Christoph Bertram /
Thomas Mirow / Hrsg.
Trotzdem:
Was uns zusammenhält
Berichte zur Lage der Nation
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Copyright © 2020 Murmann Publishers GmbH, Hamburg
ISBN 978-3-86774-658-8
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Christoph Bertram und Thomas Mirow
Zusammenhalt und Spaltung in der deutschen Geschichte
Heinrich August Winkler
Rivalität und Zusammenhalt über den Rhein
Sylvie Goulard
Die deutsche Einheit ist eine Erfolgsgeschichte
Richard Schröder
Stadt versus Land?!
Kerstin Faber
Marktwirtschaft und demokratischer Zusammenhalt – Gegensatz oder notwendige Ergänzung?
Michael Hüther
Meinungsvielfalt braucht Meinungsfreiheit
Susanne Schröter
Migration als Demokratietest
Reiner Klingholz
Soziale Medien im demokratischen Diskurs
Marina Weisband
Über die Herausgeber und die Autor*innen
Vorwort
Von Christoph Bertram und Thomas Mirow
Immer häufiger und intensiver öffnen sich in einst wetterfest geglaubten Demokratien tiefe Klüfte, die den Zusammenhalt gefährden: in den USA vor und unter Trump, in Großbritannien im erbitterten Streit um den Brexit, in Frankreich verkörpert durch die Rebellion der Gelbwesten, in Polen während der jüngsten Präsidentschaftswahlen. Allerorten ist das politische Klima rauer geworden, sind Beleidigungen und Hass gang und gäbe. Das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit schwindet, ein großer Teil der Gesellschaft fühlt sich vom anderen vernachlässigt, ja verachtet.
Die Gesellschaft in Deutschland scheint – noch? – auf mehr Zusammenhalt vertrauen zu können. Aber auch bei uns im Land sind die Gräben tiefer geworden, werden Trennlinien entlang bekannter Muster immer sichtbarer: zwischen Demokraten und Populisten, zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, West und Ost.
Die Deutsche Nationalstiftung hat vor diesem Hintergrund acht Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlicher Lebenserfahrung und Expertise gebeten, über die Gründe für diese Spaltungen nachzudenken, aber auch über das, was uns zusammenhält – oder zusammenhalten könnte.
Der Historiker Heinrich August Winkler beleuchtet das durch Spaltung und Versöhnung geschichtlich gewachsene Fundament der Einheit Deutschlands. Sylvie Goulard, eine führende französische Europapolitikerin mit großer Nähe zu Deutschland, zeigt die Unterschiede im Staatsverständnis beider Nationen auf und destilliert, welche Folgen dies auch für die Einheit Europas nach sich zieht. Richard Schröder, hochgeachteter Protagonist der Wiedervereinigung, bringt Ordnung in die deutschen Ost-West-Debatten. Kerstin Faber, Projektleiterin der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen StadtLand, entwickelt konkrete Perspektiven für lebenswerte ländliche Räume. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, befasst sich mit den gesellschaftlichen Folgen des tiefen ökonomischen Umbruchs, den wir gegenwärtig erleben. Susanne Schröter, Ethnologin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, analysiert – auch mit Blick auf eigene Erfahrungen – die Gefahren für die Meinungsfreiheit in unserem Land. Reiner Klingholz, langjähriger Chef des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, nimmt die Auswirkungen von Migration und Zuwanderung auf das Leben in Deutschland unter die Lupe. Marina Weisband, Autorin und ehemalige Geschäftsführerin der Piratenpartei, entwickelt Vorschläge, was getan werden sollte, um erfolgreich gegen Hass und Hetze im Netz vorzugehen.
Alle Beiträge sind vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie entstanden, die auch bei uns das öffentliche (und private) Leben beherrscht. Welche gesellschaftlichen Folgen diese schwere Krise weltweit und für uns in Deutschland haben wird, lässt sich gewiss noch nicht fundiert beurteilen. Was sich bislang gezeigt hat, wirkt durchaus ambivalent: Viele Menschen haben den Wert funktionierender öffentlicher Institutionen und ziviler Solidargemeinschaften neu wahrgenommen, haben unter oft schwierigen Bedingungen konkrete Mitverantwortung für ihre Nächsten übernommen. Aber auch das Gegenteil war zu beobachten: Menschen, die sich persönlich für stärker halten als das Virus und die die eigene Gesundheit wie die anderer missachten; wachsende Ressentiments zwischen denen, die im Homeoffice ihren Beruf weiter erfolgreich ausüben können, während andere – unter ihnen viele Tausende Selbstständige und Betreiber kleiner, für unser städtisches Leben schwer verzichtbarer Geschäfte und Restaurants – von einem Tag auf den anderen vor dem Nichts stehen. Wie sieht die Zukunft aus für die zahlreichen Leiharbeiter und die anderen bislang »prekär« Beschäftigten, die auf den meisten Entlassungslisten weit vorne stehen? Vor welchem Werdegang stehen Kinder aus »bildungsfernen« Haushalten, denen der Fernunterricht als – oft kümmerlicher – Ersatz für geschlossene Schulen und Kindergärten besonders zu schaffen macht?
Wie wird all das die Gesellschaft prägen oder verändern? Und ist es wirklich realistisch, darauf zu setzen, wir könnten die schweren wirtschaftlichen Folgen der Pandemie hier recht schnell überwinden, während das Virus in vielen Teilen der Welt weiter wütet und tiefe wirtschaftliche Wunden schlägt, die lange nicht vernarben werden? Ist das Wiedererstarken des Willens zu konstruktiver Zusammenarbeit unter den demokratischen Parteien hierzulande einigermaßen stabil oder werden populistische und extremistische politische Kräfte sehr bald neuen Honig aus einer länger anhaltenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise saugen?
Alles spricht jedenfalls dafür, dass die in diesem Band beschriebenen Spaltungen und Herausforderungen von der Pandemie nicht unberührt bleiben, sondern eher noch verstärkt werden. Trotzdem, wie es im Titel unseres Bandes heißt: Aus den Beiträgen dieses Buches ist keine weinerliche Klageschrift, sondern ein zuversichtliches Dokument geworden. Wir müssen die Herausforderungen für unser Land nüchtern erkennen, entschlossen handeln – und die gefährlichen Spaltungen unserer Gesellschaft überwinden.
Die Deutsche Nationalstiftung legt erstmals diese Berichte zur Lage der Nation vor – in der Hoffnung, damit eine gute Tradition zu begründen, vergleichbar mit der jährlichen Verleihung des Deutschen Nationalpreises seit zweieinhalb Jahrzehnten. Mit beidem wollen wir mitwirken an dem, was wir als Vermächtnis von Helmut Schmidt, dem Gründer unserer Stiftung, betrachten und als Verantwortung unserer Generation: das Zusammenwachsen Deutschlands zu fördern und die Idee der deutschen Nation als Teil eines vereinten, freiheitlichen Europas zu stärken.
Mit Blick auf die Vielfalt von Meinungen zu einer gendergerechten Sprache haben die Herausgeber auf die Vorgabe einheitlicher Richtlinien verzichtet. Die Texte spiegeln auch insofern das individuelle Sprachgefühl der Autorinnen und Autoren wider.
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