„Ach, komm schon“, jammert die Direktorin laut.
Officer Kelly seufzt und kommt auf uns zu.
„Bekommst du bei meinem Anblick schmutzige Gedanken?“, schreit Ryan in seine Richtung.
Er ignoriert sie und ist unbeeindruckt. Als er nah bei mir angekommen ist, sehr nah, so nah, dass ich die Wärme spüre, die sein Körper abstrahlt, hält er an und sagt in einem leisen Tonfall, sodass nur ich es hören kann: „Also wenn du dieses Outfit tragen würdest, wäre die Antwort definitiv ein Ja.“
Ich sehe ihn an. „Was haben Sie gerade gesagt?“
„Sie helfen der Sache nicht wirklich“, sagt er lauter.
„Das ist nicht das, was Sie gesagt haben“, sage ich leiser. Denn ich will das andere noch mal hören. Will die Gänsehaut entlang meiner Wirbelsäule noch einmal fühlen, bei dem Gedanken, dass er solche Sachen denkt. Schmutzige Sachen. Über mich.
Er wiederholt es nicht. Geht nicht darauf ein. Er hält mir die Hand entgegen und sagt: „Geben Sie mir das Plakat.“
Ich umfasse die Stange fester. „Ich helfe ihr.“
„Tun Sie das? Ich habe den Eindruck, dass Ihnen etwas daran liegt, dass die ganze Sache mit dem geringstmöglichen Schaden in ihrer Schulakte verzeichnet wird. Oder nicht?“
Oh Gott, sein süffisantes Lächeln ist der Wahnsinn. Ich kann gar nicht direkt hinsehen.
„Fahren Sie fort“, sage ich, aber er hat schon genug gesagt. Ich weiß, was ich tun muss. Ich mag einfach nur, wie seine Stimme klingt. Wie sie in seinem Brustkorb rumpelt, wenn er so leise wird, dass Ryan nicht hört, was wir reden.
„Bringen Sie sie in ihren Unterricht und ich sorge dafür, dass es keine Konsequenzen für ihren Eingriff in den Straßenverkehr gibt.“
Er scheint mir nicht der Typ Cop zu sein, der Anklagen fallen lässt, also ist das hier untypisch für ihn. Ich weiß es einfach. Er ist ein Mensch, der auf die Vorschriften achtet. Warum also tut er das? Es macht mich skeptisch. Gleichzeitig kann ich nicht den Blick von ihm reißen. Ich bin wie gelähmt. In seinem Bann.
Ich gebe ihm das Plakat.
Er zeigt mir einen Hauch seines wahren Lächelns, dieses Mal ist es nur für mich. Meine Knie knicken praktisch ein. Wenn ich noch einen Moment länger hinsehe, falle ich vielleicht wirklich in Ohnmacht. Ich drehe mich um, schnappe mir Ryans Arm, um mich auf sie zu stützen, während ich vorgebe, auf diese Weise ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.
„Ryan …“
„Du willst mir sagen, ich soll aufhören, oder?“ Sie zieht sich weg und ich halte mich gerade so auf den Beinen. „Das werde ich aber nicht. Ich werde meinen Kampf für die Frauen nicht aufgeben. Ich werde nicht aufhören, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.“
Ich sehe sie direkt an. „Ich werde dir selbstverständlich nicht sagen, dass du aufhören sollst zu kämpfen. Das würde ich nie machen. Habe ich dich nicht immer bestärkt zu sagen, was du auf dem Herzen hast, egal ob mit Worten oder Taten?“
Sie verengt den Blick, unsicher, ob sie mir trauen soll oder nicht. „Vielleicht.“
„Ich bestärke dich jetzt auch genau das zu tun. Nur gibt es manchmal bessere Wege, sich Gehör zu verschaffen. Sieh mal.“ Ich zeige auf die Leute, die sich um sie versammelt haben. „Das hier ist eine sehr kleine Gruppe. Du könntest dir sehr viel mehr Gehör verschaffen, wenn du das Problem bei der nächsten Schulversammlung ansprichst, wo du tatsächlich eine Veränderung bewirken kannst. Glaubst du nicht auch?“
Sie verzieht die Lippen und denkt darüber nach.
„Das ist noch nicht einmal unsere Cheerleader-Uniform“, ruft eine der Cheerleaderinnen einfach so von der Seite der Auffahrt.
Ich lehne mich zu Ryan und wispere: „Außerdem sieht es nicht so aus, als wüssten die Frauen, für die du kämpfst, deinen Einsatz zu schätzen.“
Sie legt mir einen Arm um die Schultern. „Sie sind nur noch nicht aufgewacht, Liv.“
„Ich bezweifele, dass sie durch das hier aufwachen.“
Sie wirft den Kopf in den Nacken und stöhnt. Dann, ganz plötzlich, als ob sie nicht gerade total bereit gewesen wäre für ihr Anliegen Richtung Washington zu marschieren, zuckt sie mit den Schultern und sagt: „Okay. Ich sollte eh zur zweiten Stunde im Unterricht sein. Ist amerikanische Geschichte. Wir sehen uns eine Doku über die Suffragetten an.“
Sie legt die restlichen Ketten ab, die ich erst jetzt an ihren Armen und Händen bemerke, und gibt sie mir. Dann schlendert sie zum Schulgebäude.
„Wo geht sie hin?“, fragt Direktorin Holden bangend.
„Zum Unterricht“, verkünde ich selbstzufrieden.
„Nicht in diesem Aufzug! Keine Cheerleader-Uniformen auf dem Schulgelände!“ Sie stapft Ryan hinterher, wobei sie den Rest der Gruppe anweist, ihr zu folgen.
„Sie wird sich umziehen“, sage ich zu niemandem im Speziellen. „Hoffe ich jedenfalls.“
Mannomann, jemandes Mentor zu sein ist ein harter Job. Das ruft eventuell nach mehr Koffein, als nur einer Keurig Tasse voll.
„Officer Kelly, ich bin erst sechzehn“, ruft die Freundin von der Cheerleaderin zu ihm herüber. „Aber in Kansas ist das legal bei Einvernehmlichkeit.“
„Es macht mir Angst, dass du das weißt“, sage ich.
„Ab in den Unterricht, bevor ich euch noch eine Strafe wegen Schwänzen aufdrücke“, sagt Officer Kelly, aber nicht bevor ich sein leises Lachen über meinen Kommentar gehört habe.
„Was ist denn Schwänzen?“, fragen beide im Chor.
„Oh mein Gott“, rufe ich, „ihr müsst unbedingt in die Schule.“
Sie marschieren davon und auch wenn ich gern die Lorbeeren dafür ernten würde, tun sie es wahrscheinlich nur, weil es gerade klingelt. Und jetzt sind alle weg, bis auf mich. Und dem Cop.
Dem sehr heißen Cop.
Auf einmal fühlt es sich schwieriger an, Luft in die Lungen zu kriegen, als gerade noch eben noch.
„Gut gemacht“, sagt der Cop und nickt anerkennend. „Vielleicht kannst du sie ab jetzt aus Schwierigkeiten heraushalten.“
Da sträuben sich mir die Haare. „Nur weil jemand leidenschaftlich ist, bedeutet das nicht, dass sie noch mal in Schwierigkeiten geraten wird.“ Tatsächlich ist es das Kompliment, an dem ich mich störe. Es stört mich, wie ich mich dabei fühle. Was ich dabei empfinde.
„Richtig“, sagt er und ich schwöre, er denkt Dinge über mich, bei denen ich tausend Tode sterben würde, wenn ich sie jemals herausbekäme.
Ich runzele die Stirn und fühle mich unbehaglich. „Gut, na dann.“
Ich sollte ihm danken, aber er spricht zuerst. „Geh mit mir Abendessen.“
„Was? Abendessen? Warum?“ Das waren überhaupt nicht die Dinge, von denen ich hoffte, dass er sie über mich denkt. Überhaupt nicht die Dinge, von denen ich wollte, dass er sie über mich denkt. Und doch flattert es in meinem Bauch, als wäre das eine gute Sache. Dummer Bauch.
„Weil ich abends hungrig bin und ich finde, wenn man ein Essen zu sich nimmt, geht der Hunger weg.“ Er ist total ernst und das ist so sexy, ich bin mir nicht sicher, ob ich es ertrage.
Ich blicke nach unten, weg von diesem verflucht heißen Kinn und diesen verflucht heißen Lippen. „Dafür brauchst du mich doch nicht.“
„Allein essen ist einsam.“
Ich kann dieser verdammt heißen Stimme nicht entkommen. Meine Haut brennt im kühlen Frühlingswind. „Ich bin mir sicher, Fräulein Sekretärin Wieauchimmersieheißt wäre sehr erfreut, dir beim Abendessen Gesellschaft zu leisten.“
„Ich frage aber nicht sie. Sondern dich.“
Ich sehe zu ihm hoch und mein Herz setzt einen Schlag aus. Sogar mit der Sonnenbrille im Gesicht kann ich sehen, dass er seinen Blick nicht von mir nehmen kann. Gänsehaut krabbelt über meine Arme.
Abendessen. Ich esse zu Abend. Ich könnte mit ihm zu Abend essen. Was wäre daran verkehrt? Wenn ich seine Augen sehen könnte, hätte ich schon längst Ja gesagt, da bin ich sicher. Vielleicht sage ich sowieso Ja.
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