Daniel Badraun
Hundsvieh
Ein Fall für Müller & Himmel
Auf den Hund gekommen Claudio Mettler ist blank. Um seine Finanzen ins Lot zu bringen, nimmt er jede Arbeit an. Wie die im Kunstmuseum in Chur oder die bei der Post in St. Moritz. Mona, Claudios anspruchsvolle Freundin, macht ihm mächtig Dampf. Und so schlittert Mettler in Chur ungewollt in einen Fall hinein, der ihn um ein Haar ins Gefängnis bringt: Die Giacometti-Skulptur Le chien, auf die Mettler hätte aufpassen müssen, wird bei einer Vernissage gestohlen. Doch Polizei, Museumsleitung und die Strippenzieher im Hintergrund haben den starrköpfigen Bergler unterschätzt. Eine wilde Jagd quer durch den Kanton Graubünden beginnt. Natürlich muss sich einer wie Mettler von solchen Strapazen erholen. Im heruntergekommenen Bad Innerpers sucht er seine Ruhe. Doch Mettler wäre nicht Mettler, wenn er nicht auch hier Probleme anziehen würde. Politiker, Tourismuspromoter, Kühe und Leichen machen ihm das Leben schwer, sodass er sogar überlegt, seine verdiente Badekur abzubrechen …
Daniel Badraun, geboren 1960 im Engadiner Dorf Samedan, schreibt für Erwachsene und Kinder. Seit 1989 arbeitet er als Kleinklassenlehrer in Diessenhofen. Darüber hinaus war er einige Jahre Abgeordneter im Thurgauer Kantonsparlament. Seit 2006 schreibt der Autor für das Leseförderprojekt »Geschichtendock«. Daniel Badraun wohnt mit seiner Frau in der Nähe des Bodensees, hat vier erwachsene Kinder und eine wachsende Enkelschar. Neben dem Schreiben ist er auch oft draußen anzutreffen, auf dem Rad oder auf Wanderwegen. 2018 wurde sein Theaterstück »Schnee von gestern« in Chur uraufgeführt. www.badrauntexte.ch
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: René Stein
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © nivoa / photocase.de
ISBN 978-3-8392-4136-3
Für Daniela
Teil 1 Von Hunden Der Köter von Alberto
Da qualche parte c’è una terra che brucia, lo sai,
che mi riscalda il cuore e non mi abbandona mai
e le sue pioggie sono lagrime di primavera
voglie d’aprile sulle ombre di questa sera.
Dimmi cos’è,
che mi sorprende a vegliare la notte, dimmi perchè!
Bevor die Sterne verblassen und der Mond erlischt,
Dunkle Vertrautheit in der ersten Sonne zerbricht,
Zieh’ ich tastend mich in die Nacht zurück
Singende Lichter mich weckender Augenblick.
Milchstraßenlang
Bis meine schlafende Erde sich aufmacht, zu blühendem Gang.
Pippo Pollina und Linard Bardill
April 1996
Der Eisenbahnwaggon kommt aus der Dunkelheit des Tunnels heraus, ein Blinzeln, schon sind wir in schwindelerregender Höhe auf dem Landwasserviadukt. Der Zug, ein Geländer, darunter die gähnende Leere. Irgendwo im Nichts Felsbrocken, Wasser, Büsche und Wiesen. Ich sitze da und starre hinunter in den Abgrund. Tiefer als in solch ein Loch hier könnte ich kaum fallen.
Vor einer Stunde bin ich in St. Moritz losgefahren. Schnellzug nach Chur mit Halt in Celerina, Samedan, Bergün, Filisur, Tiefencastel, Thusis und Reichenau. In jedem dieser Orte würde ich liebend gerne aussteigen, einen Tee trinken und dann gemütlich zurückfahren. Doch ich kann und darf nicht.
Wie gelähmt starre ich in die Tiefe, zwischen den Pfeilern des mächtigen Bauwerks fließt weit unten der tosende Fluss. Einige japanische Touristen hinter mir lehnen sich mit ihren Fotoapparaten und Filmkameras weit aus dem Fenster. Aufregung macht sich breit. Das Viadukt muss abgelichtet werden, möglichst aus der nächsten Kurve heraus, damit zu Hause einige der roten Wagen auf dem Bild erscheinen. Könner bringen auch noch den Tunnelausgang mit aufs Bild. Die Rhätische Bahn, die ›Kleine Rote‹, wie die Schmalspurbahn von den Werbern liebe- und effektvoll genannt wird, ist ein Tourismusmagnet für Eisenbahnfreunde aus der ganzen Welt. Diese Strecke mit den imposanten Bauwerken müsste eigentlich UNESCO-Weltkulturerbe werden. Für mich ist dieser Zug das einzig mögliche Verkehrsmittel, das mich von A nach B bringt, von St. Moritz nach Chur, die Straße kommt für mich nicht infrage, denn ich kann und will mir keinen Wagen leisten. Und mit dem Fahrrad überqueren nur gestählte Fitnessapostel in einer Sinnkrise die Pässe, die aus meinem Tal herausführen.
Knapp zwei Stunden Zugfahrt trennen St. Moritz von der Kantonshauptstadt Chur, in der mich das Unvermeidliche erwartet.
Die Tür des Abteils geht auf. Der Imbisswagen.
»Kaffee, Gipfel, Mineral, Sandwich!«
Langsam rollt der Wagen auf mich zu. Professionelle Freundlichkeit in einem dunklen Gesicht. »Sie wünschen, Chef?«
»Einen Tee bitte.«
»Creme, Zucker, Lemon?«
»Creme und Zucker.«
Breitbeinig schenkt der Hochgebirgszugkellner ein. »Gipfel auch, Chef?« Lächelnd stellt er den Becher auf das Tischchen unter dem Fenster mit der fantastischen Landschaft und schaut mich erwartungsvoll an.
»Kein Gipfel.«
»Sandwich?« Der gibt wohl nie auf! »Käse, Schinken, Salami?«
Genervt schüttle ich den Kopf.
»Zigaretten?«
Ein müdes Kopfschütteln. Irgendwann in einer fernen Vergangenheit, als alles noch so leicht schien, das Leben weit und verheißungsvoll vor mir lag, da rauchte ich. Nicht viel, eine Zigarette da, eine dort zu einem guten Kaffee oder einem Glas Wein. Mit einem Freund am Fluss, wir schauten dem Wasser nach und zogen den Rauch tief in uns hinein. Das Wasser trug unsere Träume und Wünsche in die Welt hinaus. Irgendwie glaubte ich, das Leben zu spüren.
Unterdessen bin ich fast dreißig, das Leben hat mich manchmal leicht gestreift, doch richtig fassen konnte ich es nie. Ein Hauch von Ewigkeit flog vorbei, damals am Ganges in Indien, an den Ghats, den Treppen, die hinunter zum Wasser führten. In ihren langen Saris die Frauen, mit einem schlichten Tuch um den Bauch die Männer, so gingen sie langsam hinunter zum Fluss, übergaben ihre Opfergaben dem Wasser, führten dann die vorgeschriebenen rituellen Waschungen durch.
In Indien, da spürte ich etwas, das sich wie ein Sinn anfühlte, eine tiefe Intensität. Seither ziehen die Tage und Wochen an mir vorbei, ziellos streife ich durch dieses Leben, in dem ich nicht wirklich angekommen bin und keine echte Herausforderung spüre.
Der Mann zieht eine Schublade aus seinem kleinen Wagen.
»Fisherman’s Friend vielleicht?«
»Nein, danke.«
Im Moment habe ich nicht sehr viel Geld, der Hunderter in meiner Tasche gehört nicht mal mir, er ist bloß geliehen, Mona wird ihn zu gegebener Zeit von mir zurückverlangen.
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