Würde das mit uns funktionieren?
Ohne mir Gedanken zu machen oder es zu hinterfragen, hatte ich Jans lieben Worten und seiner Bitte nach einer zweiten Chance nachgegeben. Er hatte mir weisgemacht, dass ich ihm noch immer viel bedeutete, dass er mich wollte. Und ich war unter seinen Berührungen einfach dahingeschmolzen. Hoffentlich war das alles kein Fehler.
Der laute Knall eines Sektkorkens, gefolgt von einer Sektfontäne riss mich aus meinen Gedanken. Alle lachten und ein verstört schauender junger Mann bemühte sich, die überschäumende Flasche über die leeren Sektgläser zu halten, um wenigstens nicht allzu viel der prickelnden Flüssigkeit zu verschwenden. Auch ich lächelte und rückte noch einen Schritt näher an Jan. Ich würde ihn nicht mehr hergeben.
Nachdem unsere Sektgläser geleert und alle Glückwünsche ausgesprochen waren, machten wir uns auf den Weg zur nächsten Location. Das wurde auch Zeit, denn der Schlosspavillon war nicht gerade gut geheizt und langsam fraß sich die Kälte unnachgiebig durch meinen Mantel. An den Autos, die am Straßenrand standen, waren mittlerweile weiße Bänder angebracht worden. Soweit ich mich an Sebastians Planung erinnern konnte, hatte das Paul übernommen. Jan und ich stiegen in das Auto, mit dem wir angekommen waren. Hiro ging mit Sebastian zu dem pompösen Oldtimer, der auf der Fronthaube mit Blumen in Weiß und Rot geschmückt war. Hupend folgte ein ganzer Tross Autos den beiden. Nach etwa zehn Minuten Fahrt erreichten wir einen Parkplatz vor einem großen, schicken Gebäude.
Wir durchschritten ein mächtiges Eingangstor und staunten nicht schlecht: Vor uns erstreckte sich ein riesiger Festsaal. Nachdem wir unsere Wintermäntel an einer Garderobe aufgehängt hatten, betraten wir mit vielen anderen Gästen den festlich geschmückten und beleuchteten Raum. Ich hatte mich kaum umgesehen und orientiert, da explodierte ein grelles Licht vor mir und sorgte für einen Moment dafür, dass vor meinen Augen schwarze Punkte tanzten.
»Bitte lächeln!«
Ich kam kaum dazu, meine Mundwinkel auch nur einen Millimeter in die Höhe zu schieben, als es schon wieder blitzte.
»Was zur Hölle?«, entfuhr es mir. Das war mit Abstand der aufdringlichste und rücksichtsloseste Fotograf, den ich je gesehen hatte.
»Das nächste Pärchen bitte!« Und schon wurden wir weitergeschoben, während der Fotograf des Teufels das Paar hinter uns quälte.
»Nur damit du vorgewarnt bist: Ich hatte eben auf jedem der Fotos die Augen geschlossen«, gab Jan leise zu.
»Damit hast du wohl deine Netzhaut gerettet. Ich bin leider erblindet«, erwiderte ich und versuchte einige Tränen wegzublinzeln.
»Kein Problem«, raunte er und küsste meinen Handrücken. »Ich führe dich.«
Und ich folge dir, egal wohin, dachte ich mir. Ich sagte es natürlich nicht laut, immerhin wollte ich mich ja nicht komplett lächerlich machen. Es war mir peinlich genug, welchen kitschigen Kram ich mittlerweile schon wieder dachte.
»Du traust dem Braten nicht, stimmt‘s?« Jan zog mich am Ellenbogen in eine Ecke, in der wir relativ ungestört waren. Immer noch wurden alle Gäste direkt am Eingang zu dieser Fotosession gezwungen. Das Blitzlicht lenkte mich kurz ab.
»Bitte was?«
»Uns.« Er zeigte mit dem Finger zwischen und beiden hin und her. »Dass das mit uns wieder etwas werden könnte. Du hast Zweifel.«
Ich zog die Augenbrauen eng zusammen und fuhr mir mit den Fingerspitzen durchs Haar. Verdammt, ich hatte die Haarnadeln vergessen. Vorsichtig versuchte ich, die Frisur, die Christian geschaffen hatte, nicht zu zerstören, und drückte mir die eine Haarnadel wieder zurück in mein Haarspray-Nest.
»Nora?«
»Es geht eben alles ziemlich schnell«, gab ich leise zu.
»Das stimmt.« Er lächelte und gab mir einen zarten Kuss auf die Lippen »Aber ab jetzt haben wir alle Zeit der Welt.«
Ich nickte. Verdammt, ich wollte ihm ja glauben. Und mein Herz tat es. Mein Herz war mit Feuereifer ganz bei ihm. Nur mein Hirn hinterfragte, zweifelte und machte sich unnötige Gedanken. Dumm und naiv müsste man sein. Das Leben wäre um einiges einfacher.
»Wo sind eigentlich Hiro und Sebastian? Haben wir die verloren?«
»Die werden gerade draußen fotografiert. Dort steht ein Weihnachtsbaum und einiges an Deko. Du weißt doch, wie Sebastian ist.« Oh ja, ich konnte mir die Fotos schon lebhaft vorstellen. Sebastian hatte Weihnachten schon immer geliebt und nun feierte er einen Tag vor Heiligabend seinen Hochzeitstag. Er würde in Zukunft aus dem Feiern gar nicht mehr rauskommen.
»Jan, kannst du bitte mal rauskommen? Jemand muss das Licht für den Fotografen halten.» Hiro schaute um die Ecke und wirkte gehetzt.
»Klar«, rief er Hiro entgegen und richtete sich dann wieder zu mir. »Ist es okay, wenn ich dich kurz alleine lasse?«
»Soll ich mit rauskommen?«
»Draußen ist es eisig. Bleib doch hier, such schon mal unseren Platz und ordere ein bisschen Wein für uns. Später werden wir eh noch mit den beiden fotografiert. Du musst also noch früh genug in die Kälte.« Es folgte ein Kuss auf die Stirn und schon sprintete er zur Garderobe, schnappte sich dort seinen Mantel und folgte seinem frischgebackenen Schwager nach draußen.
Ich schaute mich um und erblickte als erstes Christian, der seinen Platz wohl schon gefunden hatte. Er unterhielt sich mit einer jungen Frau, die ich nicht kannte. Ich ging zu ihm und beteiligte mich ein wenig am Smalltalk. Er stellte sie mir als Hina vor, eine Tante von Hiroki. Sie war nett, zierlich und bildschön. Gerade berichtete sie Christian von ihrer Tortur, ein passendes Kleid für heute zu finden. Anscheinend war sie erfolgreich gewesen. Sie trug ein leuchtend gelbes Cocktailkleid mit dünnen Spaghettiträgern. Zu ihren schwarzen, langen Haaren, die ihr glatt den Rücken hinunterfielen, sah es wunderschön aus. Trotzdem musste ich innerlich lachen, als ich an Sebastians Abneigung gegenüber allem Gelben dachte. Er würde bei Hiros Tante hoffentlich ein Auge zudrücken.
»Soll ich uns mal was zu trinken besorgen?«, rief Christian. Er musste sich bemühen, von uns gehört zu werden, da die Band, Chocolate Life, gerade begonnen hatte zu spielen. Der erste Song des Abends war All you need is love von den Beatles. Der Klassiker.
»Ein Glas Weißwein für mich bitte.«
»Für mich auch«, stimmte Hina mit ein.
»Dann schau ich mal, was ich organisieren kann.« Er zwinkerte uns zu, ging zu einer Bar am anderen Ende des Raumes und gab dort bei einem Kellner seine Bestellung auf.
»Und du, Nora, wo sitzt du?«
»Weiß ich noch gar nicht. Bei Sebastian und Hiroki am Tisch. Aber wo ist das? Irgendwie sieht das hier alles anders aus als auf dem Plan.«
»Das Ehepaar sitzt, glaube ich, da hinten. Da, der Tisch mit den weißen Rosen.« Sie zeigte mit dem Finger in eine Richtung und ich drehte mich um.
Doch als ich die festlich geschmückte Tafel erblickte, traf mich fast der Schlag. Wie konnte das sein?
Was machte sie hier? Und dann auch noch in diesem teuflischen Fetzen eines Kleides. Rote Stoffbahnen bedeckten gerade einmal so viel ihres Körpers, dass es nicht als sexuelle Belästigung durchging. Ich sah viel zu viel Dekolleté, schmale Schultern und extrem lange Beine, die aus einem obszönen Schlitz an der Seite des Kleides herauslugten. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt. Rote Rosen steckten darin. Sie sah verdammt noch mal viel zu gut aus. Alleine dafür hasste ich sie schon. Noch mehr hasste ich sie allerdings für die Tatsache, dass sie hier war. Hier, auf Sebastians Hochzeit. Sie stand an unserem Tisch, mit einem Sektglas in der Hand.
Fernanda.
Ich kochte vor Wut. War sie tatsächlich eingeladen? Oder hatte man einfach versäumt, sie rechtzeitig auszuladen? Egal! Sie war fehl am Platz.
Ich ging einige Schritte auf sie zu. Aber die Wut in meinem Magen wich schon nach den ersten Metern einem anderen Gefühl. Unsicherheit.
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