Sean Beaufort - Seewölfe - Piraten der Weltmeere 652

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Hasard hockte auf der Achterducht der Jolle und hatte die Pinne übernommen. Schweiß lief trotz des Tuches um des Kopf über sein hager gewordenes Gesicht. Nichts hatte sich geändert, verbessert oder verschlechtert. Nach wie vor stellten roher Fisch mit Salzwasser und ein paar Tropfen Rum die einzige Nahrungsquelle der drei Schiffbrüchigen dar. Das Wasser des letzten Regengewitters war ausgetrunken. Jeder einzelne Muskel schmerzte, sie konnten nicht mal mehr richtig schlafen. Unbarmherziger denn je brannten die Sonnenstrahlen vom Himmel. Die grelle Hitze des Tages und die weitaus kühleren Nächte wechselten einander in eintönigen und niederdrückenden Gleichmaß ab. Ein Tag war wie der andere – langweilig, trostlos und von der Sorge ums überleben überlagert…

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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-066-4

Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de

Sean Beaufort

Verirrt zwischen den Inseln

Hasard sucht verzweifelt sein Söhne – die Irrfahrt geht weiter

Der Sturm, der den Himmel verfinstert und den Tag zur stockfinsteren Nacht hatte werden lassen, war abgezogen. Das heulende Kreischen und Jaulen wich einer trügerischen Ruhe .

Starker Wind hatte das Beiboot gepackt, das Segel zerfetzt und die Riemen über Bord gefegt. Die Insassen klammerten sich fest und versuchten, innenbords zu bleiben .

Es schien, als habe ihr letztes Stündchen geschlagen .

Die Insel, ohne Schätze und nur von Gerippen bewohnt, verschwand achtern .

Die beiden Killigrew-Söhne und Old Donegal O’Flynn dachten nicht eine Sekunde daran, daß der Harmattan sie in einen Teil des endlosen Meeres mitriß, den sie nicht kannten, hinaus aus dem Schutz der Kapverdischen Inseln …

Die Hauptpersonen des Romans:

Old Donegal O’Flynn– ist nicht unterzukriegen, zumal ein Schlückchen Rum wie das Wasser des Lebens wirkt.

Hasard Killigrew– entdeckt in der See eine treibende Kiste, die unter anderem auch eine Bibel enthält.

Philip Killigrew– sieht als erster die Insel in der Weite der See – und das scheint ihre Rettung zu sein.

Philip Hasard Killigrew– der Seewolf muß sich nach tagelanger vergeblicher Suche wohl damit abfinden, daß er seine beiden Söhne und Old Donegal nicht mehr wiedersehen wird.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Auch auf den Lafetten der Culverinen lagen noch Reste des Sandes. Er knirschte in den Fugen der Planken, fand sich in den Wicklungen des Tauwerks, war durch die Grätings in die darunterliegenden Laderäume gesickert und biß in den Augen, wenn die Segel killten und den Sand aus den Falten peitschten. Selbst im Bier, im Wein und im frischen Brot knirschten Sandkörner. Der Harmattan von der afrikanischen Küste war in jeder Hinsicht gründlich gewesen.

Kapitän Philip Hasard Killigrews Gesicht drückte seine Gefühle aus. Er war niedergeschlagen und unruhig. Auch zwischen seinen Zähnen knirschten Sandkörner. Die gesamte Crew teilte die düstere Stimmung des Seewolfs. Aber noch gab es genug Hoffnung, die drei Verschwundenen zu finden.

Das große, weit auseinandergezogene Gebiet des Archipels lag vor dem Bug der Schebecke. Zehn größere Inseln und fünf kleine, unbelebte und unbewachsene felsige Eilande, etwa hufeisenförmig mit der Öffnung nach Westen – das waren die Inseln von Kap Verde.

In diesen schlimmen Tagen nach dem Harmattan schienen sich die Seewölfe verwandelt zu haben. Mehr denn je glichen sie spürenden Wölfen voller Wut, Ausdauer und Kraft, die eine unbarmherzige Jagd begonnen hatten.

Aber die Seewölfe jagten keinen Gegner, sondern hinter den beiden Söhnen Hasards und deren Großvater her.

„Weiter“, flüsterte Hasard. „Weiter nach São Vicente.“

Santo Antao schrumpfte an der westlichen Kimm, hinter dem Heck der Schebecke, zur unbedeutenden Erhebung in einem endlosen Ozean zusammen. Vage zeichnete sich im Südosten die viel kleinere Nachbarinsel ab. Auch dorthin konnte der Harmattan die Zwillinge und Old Donegal, den „Admiral“, verschlagen haben.

Wieder zischte der Inhalt einer Pütz über einen Teil des Decks. Der orkanartige Sturm aus Osten, vom afrikanischen Festland her, hatte gelben, braunen und schneeweißen Sand mitgeschleppt und reichlich auf der Schebecke abgeladen.

Ein Strom, von dem man in den Häfen sagte, er nenne sich „Kanarenstrom“, zog die Schebecke nach Süden.

Angenehm trockene Luft füllte die Segel, strich über das Deck und schuf die Illusion, sich in der Karibik zu tummeln. Jetzt, am späten Morgen wehte der Wind aus dem westlichen Sektor. Das Schiff der Arwenacks schoß mit guter Fahrt durch die Wellen und wiegte sich leicht in der gewaltigen Dünung des Atlantik.

„Wenn sie noch leben, finden wir sie, Sir“, sagte Ferris Tucker leise zu Hasard. Auch sein verwittertes Gesicht drückte Trauer und eine geringe Hoffnung aus.

„Wenn sie noch leben, ja“, murmelte Hasard und versenkte seinen Blick in die Augen des Schiffszimmermannes.

Es war alles plötzlich, unerwartet und überraschend über sie hereingebrochen: Sturm, Sand, Dunkelheit und kochende Wellen – und kurze Zeit später hatten sich nicht nur die Konturen des Ufers verändert, sondern auch alles andere. Die Jolle mitsamt Segel und drei Insassen verschwand spurlos – ein Vorgang, der in dieser Form niemals hätte stattfinden können. Boote verschwanden niemals spurlos. Die Insassen trieben nach kurzer Zeit, lebend oder tot, auf den Wellen. Man fand Trümmer, Fetzen, irgendwelche Zeichen. In diesem Fall hatten sie nicht die winzigste Spur gefunden.

Hasard, der mit hängenden Schultern auf dem Grätingsdeck stand, straffte plötzlich den Körper. Aus seiner Kehle drang ein tiefes, fast bösartiges Grollen, das seine absolute Entschlossenheit verriet.

„Hört zu! Paßt gut auf“, sagte er heiser. „Wir suchen jede Insel ab. Wir kreuzen zwischen den Kapverden. Wenn es etwas zu finden gibt, dann werden wir es finden. Und wenn wir ein halbes Jahr suchen. Ich weiß, daß sie leben. Vielleicht schwimmen sie irgendwo, an eine Planke oder ein paar Riemen geklammert. Die schärfsten Augen aller Sieben Meere halten nach den Jungens und unserem alten Hinkefuß Ausschau.“

Seine Augen blitzten, dann schloß er sie. Schmerz überzog sein braunes Gesicht.

Dan O’Flynn erwiderte:

„Der Sturm kann das Beiboot nach Süden oder in einem riesigen Halbkreis nach Osten mitgerissen haben. Als es dunkel wurde und der Sand niederprasselte, habe ich versucht, die Richtung festzustellen.“

„Richtig. Jetzt fällt’s mir wieder ein“, erklärte Ben Brighton. „Von rechts nach links drehte der Sturm. Aber es kann auch nur eine einzelne Bö gewesen sein, ein Ausläufer des Harmattan. Hoffentlich hast du recht.“

„Ich hoffe es auch“, erwiderte Dan. „Und solange es Hoffnung gibt, werde ich suchen, verlaßt euch drauf.“

Sie hatten jede Einzelheit inzwischen stundenlang besprochen, abgewogen, verworfen, die gegenteilige Meinung eingerechnet, die Wenns und Abers erwogen und immer wieder drauf gepocht, daß ausgerechnet diese drei Arwenacks überleben müßten.

Segel, Riemen, Kompaß und Notvorrat – alles war vorhanden. Batuti erinnerte sich angeblich daran, daß Philip einen kleinen Krug Öl zwischen die Duchten gestellt hätte. Als sie ihn mehrmals fragten, war er allerdings nicht mehr sicher, ob das stimmte.

„Schließlich haben die Jungens und Old Donegal nach Schätzen gesucht“, hatte Roger Brighton, der Takelmeister, erklärt.

Was wirklich zutraf, war jetzt nicht mehr festzustellen. In diesen Stunden geriet der normale Ablauf von Wache, Glasen und Freiwache völlig durcheinander. Zur Zeit waren alle Seewölfe an Deck und spähten in alle Richtungen. Gary Andrews stand in der Ausgucktonne des Großmastes und starrte durch ein Spektiv.

Rechts voraus tauchte die nächste Insel aus dem morgendlichen Dunst. Die Ufer wurden schärfer, das vage Grün der Vegetation verwandelte sich langsam in eine wirkliche Farbe. Die Schebecke steuerte auf das nördliche Ende der Insel zu.

Das Wetter, die Sonne, die beiden kurzen Regenschauer und der Wind, der ohne Pause konstant wehte, versetzte die Seewölfe – und die Crew eines jeden anderen Schiffes, das hier zu dieser Zeit segelte – in eine trügerische Heiterheit.

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