Selbstzufrieden, weil er das ihm ungemütliche Weltbild wieder zurechtgeschoben, klirrte er von dannen.
Es war ihm aber beschieden, an dem heutigen Vormittag noch, eine weitere Probe seiner Erzieherkünste ablegen zu müssen. Geruhig ritt er auf der Landstrasse seinem Bauerngütchen entgegen, denn er hatte sich eben erst von den beiden herzoglichen Reisigen getrennt, und nun klopfte er seiner Mähre das struppige Fell und in seinem Geiste malte sich bereits der Willkomm ab, der in dem Lehmhaufen von Hütte seiner harrte, nachdem der Hausherr wieder einmal tagelang in Diensten des Fürsten auswärts umgetrieben war.
„Weiss schon,“ murmelte der Ehrbare nicht sonderlich erbaut. „Im Napf die Ziegenmilch — ranzig, am Spiess das wilde Kaninchen — wie wird’s sein? — Bis auf die Knochen versengt, und in dem morschen Bettgestell, ei, ei, eine lustige Jagd von Wanzen.“ Ahnungsvoll kraute er sich im Nacken und brütete tiefer in diese heiteren Vorstellungen hinein. „Weiss schon — und drinnen in dem vermaledeiten Lehmkuchen nichts als Gekeif und Stockprügel. Bei allen Nothelfern, Slavia, mein wacker Weib, wird mir den Bankert noch umbringen, obwohl ich selbst auch keinen anderen Ausweg seh, wie man des Fressers ledig wird. Himmelschock, warum musst’ ich mir selbst solch ein Kuckucksei ins Nest legen? — Man ist zu weich. Viel zu weich!“
Nach dieser Feststellung lenkte der Hauptmann auf einen Wiesenpfad ein und gedachte eben, sein Rösslein ein paar Haferähren vom Rain seines Nachbarn raufen zu lassen, denn solch lumpiges Bauernmensch musste froh sein, wenn sich ein Hofmann, wie der Pantak, zu einer derartigen Vertraulichkeit herbeiliess. Da schlug ein greller Kindersang an sein Gehör, und dicht vor ihm an der Dornenhecke neben dem Bach enthüllte sich ein Bild, das dem Krieger wahrhaft den letzten Atem benahm.
„Uff,“ stöhnte er, hielt den Klepper an und riss sich mit der Rechten die Wimpern in die Höhe, als hätte ihn Zauberwerk geblendet, „uff, verdammte Kröte, was soll’s?“
Und es war wirklich wert, den Zug aufmerksam zu betrachten.
In einem roten, zerfetzten Röckchen, das gerade noch bis auf die nackten Knie fiel, umflattert von einem schmutzigen, mit Löchern förmlich besäten Hemd, dass man die braungesonnte, knabenhafte Brust deutlich wahrnehmen konnte, so sprang und jauchzte ein etwa fünfjähriges Mägdlein daher. Glänzend flatterten ihm die schwarzen Haare ums Haupt, und die kohlschwarzen Augen funkelten wie nach einem grossen Siege über langes Ungemach. An einem Strick aber schleifte die Kleine vier tote Enten hinter sich her, die sämtlich mit dem Hals in gleichmässigem Abstand in die Leine eingeknüpft waren.
Der Pantak röchelte: „Was treibst du da?“ Gläsern quollen ihm die Augen aus den Höhlen, denn er erkannte sein eigenes Geflügel.
Geschmeichelt machte Krissa, das hergewehte Polenunkraut, vor dem Klepper halt, stiess nochmals einen glückseligen Juchzer aus, und während sie in innerster Befriedigung mit den Fingern schnipste, warf sie einen Blick verweilenden Stolzes auf ihre leblosen, staubbesudelten Zöglinge.
„O, süss Väterchen,“ schmeichelte ihr aufgeworfener, kirschroter Mund, „hat mich Mutter immer geschlagen, weil ich Enten, schnattriges, nicht Zusammenhalten kann. Bin ich jetzt hinter Dorn eingeschlafen, hab’ geträumt von dir, süss Väterchen,“ setzte das kleine Balg in weiser Steigerung hinzu, „aber da husch, husch, ist Fuchs gekommen, hat Vögel totgebissen, und nun — o fein Väterchen —“ und sie lachte, dass es sich anhörte, als ob Tropfen in einen silbernen Becher fielen, „halt ich jetzt Enten zusammen, wie noch nie. Hüh — hott, alle in einer Reihe.“ Damit wollte sie ihren fröhlichen Triumphzug fortsetzen, der Pantak aber, obwohl ihm vor Eigennutz und Wut die Kehle zuschwoll, ihn packte trotzdem in sonderbarer Verkehrung eine unbezwingliche, die ganze Gestalt durchrüttelnde Lachlust, so dass er zwar ungestüm seine Knute vom Sattel riss, zugleich jedoch einer verrückten Heiterkeit verfallen, schluckend und bäumend über den Hals des Gaules hingeschleudert wurde.
„O du niederträchtiges, verwünschtes Zeug,“ gurgelte der Dicke dabei, indem er ohnmächtig die Lederriemen schüttelte — „ich — der Gehörnte ist dein Vater — ich schlage dich krumm und lahm.“
Wer konnte es da der Zeugin einer solch wüsten Heiterkeit verargen, wenn sie das Ganze für den Ausdruck schrankenlosen, väterlichen Beifalls hielt? Pfeifend und summend raffte Krissa die Leine fester an sich und begann eben mit ihren so wohl behüteten Tieren die grasende Mähre zu umspringen, als das Siegesfest durch einen dumpfen Fall gestört wurde.
Schwerfällig war der Besitzer des Federviehs vom Ross gesunken, jetzt aber raffte er sich auf, griff Krissa in die Haare und fing an, sie nach allen Regeln einer oft geübten Kunst abzuwalken.
„O, du bösartiges, lästerliches, gottverderbtes Teufelsgeschenk,“ keuchte er, zwar noch immer durch ein gelegentlich dazwischen schallendes Gemecker unterbrochen. „So lohnst du all die guten Lehren? — O, Jammer über die verpfuschten Braten! Hätt’ dir nur der Fuchs selbst die Kehle durchbissen! — Doch ich will’s nachholen, nachholen will ich es.“
Klatschend trafen die Riemen den fast nackten Leib, die kleine Gemisshandelte aber schrie nicht; verwundert, still, in sich gesunken stopfte sie den Daumen in den Mund, ihr Rücken duckte sich, und nur ihre schwarzen Augen suchten manchmal ihren Peiniger mit solch sonderbarem Ausdruck eines selbstverständlichen Duldens, bis der entrüstete Hausvater endlich mürrisch den Striemer fallen liess.
„Scher dich zur Hölle,“ schöpfte er Atem. „Mir aus den Augen. Hat’s weh getan?“
Die Kleine schüttelte den Kopf.
Es war an einem frühen Herbstmorgen. Ausgestorben, glattgefegt von allem menschlichen Verkehr schlängelte sich die Landstrasse an Hof Ellernslöh vorüber, denn unter den Marktgängern, Bauern und wandernden Handwerksgesellen hatte sich das Gerücht verbreitet, Herzog Swantopolk ritte allein und ungeleitet dieses Weges daher, und jene Kunde genügte für das verängstigte Volk, um dem Tyrannen auf Meilen die Strecke ungestört zu überlassen. Selbst dem Schatten, den der Böse in der Sonne warf, wären die Abergläubischen bestürzt ausgewichen.
So schallte der Hufschlag des fürstlichen Rosses schon geraume Zeit auf dem harten Lehmboden, ohne dass dem Reiter auch nur eine Seele begegnet wäre. Aber gerade diese Leere behagte dem aufmerksam über die Felder Spähenden, und er strich manchmal befriedigt über sein buntes byzantinisches Gewand, so oft sein spitzer, von einem merkwürdigen Zischlaut begleiteter Pfiff eine Schar Krähen von den Futterplätzen der Stoppeln aufschreckte. Und doch — weder dies Pfeifen, noch der Gertenschlag, der sein ungarisch Ross dabei häufig über die Nüstern traf, schien von dem Willen des Reiters beseelt zu werden, nein, sein nach innen gerichtetes Grinsen, das die schmalen Lippen weit auseinander zerrte, sowie das verschleierte Starren seiner Augen deuteten vielmehr auf ein Planen und Sinnieren, das immer wesenhafter und greifbarer wurde, je näher er seinem Ziel entgegenrückte. Erst als dicht vor ihm die flachen Wände des Ellernslöher Herrenhauses auftauchten, entriss sich der Einsame dem Schattentanz seiner Vorstellungen, um einen tiefen Atemzug einzusaugen. Zugleich aber verlieh er seiner ganzen Gestalt jene Bedeutung, wie es der Gaukler gewohnt ist, sobald er auf die Bretter der Bühne hüpft.
Schwerfällig schwang sich der Tyrann aus dem Sattel, führte sein Pferd über die schmale Grabenbrücke und band es darauf an einem der Zaunpfähle fest. Unbemerkt, mit leisen schallosen Tritten, wand er sich dann durch die Wagen und Pflüge des Wirtschaftshofes, dabei nur lässig das Haupt neigend, als er Knechte und Mägde, wie vom Blitz getroffen in die Knie brechen sah.
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