Keine Reaktion von Officer Ernsthaft. Still grummele ich vor mich hin. Der einzig gute Nebeneffekt dieser demütigen Erinnerung daran, dass ich altere – und das offensichtlich nicht sonderlich anmutig – ist, dass es mich aus der Dieser-Cop-ist-zu-heiß-ich-kann-nicht-mehr-denken-Benommenheit katapultiert.
„Ich bin eine Freundin“, erkläre ich ihm. „Ich arbeite mit ihr in der Bibliothek. Sie hat mir eine Nachricht zukommen lassen, als sie dachte, sie wäre in Schwierigkeiten.“
Der Cop – Officer Kelly, wie ich mich wieder erinnere – sieht mich ernst an. Sein Ausdruck verrät nichts. „Können Sie sich ausweisen?“
„Sehe ich so aus?“ Ich habe keine Taschen und ich habe keine Geldbörse in der Hand. Tatsächlich glaube ich sogar, dass ich so schnell aus dem Haus gelaufen bin, dass ich sie nicht einmal ins Auto geworfen habe. Mist. Das hat mir noch gefehlt. Ein Strafzettel, weil ich ohne mitgeführten Führerschein gefahren bin. „Muss ich das denn?“
Er sieht mich von oben bis unten an. Ich wünschte, ich könnte seine Augen sehen, damit ich eine Ahnung hätte, was in seinem Kopf vorgeht. „Nein, ich schätze nicht.“
„Gut.“ Ich entspanne mich soweit, dass ich ordentlich Luft holen kann. „Dann können wir uns ja um das vorliegende Problem kümmern. Was genau ist passiert?“
„Nun, Sie sehen, die Minderjährige …“
„Ryan Alley. Sie hat einen Namen.“ Ich merke schon, dass Ryan Probleme bekommt. Officer Kelly sieht nicht so aus, als ob er irgendetwas durchgehen lässt. Wenn er sie vielleicht als eine Person wahrnimmt, statt einfach nur einer Minderjährigen, wird er sie möglicherweise verschonen.
„Die Minderjährige“, fährt er fort, als ob ich nichts gesagt hätte, „hat sich zwischen diese beiden Bäume links und rechts der Schuleinfahrt gekettet und damit einen Stau bei der morgendlichen Anfahrt der Eltern ausgelöst. Wir haben die Ketten mithilfe eines Bolzenschneiders aus dem Schulsekretariat von der Sekretärin …“
„Das bin ich, ich hab ihn gefunden!“
Großartig. Das sexbesessene Schneewittchen ist eine Heldin.
Er dreht sich zu der Frau und nickt ihr anerkennend zu, dabei lächelt er genau so viel, dass sie errötet. Sein Lächeln ist tatsächlich der Wahnsinn. Ich wünsche mir fast, ich hätte ihm den Bolzenschneider gebracht, nur damit er es mir schenkt.
Officer Kelly legt seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. „Aber die Minderjährige weigerte sich, ihren Platz zu verlassen. Wir warten auf Unterstützung, um weitermachen zu können.“
Ich werfe einen Blick auf Ryan. Sie weigerte sich, ihren Platz zu verlassen? Ich glaub, ich spinne. Natürlich kann sie meine Gedanken nicht lesen, aber sie ahnt, was ich denke und zuckt mit den Schultern.
„Wie groß sind die Schwierigkeiten, in denen sie steckt?“, frage ich den Cop und bin etwas sanfter, weil ich weiß, dass ich keinen Verhandlungsspielraum habe.
„Darüber können wir reden, sobald wir die Situation gelöst haben.“
Ich verlagere mein Gewicht auf ein Bein und rede während ich nachdenke. „Wenn ich sie überreden kann aufzugeben, und sie in die Schule kriege, bevor weitere Leute hier eintreffen, wäre das von Vorteil für sie?“
„Das liegt nicht nur an mir.“
Er dreht sich um und sieht zu der Gruppe hinter sich. Als ob er sie gerufen hätte, kommt eine der Frauen zu uns herüber. Nicht die flirtende Sekretärin, sondern die, die versucht hat, Ryans Eltern zu erreichen.
„Hallo. Ich bin Sharie Holden, die Direktorin. Danke, dass Sie gekommen sind. Wir würden es begrüßen, wenn wir das Ganze mit so wenig Aufregung wie möglich auflösen könnten.“ Den letzten Teil ihres Satzes hat sie geflüstert, als ob das Drama somit weniger groß ist.
Wenigstens scheint man sie leichter bequatschen zu können, als Officer Sachlich hier. „Wird es für sie irgendwelche Konsequenzen haben, wenn ich es hinbekomme?“, frage ich.
„Ich kann die Geschichte nicht komplett ungestraft lassen. Die halbe Schule hat gesehen, was sie hier heute getan hat. Das kann ich nicht durchgehen lassen.“
„Da haben Sie recht“, sage ich mit einem Tonfall, der durchblicken lässt, dass ich eindeutig nicht ihrer Meinung bin. „Was halten Sie davon, wenn ich Channel Nine anrufe, damit sie über den Protest berichten? Wenn ich dafür sorge, dass es auch alle mitbekommen, wenn sie nachher mit Handschellen abgeführt wird? Ryan könnte sogar eine Stellungnahme abgeben. Klingt das gut, Ryan?“
„Ja! Eine Stellungnahme!“ Sie hopst auf und ab. „Ich habe schon eine vorbereitet!“
Sharie Holden wird leichenblass. „Bei näherer Überlegung denke ich, wir könnten es bei einer Verwarnung belassen. Sofern Sie sie in ihren Unterricht kriegen, ohne dass die Presse involviert wird.“
„Okay, okay.“ Ich habe ein gutes Gefühl dabei. Ryan und ich haben eine Verbindung. Sie mag vielleicht nicht auf die Stimme der Vernunft hören, aber sie hört auf mich. „Gegen was protestiert sie?“
Ryans Antwort ertönt: „Diese dumme Schule hat die Cheerleader-Uniformen an den Spieltagen verboten. Cheerleader-Uniformen! Weil irgendein Junge sich beschwert hat, sie würden ihn zu schmutzigen Gedanken animieren. Als ob Frauen schuld wären, an was Männer denken. Es ist lächerlich und unfair. Ich sage, das ist Vergewaltigungskultur! Ich sage, das ist Unrecht!“
„Was kümmert sie das überhaupt?“, sagt die blonde Teenagerin.
„Oder?“, sagt eine ihrer Freundinnen. „Sie ist nicht mal ein Cheerleader.“
„Ich bin ein Cheerleader, Officer Kelly“, ruft die Erste.
„Natürlich bist du das“, murmelt er sich in den Bart und tut mir beinah leid. Beinah.
„Das ist nur an Schultagen, Ryan“, erklärt die Direktorin. „Sie können sie bei den Spielen immer noch tragen.“
„Darum geht es doch überhaupt nicht.“ Ryan stöhnt.
Ich muss mich zurückhalten, um nicht mit ihr zu stöhnen. „Haben Sie die Cheerleader-Uniformen wirklich verboten, weil sich ein Junge schmutzige Gedanken gemacht hat?“, frage ich ungläubig. „Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Teenie-Jungs haben schmutzige Gedanken, egal, was Mädchen anhaben.“
„Da hat sie nicht unrecht“, gibt Officer Kelly zu.
„Sicherlich.“ Sie lächelt knapp. Gespielt. Es ist die Art von Lächeln, die immer mit einer Belehrung einhergeht. „Wir glauben an unserer Schule an respektvolles Verhalten, Ms. Ward. Ganz sicher werden wir nicht die Objektivierung von Frauen unterstützen.“
In meiner Brust blubbert Verärgerung hoch.
Tu es nicht, Liv. Lass es bleiben .
Aber ich tue es dennoch. Ich fange ein Streitgespräch an. „Objektivierung ist ein komplett anderes Thema. Im Augenblick schieben Sie die Schuld an dem, was Männer denken, auf die Kleidung, die Frauen tragen, und somit auch auf das, was Männer tun. Das ist eine längst überholte Ansicht, Ms. Holden. Sind wir nicht schon einen Schritt weiter?“
Das gespielte Lächeln ist verschwunden. Sie versucht kaum noch, nett zu sein. „Ich weiß Ihre Meinung zu schätzen, aber da Sie kein Kind an unserer Schule haben, zählt sie nicht wirklich.“
Das reicht. Ich bin über meine Verärgerung hinaus. Jetzt bin ich stinkwütend. „Da es sich hier um eine öffentliche Schule handelt und ich ein Steuerzahler bin, zählt meine Meinung sehr wohl. Und weil wir in den USA leben, wo wir das Recht auf freie Meinungsäußerung haben …“ Da Taten mehr sagen als Worte, beende ich meine Tirade abrupt an diesem Punkt und marschiere hinüber zu Ryan. Ich schnappe mir ihr Plakat und halte es stolz in die Höhe.
Ryan grinst breit und macht mit ihrem Protest weiter. „Bekommst du bei meinem Anblick schmutzige Gedanken?“, brüllt sie jemandem zu, der gerade mit seinem Hund am Rande des Schulgeländes Gassi geht.
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