Was sich durch die Umbenennung nicht geändert haben dürfte.
Ende des wienerischen Exkurses.
4
Nachdem die Putzfrau Bogdana Matijovic das gesammelte vertrauliche Altpapier im Container für die Vernichtung untergebracht hatte war auch ihr Arbeitstag zu Ende. Beim Umziehen in der Garderobe fiel ihr wieder der Umschlag mit dem harten Gegenstand in die Hand, auf den sie schon vergessen hatte. Aha, eine Uhr! Sieht ja nett aus, kann aber nicht viel wert sein, wenn sie jemand mit dem Altpapier entsorgen wollte. Dachte zumindest Bogdana. Der nächste Gedanke war, dass ihr Neffe Ivko doch heute Geburtstag hatte, ein Wink des Schicksals, der würde sich sicher über eine hübsche Uhr freuen. Auch wenn sie nicht viel wert sein sollte. Aber egal, mangels eigener Kinder hing Bogdana an ihrem Neffen und wann immer sie ihm eine Freude machen konnte, tat sie es. Nicht dass dieser ihr es auch je gedankt hätte, aber das fiel ihr auch gar nicht auf.
Man sollte das nicht so negativ sehen. Es ist ja kein Einzelfall. Da kommt ein Mann vom Balkan nach Wien. Auf der Suche nach Arbeit und weil es ihm und seiner Familie besser gehen soll. Dann lässt er seine Familie nachkommen, auch die Frau arbeitet brav, der kleine Sohn wird in die Schule geschickt, er ist der ganze Stolz der Familie. Ja, er wird es einmal besser haben! Alle verhätscheln ihn. Aber leider geht da irgendwie die Erziehung unter.
Ivko Stojadinovic freute sich wirklich. Auch wenn er sicher war, dass seine Tante keine Ahnung hatte, was sie da verschenkt hatte. Aber Ivko hatte einen Blick dafür. Als geübter Kleinkrimineller konnte er ganz gut den Wert der Dinge einschätzen. Aber halt! Lassen wir dem guten Mann Gerechtigkeit angedeihen. Immerhin war er noch nie im Gefängnis gewesen. Nicht, dass er es nicht verdient hätte. Aber bei dem einzigen Taschendiebstahl, bei dem er bisher erwischt worden war, hatte ihn ein milder Richter mit einer Entschuldigung und Schadenswiedergutmachung davonkommen lassen. Seither war er bei seinen fast schon gewohnheitsmäßigen gesetzwidrigen Aktionen erheblich vorsichtiger gewesen und auch nie mehr ertappt worden.
Das Gold der Uhr schien ihm echt zu sein und die Nummerierung war ebenso ein Hinweis auf Echtheit und größeren Wert. Und natürlich, wer sich mit Uhren auskennt dem ist die Marke „Glashütte“ nicht fremd. Sicherheitshalber unterließ er es, seine Tante zu fragen, woher sie das gute Stück hatte. Erstens weil er sie nicht beunruhigen wollte und zweitens war es auf jeden Fall besser, nichts zu wissen, sollte sich je die Polizei dafür interessieren.
Trotz seiner reichen Erfahrung – ja, es waren bisher nicht nur Taschendiebstähle gewesen, im Rahmen seiner beruflichen Weiterentwicklung waren es nun mehrheitlich Einsteigdiebstähle gewesen. Einbrüche eher nicht, abgesehen von unbewohnten Sommerhäusern, davon aber nur wenige – hatte der gute Ivko aber doch seine Zweifel. Entweder war das vielleicht doch eine asiatische Fälschung und daher eher wertlos oder die Uhr war wirklich echt. Aber dann in einer Preisklasse, in die seine bisherigen Aktivitäten noch nie vorgedrungen waren. Diese offene Frage sollte allerdings auch kein Problem sein, Ivko hatte sich ein Netz an offiziellen und inoffiziellen Händlern für die verschiedenen Arten seines Beutegutes aufgebaut. Unter anderem Gezim Hajdari, ein Albaner, der in einem der stark von Zuwanderern durchsetztem Außenbezirke einen Schmuck- oder Altwarenladen betrieb. Nicht Ivkos bevorzugter Abnehmer, weil Gezim in seinen Augen sehr knausrig war. Unbestritten jedoch ein Fachmann für Schmuck und Uhren. Morgen würde er ihm die Uhr zeigen und er konnte sicher sein, dass diese mindestens das doppelte von dem wert war, was Gezim ihm bieten würde.
Auch an dieser Stelle ist ein wienerischer Exkurs notwendig:
Wien hatte um 1500 etwa zwanzigtausend Einwohner. Seither sind immer wieder, oft in Wellen, Menschen – Migranten – in diese Stadt eingewandert. Wien war ja immerhin lange Reichshaupt- und Residenzstadt eines großen Reiches, fast ein vereintes Europa. Und immer haben sich die Neuankömmlinge in bestimmten Stadtteilen konzentriert und wurden nach und nach, oft über Generationen, „echte“ Wienerinnen und Wiener. Halten wir also fest, mindestens achtundneunzig Prozent der Wiener haben Migrationshintergrund. Auch wenn die erste Generation der Zuwanderung schon ein wenig länger zurückliegen mag.
Aber es ist das Dilemma des Wieners, dass er sich in Wien immer als Fremder unter Fremden fühlt. Das ändert sich erst, wenn er im Urlaub beispielsweise am Strand von Lignano oder Thailand oder Mallorca auf andere Wiener trifft. Dann erst sind Wiener unter sich, auch wenn sie sich in Wien selbst vielleicht nicht ausstehen könnten.
Ende des wienerischen Exkurses.
Ivko Stojadinovic fühlte sich trotz der weit gefächerten Ansichten über Migration und Migranten in Wien in seinem Wohnbezirk wie ein Fisch im Wasser. Sein Deutsch war zwar fehlerfrei, wenn man das durch Lokalkolorit geprägte Vokabular außer Acht lässt, als zwar österreichischer Staatsbürger aber Migrant in der zweiten Generation hatte er allerdings noch einen hörbaren Dialekteinschlag. Sozusagen spezielles Wienerisch. Was jedoch in seinem Wohnbezirk keine Rolle spielte. Dort war das sozusagen ohnehin der Standard. Nicht nur beim Großteil der Wohnbevölkerung, auch bei seinen Geschäftspartnern.
5
Die Nacht senkte sich über Wien. Zeit, diesen für einige Mitbürger ereignisreichen Tag zu rekapitulieren.
Dr. Ferdinand Klein, der „kleine Ferdl“ war nach der ihn emotional sehr belastenden Feier zu seiner Gemahlin heimgekehrt, die natürlich wissen wollte, wie es gelaufen sei. Nach einem kurzen Bericht, in dem er offenbar seine leicht depressive Stimmung nicht verbergen konnte, hatte ihn seine Frau angeschnauzt, er solle sich nicht so haben und froh sein, dass er jetzt ein neues Kapitel in seinem Leben aufschlagen könne. Wobei sie ihn tatkräftig unterstützen würde. Was seine depressive Stimmung in keiner Weise aufhellte. Im Gegenteil, das hatte er ja schon befürchtet.
Der Aufsichtsratsvorsitzende Alfons Aichberger leistete Basisarbeit bei der Sitzung einer Sektion – wie er seiner Gattin erklärt hatte. Diese Sitzung verlief sehr entspannend, zumal sie im Schlafzimmer einer Gemeindewohnung stattfand und außer Aichberger nur eine Teilnehmerin, nämlich die Mieterin dieser Wohnung, dabei war. Diese, eine etwa dreißigjährige blonde Schönheit mit beachtlicher, derzeit frei schwingender, Oberweite saß auf dem am Rücken liegenden Parteipolitiker (was den Begriff Sitzung verdeutlicht) und tat bei rhythmischen Bewegungen schon fast atemlos kund, wie sehr sie die Betreuungsqualitäten des Herrn Stadtrates schätzte. Und da Politiker ja immer gerne Menschen betreuen schätzte auch Aichberger diese Art der Betreuungsarbeit. Es würde spät werden, bis er nach Hause kam, sein ihm angetrautes holdes Weib schon schlafen. Was ihm glücklicherweise die Notwendigkeit sinnloser und langweiliger Gespräche ersparen würde, wobei bei diesen ohnehin nur ein Gesprächsteilnehmer, nämlich seine Frau, sprach. Der Tag insgesamt würde also kein schlechter gewesen sein.
Kurt Sichrovsky hatte sich am Abend noch mit seinem „Advisor“ getroffen. Er war eben ein moderner Manager und die hielten sich einen ständigen persönlichen Berater. Als selbstbestimmte Führungskraft musste man ja nicht alles glauben oder sogar umsetzen, was einem so ein Berater alles erzählte. Aber in verschiedenen Situationen war es immer wertvoll, einen externen Fachmann zu zitieren und diesen gleichsam als Zeugen für die eigene Meinung zu verwenden. Egal, ob dieser das je gesagt hatte oder auch nicht. Später, in den Schoß seiner Familie zurückgekehrt, hatte er die Probleme seiner Frau mit den Kindern und dem Haushalt bei einem Ohr hinein und beim anderen wieder hinausgehen lassen und genoss jetzt vor dem Schlafengehen einen großen Glenfiddich single malt, der ihm das gute Gefühl über diesen Tag durchaus festigte.
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