Und Lucas war noch nie vor einem Kampf davongelaufen.
Er sprang auf Tangos Rücken und drehte die Nase des Pferdes nach Süden. Seine Entscheidung stand fest: Er würde seinen Freunden helfen und sich danach um das Problem mit der Frau kümmern. Wenn der Handelsposten fiel, war sie tot sowieso besser dran. Also galt es, das zu verhindern.
Lucas gab sich keinen Illusionen hin, dass es einfach und ohne Risiko ablaufen würde.
Aber er sah keine Alternative.
Er hoffte nur, dass er noch rechtzeitig eintreffen würde.
Die Abenddämmerung senkte sich herab, als Lucas die letzte Biegung auf dem Weg zum Handelsposten erreichte. Er hatte den Highway gemieden und war seiner eigenen Spur auf der Nebenstraße und entlang des Flusses gefolgt, während weiter das Echo von Schüssen aus der Richtung von Dukes Standort kam. Die Schießerei war noch im Gange, doch es war etwas ruhiger geworden. Vermutlich sparten sich die Angreifer ihre Munition auf, um in der Dunkelheit vorzustoßen. Sie hatten offensichtlich die Verteidigung des Handelspostens unterschätzt und Lucas war sicher, dass Duke und seine Männer sie für diesen Fehler hatten bezahlen lassen.
Lucas hatte auf dem Rückweg kein Tempo gemacht und stattdessen Tango die Wahl gelassen. Er hatte dem Impuls widerstanden, ihn zum Galopp anzutreiben, da er nicht wusste, wie viel er seinem treuen Pferd noch zumuten musste, bevor die Nacht vorüber war. Tango war normalerweise in der Lage, gute vierzig Meilen oder mehr an einem Tag zu schaffen, wenn er eine Nacht Ruhe gehabt hatte. Doch dieser Luxus war ihnen nicht vergönnt gewesen. Lucas war sich bewusst, dass Tango ihm zuliebe rennen würde, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach.
Jetzt, wo er fast da war, klang der Schusswechsel ohrenbetäubend. Er band Tango an einen Baum abseits der Kampfhandlungen an und schlich geduckt auf den Handelsposten zu. Als er die letzte Viertelmeile zu Fuß zurückgelegt hatte, war er nahe genug dran, um das Mündungsfeuer zu sehen. Mittlerweile war es stockdunkel, was ihm einen Vorteil verschaffte: Er hatte ein Nachtzielgerät.
Die Angreifer, die sein Erscheinen nicht bemerkt hatten, mussten annehmen, dass sich die Gefahr vor ihnen befand. Bei jedem Schuss von hinten oder aus ihrer Flanke würden sie annehmen, dass es aus ihren eigenen Reihen kam. Wenn Lucas Glück hatte, konnte er so die meisten von ihnen ausschalten, bevor sie überhaupt wussten, was vor sich ging. Alles hing davon ab, wie sie sich im Gelände positioniert hatten.
Er hatte vier Reservemagazine in seiner Weste und je eines in den Gesäßtaschen seiner Jeans, was ihm, mit dem vollen Magazin in der Waffe, 210 Schuss verschaffte. Wenn er sich mit Feuerstößen zurückhielt, sollte das genügen. Doch man musste immer mit dem Schlimmsten rechnen.
Lucas suchte das Gelände um den Handelsposten ab und entdeckte drei Schützen zu seiner Rechten, etwa hundert Meter entfernt. Hinter ihnen erkannte er zwei weitere Männer, die abwechselnd feuerten. Er hob das M4, um durch das Infrarotvisier zu sehen, und bemerkte einen Schützen zu seiner Linken – möglicherweise noch zwei weitere – doch wegen des hohen Grases war er sich nicht sicher.
Im Augenblick tat sich nicht viel – keiner wagte sich aus der Deckung, denn die Angreifer hatten auf die harte Tour gelernt, dass sie in einer Todeszone waren. Lucas hoffte, dass Dukes Männer bereits eine ordentliche Anzahl der Angreifer ausgeschaltet hatten.
Er kroch auf den Schützen zu seiner Linken zu und feuerte ihm aus knapp sechzig Metern eine Salve in den Brustkorb. Lucas wartete auf Gegenfeuer, aber als niemand reagierte, schien seine Strategie zumindest für den Moment aufzugehen.
Lucas wollte den Trick wiederholen und bewegte sich weiter nach links. Dabei erkannte er, dass er es mit zwei statt nur einem Schützen zu tun hatte, die direkt nebeneinander lagen. Das machte die Sache schwieriger, aber nicht unmöglich. Er schaltete das M4 auf kurze Feuerstöße und kroch näher heran. Er bewegte sich immer dann, wenn er Salven aus den Waffen der Angreifer hörte, was vom Handelsposten aus in gleicher Münze beantwortet wurde.
Lucas arbeitete sich die letzten Meter heran und zielte auf das Schützenpaar direkt vor ihm. Er war gerade im Begriff zu feuern, als auf dem Dach des Handelspostens vier starke Suchscheinwerfer zum Leben erwachten und das Feld in blendende Helligkeit tauchten. Er warf sich flach auf den Boden, als um ihn herum die Kugeln einschlugen. Etwas verspätet erkannte er, dass Dukes Leute ihn für einen der Angreifer hielten.
Die Schützen zu seiner Rechten eröffneten das Feuer auf die Scheinwerfer. Einer nach dem anderen erlosch, doch vorher ertönte ein Schmerzensschrei von links. Einer der beiden Schützen war getroffen worden – wie schwer, blieb abzuwarten. Lucas schloss die Augen, um sich so schnell wie möglich wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen, und nahm seine Ziele, sobald er die Umrisse des Handelspostens wieder ausmachen konnte, erneut durch sein Nachtzielgerät ins Visier.
Einer aus der Gruppe zu seiner Rechten schrie etwas und einer der Männer sprang auf die Beine. Lucas feuerte eine Salve, dann eine zweite, und der Mann fiel schwer zu Boden. Seine Begleiter erwiderten das Feuer und Lucas schoss den Rest seines Magazins in ihre ungefähre Richtung. Den Gefallenen konnte er im hohen Gras nicht mehr ausmachen. Aber es war sicherer, zu prüfen, ob er nicht nur verwundet war, wenn man sich keine Kugel in den Rücken einfangen wollte.
Lucas ließ die Waffe das leere Magazin auswerfen und lud nach. Um ihn herum spritzte Erde hoch, als die Kugeln in den Boden schlugen. Lucas rollte zur Seite. Der Herzschlag dröhnte in seinen Ohren während er festzustellen versuchte, ob die letzte Salve von den Angreifern oder vom Handelsposten gekommen war. Ein weiterer Kugelhagel grub den Boden zu seiner Rechten um und beantwortete seine Frage – die Angreifer hatten ihn im Visier.
Ein langer Feuerstoß kam von den Sandsäcken beim Tor. Die drei Männer, die auf Lucas geschossen hatten, verteilten sich, als die Kugeln das Gras um sie herum niedermähten. Einer grunzte, als er von mehreren Kugeln getroffen wurde. Lucas stimmte mit seiner M4 ein und nahm sie in ein tödliches Kreuzfeuer. Sein frisches Magazin war binnen Sekunden leer.
Er lud gerade wieder nach, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung bemerkte. Das Paar, das 200 Meter zu seiner Rechten gewesen war, lief auf den Handelsposten zu, irritiert durch Lucas Schüsse, die von links kamen. Er jagte Salve um Salve hinter ihnen her, aber verfehlte sie, da die Männer Haken schlugen. Er beobachtete, wie sie sich der Befestigungsmauer näherten und keuchte entsetzt, als einer von ihnen eine Granate auf die andere Seite warf, bevor er sich duckte.
Die Explosion ließ das Gelände des Postens in fahlem Orange aufleuchten. Lucas zwang sich, ruhiger zu atmen, und zielte auf den nur für ihn sichtbaren Angreifer. Lucas musste ihn erwischen – vom Inneren des Postens aus war er nicht auszumachen, da er sich zu dicht an der Mauer befand. Wenn der Mann noch weitere Granaten bei sich hatte, dann konnte er sie vom Fuß der Mauer aus einsetzen und maximalen Schaden anrichten, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern.
Lucas atmete langsam aus und betätigte den Abzug. Seine erste Salve lag zu niedrig, deshalb hob er den Lauf ein wenig und nagelte den Mann mit der zweiten und der dritten Salve an die Wand.
Ein Schütze war noch übrig.
Doch der hatte sich verkrochen und war nicht auszumachen.
Lucas wartete darauf, dass der Mann sich zeigte. Eine Minute verging, ohne dass ein einziger Schuss fiel. Eine weitere Minute verging und Lucas fluchte lautlos. Er konnte ja schlecht bis zum Morgengrauen im Gras herumliegen. Wenn er sich beim Handelsposten bemerkbar machte, würde das seine Position verraten.
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