Er wischte sich die Lachtränen fort und schüttelte den Kopf. „Du wirst immer meine kleine Schwester bleiben. Und Flash werde ich in den Arsch treten.“ Sein Lachen erstarb. „Er wird nicht wissen, warum, aber ich werde es tun. Er wird dafür bezahlen, dass er dich angefasst hat, denn er ist dich nicht wert.“
„Flash ist nur ein Freund.“ Das war nicht gelogen.
„Er hat dich flachgelegt, Schwesterchen. Versuch nicht, mich zu verarschen.“ Er sah mich ernst an und beobachtete genau meine Körpersprache. „Er wird dafür bezahlen.“
Ich seufzte und atmete die Luft aus, die ich angehalten hatte. „Mir egal.“
„Und James fasst dich besser auch nicht an.“
„Ich will gar nichts von James. Ich dachte immer, ihr Jungs seid schlimm, aber er lässt euch wie Kirchenknaben wirken.“
Tommy zog die Augenbrauen zusammen. „Und all das weißt du nach ein paar Drinks?“ Er knirschte mit den Zähnen. Der Klang jagte einen Schauder über meinen Rücken.
„Ganz genau.“ Mehr sagte ich lieber nicht. Ich wollte nicht seine Großer-Bruder-Sinne aktivieren, dass James mich ins Nirwana gefickt hatte.
„Schwörst du es?“
„Yep.“
Er seufzte und nahm mich in die Arme. Dann küsste er mich auf die Schläfe und seine Wärme fühlte sich wunderbar an. Er war mein Bruder und ich wusste endlich, dass er am Leben und in Sicherheit war.
„Wir gehen in zehn Minuten. Und wir müssen es glaubhaft aussehen lassen, Izzy.“
Ich sah zu ihm auf. „Wie meinst du das?“ Ich runzelte die Nase und dachte darüber nach.
„Sie müssen glauben, dass wir Sex hatten.“
„Verdammt“, murmelte ich und kaute an einem Fingernagel.
Wir verschmierten meinen Lippenstift, rissen mein T-Shirt unten ein und zerzausten meine Frisur. In der Bar war es düster und das musste reichen. Das Wichtigste würde mein Verhalten sein.
„Tu nicht so, als ob du mich magst, aber hassen darfst du mich auch nicht. Zwar hängst du nicht an Flash, aber du hattest schließlich keine Wahl, mit mir zu gehen oder nicht.“
„Ich liebe dich, Brüderchen. Du bist süß, und ich hätte ja Rebel nicht vögeln müssen.“
„Sag nicht vögeln und Rebel zusammen in einem Satz.“ Er schüttelte sich und öffnete mir die Tür. „Wenn wir da sind, sei einfach still und lass mich reden. Ich will, dass wir so schnell wie möglich da rauskommen, damit James dich aufsammeln kann.“
Ich seufzte, wünschte, diese Nacht wäre schon vorbei und ich wäre in meinem Bett, zu Hause an der anderen Küste. „Du weißt doch, wie gut das bei mir klappt mit dem still sein, Tommy.“
Er hielt abrupt inne und drehte sich um. „Von jetzt an bin ich nicht mehr Tommy. Ich heiße Blue. Himmel noch mal, Izzy, sei ein Mal für mich still!“ Er ging weiter.
„Männer sind scheiße“, murmelte ich.
An seinem Bike drehte sich Tommy zu mir um. „Wir werden uns eine Weile nicht mehr sehen, Iz. Auch wenn ich sauer bin, dass du hier bist, habe ich mich trotzdem gefreut. Ich hab dich vermisst, Schwesterchen.“ Er sah mich liebevoll an und breitete die Arme aus.
Ich sah mich um, unsicher, ob wir beobachtet wurden und ob ich ihn umarmen durfte.
„Schon gut. Komm her.“ Er winkte mich zu sich.
Ich umarmte ihn und klammerte mich an ihn. Was, wenn ich ihn nie wiedersehen würde? So durfte ich nicht denken. Thomas war der härteste Kerl, den ich kannte. Wenn jemand all den Scheiß durchmachen und lebend herauskommen konnte, dann war er es.
„Du wirst mir fehlen“, sagte ich und schluckte meine Tränen. Ich umarmte ihn fester und rieb mein Gesicht an seinem T-Shirt. „Komm bald nach Hause.“
Er ließ mich los und wischte mir mit dem Daumen eine Träne von der Wange. „Nicht weinen. Ich schaffe das schon.“ Er grinste und seine schönen blauen Augen strahlten im Straßenlicht. „Lass es uns hinter uns bringen, damit ich weiß, dass du in Sicherheit bist. Hör auf James und mach, was auch immer er sagt, Izzy. Er wird auf dich aufpassen.“
Ich verdrehte die Augen und konnte nicht verbergen, dass ich von dem Spruch genervt war. Ich ließ die Schultern hängen, als ich daran dachte, mit James egal wie kurz zusammen sein zu müssen. Es würde chaotisch werden.
„Na gut“, versprach ich im Sing-sang-Ton und setzte mir den Helm auf. „Es gefällt mir zwar nicht, aber ich werde versuchen, brav zu sein.“
„Er kann dich am Leben halten. Denk immer daran.“ Er setzte sich auf die Harley und drehte den Schlüssel um.
„Verstanden.“ Ich setzte mich hinter ihn und schlang die Arme um ihn. Ich lehnte die Wange an seinen Rücken und er startete, zurück zu den Männern. Das war geschmeichelt. Es handelte sich eher um Tiere, die sprechen konnten.
Hätte mein Bruder die schmutzigen Details meiner Nacht mit James gekannt, hätte er nicht verlangt, dass ich all seine Befehle befolgte. James hatte mich nach der Hochzeit nicht kontaktiert, wofür ich dankbar war. Ich hatte ihm nicht aus dem Weg gehen oder ihn auf dem Handy blockieren müssen. Der Mann hatte den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, doch dass wir jetzt so zusammengeworfen wurden, ohne dass ich die Kontrolle über die Situation hatte, machte mir Angst.
Und wieso irritierte es mich derartig, ihn wiederzusehen? Ich schloss die Augen und versank in den Erinnerungen an die Nacht vor vier Monaten. James war mehr Mann gewesen, als all die anderen vor ihm. Er war ein echter Alpha-Kerl und ließ sich keinen Mist gefallen. Mist und ich waren gute Freunde.
James hatte mich herausgefordert und ich hatte das Gefühl gehabt, dass er meine Gedanken lesen konnte. Ich war nicht gern ein offenes Buch für Leute. Er wusste genau, wann ich ihm etwas vormachte, und ich mochte es nicht, wenn man mich so leicht durchschaute. Ich war kein Mädchen mehr. Ich war stark und ließ mich nicht herumkommandieren. Isabella Gallo war nicht unterwürfig.
Kapitel 3
Die große Flucht
Izzy
Als wir in die Bar zurückgingen, schien das niemanden zu interessieren. Rebel betrachtete mich von oben bis unten und schlug Blue kurz auf den Rücken. Sie sprachen miteinander, als ich mich hinsetzte, und dass ich mich nicht wohlfühlte, bewiesen meine Tränenspuren im Gesicht. Sie dachten, es sei wegen des Sex’, den ich nicht gewollt hatte, dabei war es nur wegen des Abschieds von meinem Bruder.
Nach einer Runde Drinks mit Tommys Arm um meine Schultern, womit er mich beschützte und für sich beanspruchte, machte die Gruppe für heute Feierabend. Partys fanden überall in Daytona statt, und sie hatten noch eine Clubbesprechung, bevor sie ins Bett gehen würden.
„Sie fährt mit mir“, verkündete Tommy, als wir nach draußen gingen und von der wattigen, feuchten Luft Floridas empfangen wurden, die nach Meer roch.
„Was immer du sagst, Bruder“, meinte Rebel und stieg auf sein Bike.
„Wo ist Flash?“, fragte ich und sah mich ein letztes Mal nach ihm um.
„Vergiss Flash, Darling“, knurrte Tommy und reichte mir einen Helm.
„Aber …“, begann ich, bemerkte dann jedoch seinen strengen Blick.
„Der wurde zu anderen Clubverpflichtungen geschickt.“ Er drückte mir den Helm fester in die Hand. „Steig endlich auf. Wir haben keine Zeit für deinen Weiberkram“, rügte er mich und startete das Bike.
Beim Röhren der Maschine zuckte ich zusammen, zog schnell den Helm an und schnürte ihn zu. Als ich auf das Bike stieg, wurde mir klar, dass dies das letzte Mal für viele Monate sein würde, dass ich meinen Bruder sah. Die anderen fuhren los, als ich mich gerade hinter Tommy gesetzt hatte.
Nachdem zwischen den Bikes und uns genug Abstand war, drehte sich Thomas zu mir um und lächelte. „Ruf James an, Izzy. Ich hab dich lieb, Schwesterchen.“ Er drehte sich um und fuhr los, holte die anderen schnell ein.
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