Daniel C. Dennett
Ellenbogenfreiheit
Die erstrebenswerten Formen
freien Willens
CEP Europäische Verlagsanstalt
© e-book Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2015
© Erweiterte Neuauflage CEP Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2015
Die Neuauflage 2015 ist erweitert um die „Einleitung zur Neuauflage“ und den anlässlich der Verleihung des Erasmus-Preises 2012 von Daniel Dennett verfassten Aufsatz „Erasmus: Manchmal liegt ein Spindoktor richtig“ (Originaltitel „Erasmus: Sometimes a Spin Doctor is Right“), übersetzt aus dem Englischen von Tobias Schlicht.
© der deutschen Erstausgabe 1986 Verlag Anton Hain Meisenheim GmbH, Frankfurt/Main. Aus dem Englischen übersetzt von Uta Müller-Koch
Titel der englischen Originalausgabe
ELBOW ROOM
© 1984 Daniel C. Dennett
eISBN 978-3-86393-527-6
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Daniel C. Dennett hat mit seinem international sehr beachteten Buch „Ellenbogenfreiheit“ einen originellen Vorschlag zur Frage erbracht, wie man unsere Intuition über Freiheit, Rationalität und Verantwortung mit dem Bild von einer deterministischen Welt in Einklang bringen könne. Nach Dennett ist das für all jene Intuitionen möglich, an denen uns für unser Selbstverständnis wirklich gelegen sein muss. Und dort, wo keine Vereinbarkeit möglich erscheint, handelt es sich immer um ein Überbleibsel einer unhaltbaren philosophischen Theorie. Die Debatte selbst hinterfragt Dennett, indem er die entscheidende Frage reflektiert, warum uns am freien Willen so viel gelegen ist.
Ein aktuelles Vorwort von Daniel C. Dennett ist der Neuausgabe vorangestellt, und als neuer Beitrag zum Thema sein anlässlich der Verleihung des Erasmus-Preises 2012 verfasster Essay „Erasmus: Sometimes a Spin Doctor is Right“.
Daniel Clement Dennett, geboren 1942 in Boston, US-amerikanischer Philosoph und einer der führenden Vertreter in der Philosophie des Geistes. Heute ist er Professor für Philosophie und Direktor des Zentrums für Kognitionswissenschaft an der Tufts University. 2001 wurde er mit dem Jean-Nicod-Preis ausgezeichnet, 2007 mit dem Richard-Dawkins-Award der AAI, 2012 erhielt er den Erasmus-Preis.
Dem Andenken an Gilbert Ryle gewidmet
Einleitung zur Neuauflage
Erasmus: Manchmal liegt ein Spindoktor richtig
Vorwort
KAPITEL I
Bitte keine Schreckgespenster
1. Das ewige, fesselnde Problem
2. Die Butzemänner
3. Sphexhaftigkeit und andere Sorgen
4. Überblick
KAPITEL II Die Vernunft wird praktisch
1. Woher kommen Gründe?
2. Semantische Maschinen, das Perpetuum Mobile und eine defekte Intuitionenpumpe
3. Reflexion, Sprache und Bewußtsein
4. Gemeinschaft, Kommunikation und Transzendenz
KAPITEL III Kontrolle und Selbstkontrolle
1. „Dank der Umstände außerhalb unserer Kontrolle“
2. Einfache Kontrolle und einfache Selbstkontrolle
3. Kontrolle ohne Handelnden und unser Begriff der Verursachung
4. Handelnde im Wettstreit
5. Der Nutzen der Unordnung
6. „Laß’Dich gehen“
KAPITEL IV Das selbstgemachte Selbst
1. Das Problem des verschwindenden Selbst
2. Die Kunst der Selbst-Definition
3. Unser Glück versuchen
4. Überblick
KAPITEL V Handeln unter der Idee der Freiheit
1. Wie kannst du jetzt noch überlegen?
2. Ein Entwurf des vollkommenen überlegenden Wesens
3. Wirkliche Gelegenheiten
4. „Vermeiden“, „vermeidbar“, „unausweichlich“
KAPITEL VI „Hätte anders können“
1. Machen wir uns darüber Gedanken, ob wir anders gekonnt hätten?
2. Worüber wir uns Gedanken machen
3. „Kann“ – der Frosch in Austins Bierkrug
KAPITEL VII Warum wollen wir freien Willen?
1. Der vernachlässigte Nihilismus
2. Verminderte Zurechnungsfähigkeit und das Gespenst der schleichenden Exkulpation
3. Das schreckliche Geheimnis wird bestritten
Literaturverzeichnis
Register
Einleitung zur Neuauflage
Als ich Ellenbogenfreiheit im Jahre 1984 veröffentlichte, nahm ich an, es bliebe das einzige Buch über Willensfreiheit, das ich je zu schreiben für nötig halten würde. Und ich glaube, dass es nach dreißig Jahren nach wie vor eine sehr effektive, wenn auch schwerlich umfassende Argumentation für den Kompatibilismus darstellt. Die Varianten des freien Willens, die erstrebenswert sind, die Varianten, die moralische und künstlerische Verantwortung garantieren, werden nicht nur nicht durch die Fortschritte in den (Neuro-)Wissenschaften gefährdet; sie werden sogar unterschieden, erklärt und detailliert gerechtfertigt. Daneben sind noch andere, einfach zu definierende Varianten der Willensfreiheit in Umlauf, die nicht vereinbar sind mit unserem derzeitigen Wissen darüber, wie Menschen ihr Verhalten kontrollieren, wie etwa „libertarische Freiheit“ oder „Agenskausalität“. Sie existieren aber nicht und können auch nicht existieren; selbst wenn einige Philosophen sie immer noch ernst nehmen, sind sie bloß von historischem Interesse wie Meerjungfrauen und Kobolde.
Man kann sagen, dass ich die Hartnäckigkeit einiger der Ideen unterschätzt habe, die ich in den 1980er Jahren zu demontieren und zu diskreditieren versuchte. Obwohl der Kompatibilismus, wie ich ihn in Ellenbogenfreiheit verteidigt habe, unter Philosophen wohl immer noch mehrheitlich vertreten wird, gibt es nach wie vor tapfere Verfechter all dieser anderen Ismen, die ihre Positionen weiterhin in Büchern und Artikeln verteidigen. Etwas beunruhigender ist die Tatsache, dass sich einige eminente Wissenschaftler seit kurzem für den freien Willen interessieren und ihn selbstsicher als Illusion bezeichnen. Unter ihnen finden sich der Physiker Stephen Hawking, der Evolutionsbiologe Jerry Coyne sowie die Kognitionswissenschaftler Wolf Singer, Chris Frith und Paul Bloom. Sie beschränken sich dabei auf jene nur von Minderheiten vertretenen Willensfreiheitskonzeptionen, ignorieren aber den Kompatibilismus, statt ihn zu berücksichtigen. Oder aber sie akzeptieren dankbar Kants berüchtigte Abweisung (eine „elende Täuschung“) ohne weitere Diskussion.
Warum? Warum konzentrieren sich diese Wissenschaftler auf die am wenigsten wissenschaftlich fundierten Konzeptionen von Willensfreiheit? Als ich einige von ihnen befragt habe, stellte sich heraus, dass sie zum einen Bestürzung über unsere gegenwärtigen Strafsysteme umtreibt (eine Bestürzung, die wir alle teilen sollten), zum anderen folgende Intuition: Könnten wir uns nur dieses antiquierten Mythos des freien Willens entledigen, dann könnten wir moralische Verantwortung verbannen und Strafe (punishment) – die sie nicht von Sühne (retribution) unterscheiden – durch etwas Besseres ersetzen, etwas, das freilich selten angegeben wird. Es fällt ihnen relativ leicht, zu zeigen, dass die Idee eines Ich oder einer Seele, das oder die sich auf wundersame Weise (ohne eine kausale Vorgeschichte) für die eine Handlung statt für eine andere entscheidet, reine Phantasie ist, die die Wissenschaft zurückweisen muss. Dies, so glauben sie, eliminiert den freien Willen und öffnet einer Revolution unserer Behandlung gemeingefährlicher Menschen, deren Handlungen eingeschränkt werden müssen, Tür und Tor. Da sie der Meinung sind, dass man die Details dieser rechtlichen und ethischen Reform besser den Experten für Recht und Ethik überlassen sollte, weisen sie lediglich in die Richtung einer kärglich erdichteten Zukunft ohne die schreckliche und überflüssige Last der moralischen Verantwortung. Wenn sich doch nur diese Bescheidenheit bezüglich ihrer Expertise auch auf ihre Analyse der ausschlaggebenden Konzeption von Willensfreiheit erstreckte!
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