«Verzage nicht, du Häuflein klein,
Ob auch die Feinde willens sein,
Dich gänzlich zu zerstören!»
und ein tannenschlankes Mädchen mit lustigen Augen, kurzgeschnittenen Haaren, knabenhaften Formen und ziemlich reitermäßigen Manieren eintrat.
«Willst du uns die Ohren zersprengen, Base?» zankten die beiden Leubelfinge. Sie, das trübselige Paar musternd, erwiderte: «Ich komme, euch zum Essen zu rufen. Was hat’s gegeben, Herr Ohm und Herr Vetter? Ihr habt ja beide ganz bleiche Nasenspitzen!» Der zwischen den Hilflosen liegende Brief, den das Mädchen ohne weiteres ergriff, und als sie die kräftig hingeworfene Unterschrift des Königs gelesen, mit leidenschaftlichen Augen verschlang, erklärte ihr den Schrecken. «Zu Tische, Herren!» sagte sie und schritt den beiden voran in das Speisezimmer. Hier aber ging es dem gutherzigen Mädchen selber nahe, wie den Leubelfingen jeder Bissen im Munde quoll. Sie ließ abtragen, setzte ihren Stuhl zurück, kreuzte die Arme, schlug unter ihrem blauen Rocke, an dessen Gurt die Tasche und der Schlüsselbund hing, ein schlankes Bein über das andere und ließ, horchend und nachdenkend, den ganzen verfänglichen Handel sich vortragen; denn sie schien vollständig zum Hause zu gehören und sich darin mit ihrem kecken Wesen eine entschiedene Stellung erobert zu haben.
Die Leubelfinge erzählten. «Wenn ich denke», sagte dann das Mädchen mutig, «wer es war, der das Hoch auf den König ausbrachte!»
«Wer denn?» fragten die Leubelfinge, und sie antwortete: «Niemand anders als ich. »
«Hol’ dich der Henker, Mädchen!» grollte der Alte. «Gewiß hast du den blauen schwedischen Soldatenrock, den du dir im Schrank hinter deinen Schürzen aufhebst, angezogen und dich in den Speisesaal an deinen Götzen hinangeschlichen, statt dich züchtig unter den Weibern zu halten.»
«Sie hätten mir den hintersten Platz gegeben», versetzte das Mädchen zornig, « die kleine Hallerin, die große Holzschuherin, die hochmütige Ebnerin, die schiefe Geuderin, die alberne Creßerin, tutte quante, die dem Könige das Geschenk unserer Stadt, die beiden silbernen Trinkschalen, die Himmelskugel und die Erdkugel überreichen durften.»
«Wie kann ein schamhaftes Mädchen, und das bist du, Gustel, es nur über sich bringen, Männertracht zu tragen!» maulte der zimperliche Jüngling.
«Das heißt», erwiderte das Mädchen, ernst, «die Tracht meines Vaters, wo noch neben der Brusttasche das gestopfte Loch sichtbar ist, das der Degen des Franzosen gerissen hat. Ich brauche nur einen schrägen Blick zu tun» – sie tat ihn, als trüge sie die väterliche Tracht –, «so sehe ich den Riß, und es wirkt wie eine Predigt. Dann», schloß sie, aus dem Ernst nach ihrer Art in ein Lachen überspringend, «wollen mir die Weiberröcke auch gar nicht sitzen. Kein Wunder, daß sie mich schlecht kleiden, bin ich doch bis in mein vierzehntes Jahr mit dem Vater und der Mutter in kurzem Habit zu Rosse gesessen.»
«Liebe Base», jammerte der junge Leubelfing nicht ohne eine Mischung von Zärtlichkeit, « seit dem Tode deines Vaters bist du hier wie das Kind des Hauses gehalten, und nun hast du mir das eingebrockt! Du lieferst deinen leibhaftigen Vetter wie ein Lamm auf die Schlachtbank! Der Utz wurde durch die Stirn geschossen, der Götz durch den Hals!» Ihn überlief eine Gänsehaut. «Wenn du mir wenigstens einen guten Rat wüßtest, Base!»
«Einen guten Rat», sagte sie nachdrücklich, «den will ich dir geben: halte dich wie ein Nüremberger, wie ein Leubelfing!»
«Ein Leubelfing!» giftelte der alte Herr. «Muß denn jeder Nüremberger und jeder Leubelfing ein Raufbold sein, wie der Rupert, dein Vater, Gott hab’ ihn selig, der mich, den Älteren, er ein Zehnjähriger, auf einem Leiterwagen entführte, umwarf, heil blieb und mir zwei Rippen brach? Welche Laufbahn! Mit fünfzehn zu den Schweden durchgegangen, mit siebzehn eine Fünfzehnjährige vor der Trommel geheiratet, mit dreißig in einem Raufhandel das Zeitliche gesegnet!»
«Das heißt», sagte das Mädchen, «er fiel für die Ehre meiner Mutter –»
«Weißt du mir keinen Rat, Guste?» drängte der junge Leubelfing. «Du kennst den schwedischen Dienst und die natürlichen Fehler, die davon frei machen. Auf was kann ich mich bei dem Könige gültig ausreden? »
Sie brach in ein tolles Gelächter aus. «Wir wollen dich», sagte sie, « wie den jungen Achill im Bildwerk am Ofen dort unter die Mädchen stecken, und wenn der listige Ulysses vor ihnen das Kriegszeug ausbreitet, wirst du nicht auf ein Schwert losspringen.»
«Ich gehe nicht!» erklärte der durch diese mythologische Gelehrsamkeit Geärgerte. «Ich bin nicht die Person, welche der Vater dem Könige geschildert hat.» Da fühlte er sich an seinen beiden dünnen Armen gepackt. Ihm den linken klaubend, zeterte, der alte Leubelfing: «Willst du mich ehrwürdigen Mann dem Könige als einen windigen Lügner hinstellen? » Das Mädchen aber, den rechten Arm des Vetters drückend, rief entrüstet: «Willst du mit deiner Feigheit den braven Namen meines Vaters entehren?»
«Weißt du was», schrie der Gereizte, «gehe du als Page zu dem König! Er wird, bubenhaft wie du aussiehst und dich beträgst, das Mädchen in dir ebensowenig vermuten, als der Ulysses am Ofen, von dem du fabelst, in mir den Buben erraten hätte! Mach’ dich auf zu deinem Abgott und bet’ ihn an! Am Ende», fuhr er fort, «wer weiß, ob du das nicht schon lange in dir trägst? Träumest du doch von dem Schwedenkönig, mit welchem du als Kind in der Welt herumgefahren bist, wachend und schlafend. Als ich vorgestern auf meine Kammer ging, an der deinigen vorüber, hörte ich deine Traumstimme schon von weitem. Ich brauchte wahrlich mein Ohr nicht ans Schlüsselloch zu halten. «Der König! Wache heraus! Präsentiert Gewehr!» Er ahmte das Kommando mit schriller Stimme nach.
Die Jungfrau wandte sich ab. Eine Purpurröte war ihr in Wangen und Stirne geschossen. Dann zeigte sie wieder die warmen lichtbraunen Augen und sprach: «Nimm dich in acht! Es könnte dahin kommen, wäre es nur, damit der Name Leubelfing nicht von lauter Memmen getragen wird!»
Das Wort war ausgesprochen und ein kindischer Traum hatte Gestalt gewonnen als ein dreistes aber nicht unmögliches Abenteuer. Das väterliche Blut lockte. Des Mutes und der Verwegenheit war ein Überfluß. Aber die maidliche Scham und Zucht – der Vetter hatte wahrhaftes Zeugnis abgelegt – und die Ehrfurcht vor dem Könige taten Einspruch. Da ergriff sie der Strudel des Geschehens und riß sie mit sich fort.
Der schwedische Kornett, welcher das Schreiben des Königs gebracht hatte und den neuen Pagen ins Lager führen sollte, meldete sich. Statt in die grauen Mauerbilder Meister Albrechts hatte er sich in eine lustige Weinstube und in einen goldgefüllten grünen Römer vertieft, ohne jedoch den Glockenschlag zu überhören. Der alte Leubelfing, in Todesangst um seinen Sohn und um seine Firma, machte eine Bewegung, die Knie seiner Nichte zu umfangen, nicht anders als um den Körper seines Sohnes bittend der greise Priamus die Knie Achills umarmte, während der junge Leubelfing an allen Gliedern zu schlottern begann. Das Mädchen machte sich mit einem krampfhaften Gelächter los und entsprang durch eine Seitentür gerade einen Augenblick, ehe sporenklirrend der Kornett eindrang, ein Jüngling, dem der Mutwille und das Lebensfeuer aus den Augen spritzte, obwohl er in der strengen Zucht seines Königs stand.
Auguste Leubelfing wirtschaftete hastvoll, wie berauscht in ihrer Kammer, packte einen Mantelsack, warf sich eilfertig in die Kleider ihres Vaters, die ihrem schlanken und knappen Wuchs wie angegossen saßen, und dann auf die Knie zu einem kurzen Stoßseufzer, um Vergebung und Begünstigung des Abenteuers betend.
Als sie wieder den untern Saal betrat, rief ihr der Kornett entgegen: «Rasch, Herr Kamerad! Es eilt! Die Rosse scharren! Der König erwartet uns! Nehmt Abschied von Vater und Vetter!» und er schüttete mit einem Zug den Inhalt des ihm vorgesetzten Römers hinter seinen feinen Spitzenkragen.
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