Frauen erleben täglich Diskriminierung, in der Arbeitswelt, in der Gesellschaft und in der Politik. Sie sterben an häuslicher Gewalt, im sicheren Heim, weil sie Frauen sind. Keine Frau ist vor Diskriminierung gefeit, aber wenige Frauen können ihr Recht auf Nicht-Diskriminierung durchsetzen. Deutschland hat wie andere Staaten die Frauenrechtskonvention nur unzureichend umgesetzt. In der öffentlichen Wahrnehmung fehlt ein Bewusstsein für Frauenrechte. Das gilt für Regierungen, Parlamente und die Zivilgesellschaft. Die unterschiedlichen Anstrengungen zur Beseitigung von Diskriminierung auf allen Ebenen weltweit sind unzureichend. Die meisten UN- Staaten haben es versäumt, die staatlichen Strukturen und Institutionen zu schaffen und mit angemessenen Personal- und Sachmitteln auszustatten, wie es die Aktionsplattform von Peking 1995 gefordert hat. Auch fehlt es fast überall an verbindlichen Gleichstellungsprogrammen und Gleichstellungsstrategien.
Es gibt eine seltsame Ferne zwischen der internationalen Frauenpolitik und der notwendigen nationalen Umsetzung. Daran ändern auch die jährlichen Beratungen der UN-Frauenkommission (CSW) auf ministerieller und administrativer Ebene wenig. Immerhin: Die Frauenkommission war eine Wegbereiterin für Gendergerechtigkeit der UN-Politik und nutzte die frauenpolitischen Irritationen der Weltfrauenkonferenz in Mexiko 1975, um schnellstmöglich ihren Entwurf der Frauenrechtskonvention in Vorbereitung auf die 2. Weltfrauenkonferenz in Kopenhagen durchzusetzen. Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen, Rückschritte zu verhindern und das Emanzipations- und Gendergerechtigkeitsanliegen der Aktionsplattform von Peking aufrechtzuerhalten.
Dennoch ist die Rechtslage weltweit auch heute noch sehr unterschiedlich wie auch Lebens- und Arbeitsbedingungen und der Zugang zu politischer und wirtschaftlicher Macht. Zentrales Thema war und bleibt Armutsbekämpfung. Die Feminisierung von Armut ist eine Herausforderung. Immer noch sind 70 % der in absoluter Armut lebenden Personen Frauen- trotz Weltfrauenkonferenzen, trotz Millenniumserklärung, trotz der UN-Agenda 2030, die niemand zurücklassen will. Immerhin sind 2020 viele Frauen wie Männer weniger arm und müssen nicht hungern. Die Covid-19- Pandemie wird das wieder verschlechtern.
Zwischen 60 bis 80 % beträgt der Anteil der Frauen, die im informellen Sektor tätig sind. Die Diskriminierung der Frauen im ländlichen Raum wie in Südasien, in Afrika südlich der Sahara und in einigen lateinamerikanischen Staaten dauert an, weil Frauen weder den gleichberechtigten Zugang zu Landtiteln, Krediten, Wasser, Energie und Beratung haben wie Männer. Diese Frauen sind die Nahrungsmittelproduzentinnen für die Bevölkerung und trotzdem von Hunger und Mangelernährung betroffen.
Die Feminisierung der Armut verletzt Menschenrechte von Frauen, weil sie ihre sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse nicht einfordern können. Dabei geht es um materielle Armut, aber auch um den Zugang zu Ressourcen. Öffentliche Dienstleistungen der Daseinsvorsorge für Bildung, Mobilität, Gesundheit stehen Frauen vor allem in ländlichen Gebieten nicht zur Verfügung. Der Zugang zu Gerichten ist Frauen durch materielle Barrieren und Geschlechterstereotypen versperrt. Armutsbekämpfungsprogramme, die es in vielen Staaten gibt, und auch von deutscher und europäischer Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden, sind wenig erfolgreich, wenn sie nicht auf die Lebenslagen der Frauen Rücksicht nehmen und die geschlechtsbedingten Disparitäten abschaffen.
Dazu soll die Geschlechterparität bei politischen Entscheidungen beitragen. 2020 wird die Parität in Ämtern und Mandaten gefordert. Männermacht verhindert sie, männergemachte Verfassungen und Gesetze. Frauen müssen dafür sorgen, dass diese Verfassungen und Gesetze geändert werden. Ein Vorbild sind die Mütter des Grundgesetzes, die mit Unterstützung der Frauenverbände in Deutschland, den Gleichberechtigungsartikel 3 im Grundgesetz durchgesetzt haben. Demokratie braucht Partizipation, gleichberechtigte Partizipation.
KAPITEL 1
25 Jahre Aktionsplattform Peking
Frauendiskriminierung bis heute nicht überwunden
Das Internationale Jahr der Frau 1975 und das Internationale Jahrzehnt der Frau 1975 bis 1985 wurden von den UN beschlossen, stießen aber in der weltweiten Frauenbewegungen nicht unbedingt auf große Begeisterung. Als Staatsfeminismus wurden diese Initiativen belächelt und verspottet von Konservativen wie von Feministinnen. Autonome Bewegungen und unterschiedliche Emanzipationsideologien bzw. Emanzipationspolitiken grenzten internationale Frauenpolitik ein. Viele Frauenbewegungen entstanden gleichzeitig in unterschiedlichen Kontinenten und prangerten unterschiedliche Diskriminierungen von Frauen an. Dennoch waren die 1970er-Jahre stärker geprägt durch schwierige Auseinandersetzungen von Frauenbewegungen und nationalen Regierungen als durch internationale Frauensolidarität. Die Besetzung des Capitols in Rom durch italienische Frauen war ein Höhepunkt in der Forderung nach einem gleichberechtigten Familien- und Scheidungsrecht. Die Frauen waren erfolgreich wie in allen europäischen Staaten. Verfassungen und Bürgerliche Gesetzbücher wurden geändert. Die Berufstätigkeit der Frau konnte nicht mehr verboten werden. Die Kampagne «Mein Bauch gehört mir» mit der Forderung nach der ersatzlosen Streichung des Verbots von Abtreibung (§ 218 Strafgesetzbuch) war konstitutiv für internationale Solidarität zur sexuellen Selbstbestimmung von Frauen überall in Europa. Allerdings ist die Straflosigkeit von Abtreibung immer noch nicht durchgesetzt. Mit Fristenregelungen müssen sich Frauen begnügen.
Internationale Frauenpolitik war immer auch Friedenspolitik. Frauen engagierten sich vor dem 1. Weltkrieg und danach immer wieder grenzübergreifend. Frauen waren Wortführerinnen in der Friedensbewegung zum «Nein gegen atomare Mittelstreckenraketen» und die unheilvollen Kriege weltweit auch als Antikriegsbewegung. Erinnert werden muss dabei an die erste Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, die bereits 1889 forderte: «Die Waffen nieder», um mit einer waffenlosen Welt Frieden durchzusetzen.
In den 1970er-Jahren erfanden sich die UN neu. Die Weltkonferenzen wie die Umweltkonferenz von Rio 1972 und die Weltfrauenkonferenzen sollten einen Beitrag zur Aufwertung und demokratischer Legitimation internationaler Politikkooperation und Politikkoordination leisten. Die Partizipation der Zivilgesellschaft war erstmals ausdrücklich erwünscht. Die UN-Weltkonferenz zu Umweltfragen 1972 war legendär in ihrer Forderung zur ökologischen Umkehr und führte zu weitreichenden umweltpolitischen Engagements. Neuland betraten die UN auch mit den Weltfrauenkonferenzen. Niemals zuvor mussten alle UN-Regierungen in Berichten konkret über Erfolge und Rückstände in der Durchsetzung der Gleichstellung von Frau und Mann berichten. Niemals zuvor sahen sich Regierungen mit Zigtausenden von Berichten, Stellungnahmen und Konferenzen von zivilgesellschaftlichen Akteurinnen aus den Frauenbewegungen konfrontiert.
Die 1. Weltfrauenkonferenz von Mexiko gelang, obwohl es große Differenzen zwischen den Frauen im globalen Norden und globalen Süden gab. Feminismus war den Süd-Frauen nicht so wichtig wie die Bekämpfung von Armut und Hunger. Süd-Frauen sahen die koloniale Verantwortung des globalen Nordens für Armut und Hunger in den Ländern des Südens. Alle Frauen einigten sich dann auf weitere internationale Zusammenarbeit. Sie prägten das Motto: Gleichberechtigung, Entwicklung, Frieden. Daraus leiteten die Frauen weltweit auf den nächsten Weltfrauenkonferenzen Ansprüche an die Regierungen ab. Die drei Ziele wurden als miteinander verbunden verstanden, weil die Erreichung eines Ziels die anderen Ziele stärkt. Ohne Frieden sind weder Gleichberechtigung noch Entwicklung erreichbar. Die Gleichberechtigung wiederum ist wichtig für Frieden und Entwicklung, weil sich bestehende Ungleichheiten auf allen Ebenen verstärken und damit Spannungen verschärfen können. Die UN errichteten einen Entwicklungsfonds für Frauen und das internationale Fraueninstitut INSTRAW, um die internationale Zusammenarbeit zu fördern.
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