auf Teilchen an. Ihre Bewegung und ihr Ort konnten nicht wirklich als getrennt betrachtet werden, weil sie nur zum Teil partikelförmig sind.
Wenn wir ein Teilchen haben und wir noch keine Messungen an ihm vorgenommen haben, können wir mit folgendem Graphen aufzeigen, welchen Impuls und Ort es wahrscheinlich hat:
Impuls – Ort
Alles, was wir wissen, ist, dass die physikalischen Eigenschaften des Teilchens irgendwo im Innern dieses Hügels liegen werden. Einfach ausgedrückt: Wenn wir an einem Teilchen eine Messung vornehmen, drücken wir diesen Hügel zu einem Punkt irgendwo auf dem Raster zusammen. Dieser Punkt zeigt beide Werte präzise an und sagt uns, wo das Teilchen ist und welchen Impuls es hat.
Impuls – Ort
In diesem Diagramm lesen wir entlang der Horizontalachse, um den Ort des Teilchens zu finden, und dann lesen wir vertikal, um seinen Impuls zu entdecken. Ganz einfach.
Aber Heisenberg wusste, dass Wellen sich anders verhielten. Wenn man versucht, eine Welle präzise anzugeben, erhält man einen Spike wie den folgenden:
Impuls – Ort
Wir wissen zwar genau, wo sich das Teilchen befindet, weil wir seinen Ort auf einen einzelnen Wert auf der Horizontalachse eingeschränkt haben. Aber wenn man vertikal liest, findet man eine ganze Fülle von Impulsen, die gleichzeitig auftreten. Da der Ort und der Impuls der Welle nicht so voneinander getrennt sind, wie sie es nach der gewöhnlichen klassischen Physik wären, verliert man jegliche Gewissheit bezüglich des Impulses eines Teilchens, wenn man den Ort des Teilchens kennt.
Oder wenn wir uns vorstellen, dass wir die Dinge in der anderen Richtung zusammendrücken, könnten wir zwar einen genauen Wert für den Impuls eines Teilchens messen, aber am Ende existiert das Teilchen an vielen Orten zugleich:
Impuls – Ort
In der Quantentheorie sind der Impuls und der Ort miteinander verknüpfte Eigenschaften, sodass wir entweder wissen können, wo ein Teilchen ist oder was sein Impuls ist, aber nie beides gleichzeitig.
Sind wir uns da ganz sicher?
Das war die erste »Unschärferelation« und die, die am häufigsten zitiert wird: Man kann nie den Ort und den Impuls eines Teilchens gleichzeitig kennen, und wenn man eines von beiden kennt, verliert man jegliche Gewissheit bezüglich des anderen. Im Lauf der Entwicklung der Quantentheorie entdeckten wir andere Paare von Eigenschaften, die alle miteinander verknüpft sind (einigen davon werden wir später begegnen), aber Heisenbergs Original erschütterte dennoch die Grundlagen der Physik.
Grob gesagt, behauptet die Quantentheorie, dass es unmöglich ist, alles über ein Objekt zu wissen, weil es immer etwas geben wird, was wir nicht messen können. Wenn man genug über eine Eigenschaft weiß, verliert man automatisch Informationen über etwas anderes.
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