Er wollte sich den Anschein von Entschlossenheit geben, doch als er in Richtung Segellast ging, war es mehr ein müdes Schlurfen. Seine Beine schienen immer schwerer zu werden.
Die beiden anderen folgten mit verkniffenen Gesichtern.
Vor dem Schott blieben sie lange Zeit stehen und lauschten. Nichts war mehr zu hören.
„Waren sicher nur die Planken“, sagte Lamego noch einmal. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte er Angst, das Schott zu öffnen.
Schließlich war es Alvaro Belmonte, der sich einen Ruck gab und das Schott öffnete.
Helles Sonnenlicht fiel in die Kammer. Sie standen am Eingang und warfen einen scheuen Blick hinein, als kauere dort ein sprungbereites Untier.
Die Segellast war ordentlich aufgeräumt wie alles, was die Arwenacks zurückgelassen hatten. Ganze Lagen Segeltuch waren dort säuberlich gestapelt. In einem Holzkasten lag das Handwerkszeug des Segelmachers.
De Xira trat einen Schritt in die kleine Kammer. Ganz hinten, wo das Licht nicht mehr hinfiel, herrschte zwielichtiges Halbdämmer. Dennoch konnte man den Raum gut überblicken.
Niemand sah die geschickt getarnte Nische im Hintergrund, in der sich Clint Wingfield mit der Wolfshündin Plymmie verbarg. Die Nische wäre nur aufgefallen, wenn sie ein paar Ballen Segeltuch abgeräumt hätten. Daran dachte jedoch keiner.
„Nichts, gar nichts“, sagte de Xira. „Waren wohl doch die Planken, die sich bei der Hitze verziehen. Ein paar Mann sollen nachher das Schiff von oben bis unten wässern, damit diese ekelhaften Geräusche endlich aufhören.“
„Das sollten wir ein paarmal am Tag tun“, schlug Belmonte vor. „Sonst haben wir an diesem Schiff bald keine Freude mehr.“
De Xira gab keine Antwort. Er schlug das Schott zu und wandte sich ab, müde, matt und unter der ungewohnten Hitze leise stöhnend.
Sie enterten ab, um sich den Schaden anzusehen.
Die anderen Portugiesen lagen faul und lustlos an Bord herum. Jeder versuchte sich, so gut es ging, auch um die allerkleinste Arbeit zu drücken. Nur hin und wieder stand einer von ihnen träge auf, um sich aus dem Wasserfaß an Deck zu bedienen.
De Xira starrte mit brennenden Augen auf das Heck der Schebecke. Sie standen auf dem glühendheißen Sand, der unter ihren Füßen mahlte und knirschte und zu leben schien.
Vom Deck aus hatten sie bereits einen schnellen Blick riskiert, und da hatte de Xira nur gestöhnt und mindestens zehn Tage für die Reparatur angesetzt.
Von hier unten sah es jedoch noch schlimmer aus. Der Rammsporn der Galeere „Stern von Indien“ hatte ganze Arbeit geleistet.
Das Ruder war zerfetzt, die Aufhängung zerstört, die Fingerlinge abgerissen, und die achteren Spanten hatten ebenfalls etwas abgekriegt.
Auf dem Sand lagen überall Holzsplitter herum, die bei dem Rammstoß nach allen Seiten geflogen waren.
„Unter normalen Umständen würden wir das in ein paar Tagen schaffen“, meinte der Kapitän. „Aber das hier sind keine normalen Umstände. Wir haben keinerlei Ersatzteile und nur den Rat des dämlichen Inders, der uns zurief, wir sollten Bäume fällen, Holz daraus schneiden und ein Notruder bauen. Ein Notruder! Einfach idiotisch.“
Belmonte sah aus schmalen Augen auf die Beschädigungen.
„Warum eigentlich nicht?“ fragte er. „Mit einem Notruder könnten wir langsam bis nach Madras segeln.“
„Und dort?“
„Die Schebecke richtig reparieren.“
„Madras ist ein trübseliges Kaff“, belehrte ihn der Kapitän. „Da gibt es keine Werft und keine Möglichkeit, aufzuslippen. Genausogut können wir hier bleiben. Hier liegen wir zwangsweise schon auf dem Sand.“
„Aber hier werden uns bald Proviant und Wasser ausgehen“, widersprach der Erste. „In Madras brauchen wir wenigstens nicht zu hungern oder gar zu verdursten.“
„Wir haben noch genug von allem. Ich will aber nicht mit einem Notruder segeln, mit dem wir im Sturm völlig hilflos sind. Wir werden ein richtiges Ruder bauen, das uns nach Portugal zurückbringt. Sehen wir uns mal die Teile an. Vielleicht ist noch etwas davon einigermaßen brauchbar.“
Ein paar Schritte weiter lagen die Trümmer. Das Ruderblatt selbst war bestenfalls noch als Brennholz für die Kombüse geeignet. Es war völlig zersplittert. Die anderen Trümmer gaben ebenfalls nichts mehr her.
Belmonte bückte sich, hob ein Stück Holz auf und hielt es dem Kapitän hin.
„Das Problem ist nur noch halb so groß“, verkündete er. „Wir haben die Ruderösen und die Fingerlinge. Sie sind alle noch vorhanden. Das ist schon mal sehr wichtig.“
De Xira besah sich die eisernen Bolzen und Beschläge.
„Ja, sehr gut. Wenn wir die selbst herstellen müßten, könnten wir uns gleich aufhängen. Hebt die Dinger gut auf und werft auch die Trümmer nicht weg. Wir setzen sie zu einer Art Schablone zusammen, nach der wir das neue Ruder bauen werden.“
„Also folgen wir doch Shastris hervorragendem Rat“, sagte der Stückmeister spöttisch.
„Hast du eine bessere Lösung, Nicolao?“
„Nein, Capitán, das ist die beste Lösung. Aber das Holz, das wir brauchen, muß erst noch trocknen.“
„Kein Problem bei der Hitze“, sagte de Xira abwinkend. „Hier trocknet innerhalb kürzester Zeit alles, obwohl die Luft ziemlich feucht ist. Wir werden das ganz sicher schaffen.“
„Wie lange etwa?“
De Xira überlegte.
„Mit gutem Willen und Fleiß müßten wir das in einer Woche hinter uns haben. Dabei rechne ich zwei Tage zum Trocknen mit ein, meinetwegen auch drei Tage. Ein halber Tag dürfte schon mit dem Abpallen vergehen.“
„Aber das Holz muß erst gesägt und geschnitten werden.“
„Dazu haben wir genügend Männer.“
Der Stückmeister nickte nur. De Xira schien sehr optimistisch zu sein. Aber bei der wahnsinnigen Hitze konnten die Männer nicht pausenlos arbeiten. Sie mußten erst ein paar Bäume fällen, ein Gestell errichten, auf dem sie sägen konnten, und viele andere Kleinigkeiten mehr, die der Kapitän zur Zeit nicht berücksichtigte. Er war nur von dem Gedanken beseelt, hier so schnell wie möglich zu verschwinden.
Das waren sie alle, aber trotzdem mußten sie auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Mit überhasteter Arbeit ging hier gar nichts.
Sie hoben die Trümmer auf und setzten sie ein Stückchen weiter auf dem Sand provisorisch zusammen. Selbst das war eine mühselige und schweißtreibende Arbeit, die sie fast an den Rand der Erschöpfung brachte.
Eine Weile standen sie nur da, atmeten nach und sahen auf das seltsam verzerrte Gebilde im Sand.
Plötzlich schnupperte Belmonte angewidert und rümpfte die Nase.
Im Landesinnern war Staub zu sehen, und sie glaubten auch, ein feines Grollen im Boden zu spüren. Der Untergrund zitterte einmal unruhig.
Gleichzeitig stand in der Luft ein ekelerregender Geruch. Vorläufer einer Staubwolke legten sich beklemmend auf ihre Lungen.
Der Stückmeister hustete und würgte, bis er rot anlief.
„Schwefel“, sagte er heiser. „Die Pest der Hölle. Offenbar sprengen sie in den Minen mit Schießpulver, und wir kriegen jedesmal den verfluchten Gestank ab.“
„Sei froh, daß du nicht in den Minen arbeiten mußt“, entgegnete der Erste. „Gegen die Engländer haben wir das Paradies auf Erden.“
„Die haben es auch nicht besser verdient. Sollen sie schuften, bis sie tot umfallen oder vom Schwefel zerfressen werden. Wo liegen eigentlich diese Minen?“
„Irgendwo landeinwärts, wo der Staub aufsteigt. So genau hat Shastri das nicht gesagt. Ist mir aber auch völlig egal.“
„Mir ist auch alles egal!“ schrie de Xira in aufsteigender Wut. „Ich will weg aus dieser Hölle! Ich kann dieses verdammte Land nicht mehr sehen! Los, an die Arbeit! Und haltet hier keine Reden!“
Es hatte ganz den Anschein, als gingen dem Kapitän die Nerven durch.
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