„Zack“, tönte in diesem Moment eine Stimme aus dem Inneren der Wohnung. „Wer auch immer da an der Tür steht, schwing deinen Arsch hier wieder rein und zeig uns gefälligst, wo du das Bier versteckst.“
Zack lächelte – ein Ausdruck, der ihm im Gegensatz zu dem mürrischen Blick, den er mir immer schenkte, ungemein gut stand – und öffnete die Tür ein wenig weiter für mich. Jetzt war es an mir, ihn überrascht anzusehen. War das wirklich so leicht mit dem Frieden? Ich entschloss, dass es nicht schaden konnte, in seine Wohnung zu gehen. Ich war neugierig und ich wollte wissen, wohin er meine Figuren verschleppt hatte.
Ich schlüpfte an ihm vorbei und wartete, bis er die Tür schloss. Währenddessen sah ich mich im großräumigen Flur um, an dessen Wänden sich leere Umzugskartons stapelten. Offenbar hatte ich richtig gelegen und der Umzug hatte ein Ende gefunden.
„Die anderen sind im Wohnzimmer.“ Er ging voraus in den nächsten Raum. Ich atmete auf, als ich meinen Tiger neben dem gigantischen, dunkelbraunen Sofa stehen sah. Auch ein paar meiner anderen Kreationen standen hier und da im Raum, als provisorische Deko verteilt auf noch nicht eingeräumten Regalen und Schränken, und schienen vorerst sicher vor dem Kamin zu sein, der an der Wand gegenüber stand. Daneben befand sich der Durchgang zu einer modernen Küche, auf der anderen Seite war eine geschwungene Treppe mit kunstvoll verziertem, schmiedeeisernem Geländer, die ins obere Stockwerk führte, das meine Wohnung nicht hatte. Wenn man davon absah, war die Wohnung vom Aufbau her ein Spiegelbild von meiner. Allerdings sah die Küche und das, was ich vom Badezimmer durch die halb offene Tür erkennen konnte, komplett anders und viel neuer aus als in meiner Wohnung. Ich vermutete, dass die Lautstärke der letzten Wochen hauptsächlich von der Renovierung gerührt hatte.
Erst jetzt realisierte ich, dass wir nicht mehr allein waren. Auf dem L-förmigen Sofa saßen vier Männer, von denen ich immerhin zwei kannte. Branden Jones und David Lance, die auch schon im Spotlight dabei waren. Sie standen beide lächelnd auf, als sie mich sahen. Branden kam mit einem Augenzwinkern auf mich zu, während David mehr als verwirrt wirkte. Anscheinend hatte Zack nur Branden in unsere neue Nachbarschaft eingeweiht.
„Zoey, schön dich wiederzusehen.“ Er umarmte mich fest und ich konnte Zacks bohrenden Blick in meinem Rücken förmlich spüren. Wahrscheinlich dachte er, dass ich ihm seinen besten Freund ausspannte.
„Du wirkst nicht überrascht“, stellte ich fest.
„Zack hat mir schon von seinem Glück erzählt.“
„Ich hoffe sehr, dass Sie heute keine weitere Attacke auf mich geplant haben“, sagte Zack. Ich wandte mich ihm zu und zog eine Augenbraue in die Höhe. Ich konnte nicht sagen, ob er das ernst meinte, oder ob es nur eine lustig gemeinte Anspielung auf unsere erste Begegnung sein sollte. War Zack so nachtragend? Oder hatte er tatsächlich nicht gesehen, dass es keine Absicht, sondern ein Unfall gewesen war? So oder so wollte ich mich lieber auf eine friedvolle Nachbarschaft mit ihm konzentrieren und beschloss, nicht weiter mit ihm darüber zu diskutieren.
„Das kommt ganz darauf an, ob Sie mir ein Bein stellen oder nicht.“ Ich nickte zu dem Geschenk, das er immer noch in der Hand hielt. „Wollen Sie nicht aufmachen?“
Er sah mich einen Moment skeptisch an, machte sich dann aber daran, das Papier aufzureißen. Gespanntes Schweigen erfüllte den Raum und als die bunten Fetzen langsam zu Boden segelten und den Blick auf eine Packung Fleckentferner freigaben, begannen Branden und David zu grinsen. Mit angehaltenem Atem wartete ich auf Zacks Reaktion und hätte mir vor Verwunderung fast die Augen gerieben, als er leise lachend den Kopf schüttelte. Dieses fürchterliche Kribbeln kam zurück und breitete sich von meinem Bauch über den ganzen Körper aus. Mein Herz begann zu klopfen und die Härchen in meinem Nacken stellten sich auf. Ich musste mich mehr auf meinen bevorstehenden Seelenfrieden freuen, als mir bewusst war. Übertrieben schockiert schnappte ich nach Luft. „Oh mein Gott, ist das …?“ Ich senkte meine Stimme zu einem leisen Flüstern. „Ist das etwa ein Lächeln?“ Und schwups, da war es wieder verschwunden. Stattdessen zog er eine Augenbraue in die Höhe.
„Saubere Arbeit, Sherlock.“
„Immer zu Diensten, Watson“, erwiderte ich und deutete eine Verbeugung an.
„Wenn du die Kunst der Deduktion schon so einwandfrei beherrschst, warum tust du allen Anwesenden nicht einen Gefallen und findest heraus, woher dieser coole Tiger hier stammt?“ Er zeigte auf die Holzfigur neben dem Sofa. „Komischer Zufall, dass es gerade ein Tiger ist.“ Ich betrachtete das Logo auf seinem Pulli. In der Tat komisch.
„Und da Sie die Kunst der Deduktion offensichtlich nicht beherrschen, ist Ihnen wohl nicht aufgefallen, dass sich Sherlock und Watson niemals duzen.“
„Allerdings ist mir aufgefallen, dass wir mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert leben und das Duzen unter Nachbarn durchaus üblich ist.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich entspannt gegen den Türrahmen zwischen Flur und Wohnzimmer.
„Nicht unter diesen Nachbarn.“ Vertrautheit mit Zack Conner wollte ich so gut es ging vermeiden.
„Wir können auch einen Blutsbruderpakt schließen, wenn dir das lieber ist.“
„Für einen Blutsbruder bin ich nicht männlich genug.“ Sein Blick wanderte langsam über mich und blieb dabei kurz an meinem Ausschnitt hängen. Seine Augen strahlten so intensiv, dass mein Körper sofort zum Leben erwachte und ich unwillkürlich einen Schritt auf Zack zu machte.
„Wäre mir gar nicht aufgefallen.“
„Ich habe vorhin auf dein Anraten einen Termin beim Augenarzt ausgemacht. Willst du mitkommen?“
„Wenn die Hölle zufriert“, erwiderte er mit einem Augenzwinkern, warf den Fleckentferner in einer fließenden Bewegung quer durch den Raum und versenkte ihn in einem Umzugskarton. Ich legte den Kopf schief.
„Sauber eingelocht.“
„Falsche Sportart, Baby.“ Seine Stimme war eine Nuance tiefer geworden und jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich ballte die Hände zu Fäusten und atmete einmal tief durch, um mir nichts davon anmerken zu lassen. Seine Stimme klang wahnsinnig sexy und ich konnte nicht zulassen, dass Kosenamen, auch wenn sie ironisch gemeint waren, mir zu Kopf stiegen.
„Nenn mich nicht Baby.“
„Ach?“ Er schnaubte amüsiert. „Und wenn doch? Willst du mich mit Drinks überschütten, bis ich ertrinke?“
„Bevor ich meinen brillanten Plan noch ausplaudere, sollte ich vielleicht lieber wieder gehen.“ So gern ich auch die gegnerische Seite ausspionieren wollte und dieses Gespräch auf eine seltsame Art Spaß machte, meine Mission war erfüllt. Außerdem brauchte ich eine Pause von diesem High, das ich seit meiner unkonventionellen Entschuldigung spürte.
„Willst du nicht mal auf ein Bier bleiben?“, fragte David.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich glaube, das wäre keine gute Idee.“
„Sie hat recht, ein verschütteter Cocktail reicht schon, da muss sie nicht auch noch das gute Bier vergeuden“, sagte Zack und als ich gerade schon kontern wollte, sah ich das leichte Lächeln auf seinen Lippen. Verdammt, war er hübsch.
„Darauf werdet ihr noch ewig rumhacken, oder?“, seufzte ich theatralisch.
„Sicher. Und darauf, dass du ihm dann auch noch den Rest über den Kopf gekippt hast“, erwiderte Branden lachend.
„Warte mal einen Moment, wer hat was gemacht?“, fragte einer der beiden Spieler, die im Club nicht dabei gewesen waren. Branden setzte gerade zu einer Erklärung an, da beschloss ich, den Rückzug anzutreten.
„Diese Peinlichkeit erspare ich mir lieber. Viel Spaß noch.“
„Wie nachbarschaftlich von dir, mich das jetzt allein ausbaden zu lassen“, warf Zack mir vor.
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