Rudolf G. Binding
Coelestina
Eine Märchenlegende
Saga
Coelestina. Eine Märchenlegende
German
© 1920 Rudolf G. Binding
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711517758
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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An einem Samstagnachmittag im November hatten die Englein nichts zu tun und die himmlische Musik, die jeden Vor- und Nachmittag spielte, musste sich ohne die Unterstützung behelfen welche sie ihr sonst durch ihren Gesang zu leisten hatten. Und das kam so. Am verflossenen Sonntag während der grossen Himmelsandacht hatte der Herrgott zu bemerken geglaubt dass die Engelschöre nicht so frisch klangen wie er es sonst zu hören gewohnt war, ja dass kleine Rauhigkeiten die himmlische Harmonie störten auf deren ungeschmälerte Reinheit er sehr sah. Er liess sich daher nach der Andacht den Kapellmeister und den Gesanglehrer kommen und stellte sie ziemlich verdriesslich über seine Wahrnehmungen unter dem Hinweis zur Rede, er könne nach einer arbeitsreichen Woche wohl verlangen dass ihm am Sonntag in der Himmelskirche eine anständige Musik vorgemacht würde. Das aber was er heute da hätte zu hören bekommen erinnere ihn eher an üble irdische Katzenmusiken, die er nicht allzusehr liebe, als an eine Symphonia coelestis wie sie einzig hier am Platze sei. Der Kapellmeister, dem der Gesanglehrer durch Haltung und Gesichtsausdruck stumm beizupflichten sich bemühte, erklärte dem lieben Gott hierauf dass er seine Wahrnehmungen nicht bestreiten könne; er müsse für die beobachteten Missstimmigkeiten die Engel verantwortlich machen, von denen sich einige Schreihälse im Übereifer ganz heiser geschrieen hätten und dadurch die Klangschönheit des Ganzen, wenn auch nur wenig so doch für Gottes Ohr wohl vernehmlich, beeinträchtigten. Der Herr hatte darauf befohlen dass Massregeln getroffen würden die solche Vorkommnisse für die Zukunft unmöglich machten, und die himmliche Vorsehung, welche für diese Dinge die zuständige Stelle war, erliess daraufhin eine Verordnung, wonach nicht nur den Engeln das Singen an Samstagnachmittagen überhaupt verboten sondern ihnen auch noch ans Herz gelegt wurde, sich nicht durch unnötiges Springen und Tollen zu erhitzen, Schreien und Zanken zu unterlassen und ihre Stimme für den grossen Himmelskirchgesang am Sonntag möglichst zu schonen. Denn der Herrgott ging, weil er es nicht nötig hatte, nur Sonntags in die Kirche, im Gegensatz zu allen anderen Himmelsbewohnern, insbesondere den Heiligen, die schon aus alter lieber Gewohnheit in die Kirche gingen, und den vielen armen Sündern, die, seit der Heiland die Auferstehung in der Welt eingeführt hatte, den Himmel bevölkerten und den Kirchenbesuch recht nötig hatten.
So sassen also an jenem Samstagnachmittage die Englein teils tatenlos auf den himmlichen Wolken herum, die Hände über den Knien und die Flügel über dem Rücken gefaltet, teils waren sie höchst überflüssiger- und unnützerweise damit beschäftigt festzustellen, wer von ihnen die schönsten Goldspitzen an den Federn hätte, oder sie standen an der Milchstrasse und gafften dem endlosen Zug der Sterne nach, der an ihnen vorüber des Weges zog.
Im Gegensatz zu den Englein hatte am nämlichen Nachmittag der heilige Petrus alle Hände voll zu tun. Vor dem Himmelstor drängte sich gerade eine besonders grosse Menge von Einlass begehrenden Seelen; denn zu der sich ziemlich gleich bleibenden Anzahl an andern Wochentagen kamen am Samstag noch diejenigen hinzu welche sich mit ihrer Auferstehung besonders aus dem Grunde beeilt hatten, um den Sonntag im Himmel und alle Erbaulichkeiten dieses Tages mitzugeniessen und solchergestalt im neu angetretenen ewigen Leben ja nichts zu versäumen. Ausser seinem Torhüteramt hatte aber der heilige Petrus auch noch die Aufsicht über die Sterne zu führen, von denen eine sehr grosse Zahl nicht im eigentlichen Himmel sondern ausserhalb desselben im ewigen unendlichen Raum verteilt war; und diese Aufgabe, welche ihn in seinem himmlischen Torwärterhäuschen keinen Moment schlafen liess, machte ihm keine geringe Sorge. Denn gerade wieder einmal hatte sich unter den Sternen, besonders unter den kleineren, die bedauerliche Neigung eingestellt, ihren Platz plötzlich zu verlassen oder mit glänzenden Stücken um sich zu werfen, die sie planlos in das Weltall und nicht zum geringen Teil auf die Erde hinabschleuderten deren Bewohner diese Vorgänge in klaren Novembernächten teils mit Bewunderung teils mit Furcht beobachteten. Denn sie konnten sich von dem Herkommen dieser Sternschnuppen, wie sie die lichtglänzenden, am Himmel dahinfahrenden Sternstücke nannten, keine rechte Vorstellung machen. Besonders in dem Sternbilde der Leoniden war in diesen Tagen wieder einmal der Teufel los, wie der heilige Petrus sagte wenn er das Himmelstor hinter sich zugeschlagen hatte und im weiten Raum allein war, um an irgendeinem besonders rebellischen Punkt nach dem Rechten zu sehn und dem Verschleudern des kostbaren Sternenmaterials Einhalt zu tun.
Als er daher an jenem Samstagnachmittag die Engel so nichtsnutzig und nichtstuerisch herumlungern sah, kam ihm in seiner Arbeitsbedrängnis der Gedanke, ob er sie nicht in irgendwelcher Weise für sich anstellen könnte; und da er ihnen die himmlische Torhüterstelle unmöglich ohne das Umstossen aller geheiligten Traditionen anvertrauen konnte, so machte er sie in der anderen ihm aufgebürdeten Obliegenheit dienstbar. Diese schien ihm für ihre geistigen Fähigkeiten, die er nicht allzuhoch anschlug, auch nicht zu schwer, zumal er sie anwies, etwaige widerspenstige Sterne, die das Schnuppen nicht lassen wollten, sofort von ihrem selbständigen Platz im Raume ab- und dem grossen Strome derer zuzuführen die auf der Milchstrasse ihre leicht übersehbare und kontrollierbare Bahn am Himmelsgewölbe dahinziehen mussten. Die Englein, froh einmal aus dem goldnen Himmelsgitter herauszukommen, unterzogen sich belustigt ihrer neuen Aufgabe uud begaben sich in gesonderten Trüppchen, immer ein grösserer Engel mit einigen kleineren, auf die ihnen zugewiesenen Posten.
Anfänglich und bis in die Dämmerung hinein ging alles ganz gut. Sei es dass sich die Sterne aus Galanterie gegen den himmlischen Besuch von allem Unfug fernhielten, sei es dass sie fürchteten auf eine Anzeige der aufsichtführenden Engel beim heiligen Petrus wirklich zur Milchstrassenwanderung verdammt zu werden, was ungefähr dem Schicksal gleich zu achten war, wenn Menschen von freien luftigen Höhen mit herrlicher Aussicht, auf denen sie wandeln, plötzlich für immer auf die staubige Landstrasse versetzt würden, wo sie mit allerlei Volks in Sonne und Unbehagen ihres Weges ziehen müssten, kurz: sie begaben sich zunächst völlig ihres aufgeregten Wesens und zogen still und geordnet, wie es ihnen zukommt, ihre vorgeschriebenen Bahnen. Kaum aber war die Dämmerung vorüber und die Nacht über das blanke Himmelsgewölbe als ein schützendes schwarzes Tuch gegen mutwillige Beschädigungen der Himmelspolitur ausgebreitet worden, als nach allen Seiten ein heftiges Feuerwerk und Bombardement mit Sternschnuppen vor sich ging und die Engel, welche einsahen dass es eine unmögliche Aufgabe sei, die weggelaufenen Sternlein oder ihre losgeschleuderten Bestand teile wieder einzufangen, nichts weiter tun konnten als die Schuldigen aufzuschreiben, um sie dem heiligen Petrus beim Rapport zur Meldung zu bringen. Dies alles wäre nun freilich nicht so schlimm gewesen, zumal der heilige Petrus in den Monaten August und November an solche Vorkommnisse reichlich gewöhnt war; als aber plötzlich aus dem Sternbilde der Leoniden so etwa um halb neun Uhr ein entsetzliches Geschrei und Gejammer und darauf ein gottserbärmliches Geheul und Geschluchze gehört wurde, da wusste er dass etwas Unangenehmes und Ausserordentliches passiert sein müsse, liess sofort von einer himmlischen Posaune in den Raum hinaus Appell blasen, warf das Himmelstor einem Einlass begehrenden Sünder rasselnd vor der Nase zu und begab sich eiligst und Böses ahnend nach dem ihm wohlbekannten Gestirn.
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