Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-094-7
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Sean Beaufort
Sie wittern die Falle – aber sie brauchen Proviant
Mit rotunterlaufenen Augen starrte Bahadur Charan, plötzlich vor Schrecken bewegungslos, auf die Spitze seines Dolches. Von der Schneide löste sich ein letzter Blutstropfen. Erst nach zwei Dutzend Atemzügen löste sich die Starre des jungen Soldaten. Zehn Schritte hinter ihm, am Fuß der Treppe seines Hauses, lag Kumaragupta. Er war tot, der Dolch hatte seinen Magen getroffen. Unvermittelt fühlte Bahadur auch die Striemen im Gesicht, auf den Armen und der Brust. Er dachte an Sayida. Sie war der Grund des Streites gewesen, der seit einem Jahr andauerte und jetzt sein blutiges Ende gefunden hatte.
„Er ist tot“, sagte Bahadur keuchend. „Ich habe ihn getötet. Sie werden mich hetzen, bis auch ich tot bin. Für sie gilt das Gesetz der Blutrache …“
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Die Hauptpersonen des Romans:
Bahadur Charan– ist zwar Soldat der Stadtwache von Trivandrum, was ihn aber nicht davon abhält, das Gesetz zu brechen.
Kumaragupta– der reiche Kaufmann will seine Tochter Sayida an einen anderen reichen Mann verkaufen, und stürzt sich damit ins Unglück.
Ferreira Amorin– will als portugiesischer Teniente die Arwenacks unter Quarantäne stellen und schließt mit dem Profoshammer Bekanntschaft.
Philip Hasard Killigrew– steht vor der Entscheidung, einen Mörder zu schützen oder dem Gesetz auszuliefern.
Kapitän Philip Hasard Killigrew, durchnäßt bis auf die Haut, blinzelte überrascht und ungläubig. In der schwarzen Wolkenfläche, die seit dem vergangenen Nachmittag den Himmel verfinstert hatte, zeigten sich erste Löcher. Einzelne Sterne blinkten, aber der Sturm heulte noch immer aus Südwesten. Der Monsun zeigte sich seit acht Stunden von seiner schlimmsten Seite.
„Dieser verdammte Monsun!“ schrie Sven Nyberg, der an der Pinne stand und nicht weniger naß war als der Seewolf. „Er treibt uns zurück nach Bombay, Sir!“
„Nicht so weit, Sven!“ rief der Seewolf. „Aber ganz bestimmt an Kapitän Vicente Pomba und seiner schießwütigen ‚Coimbra‘ vorbei.“
„Und so weit aufs Meer hinaus, daß wir Tage brauchen, um zurückzufinden?“
Wieder holte die Schebecke weit über. Von Backbord schmetterte ein Brecher über das Grätingsdeck und überschüttete die Männer mit einer salzigen Flut. Seit dem Zusammentreffen mit der portugiesischen Galeone, die zu Sebastiao-Lourenco, dem fieberkranken Wächter des Warenlagers gehörte, versuchte die Seewölfe-Crew, im wütenden Sturm sich möglichst weit von der Küste freizuhalten. Sie konnten nichts anderes tun, als Nordwestkurs zu steuern. Weg von der Küste! Fort von Schlick, Sandbänken, unreinem Grund und Legerwall.
Hasard beantwortete die Frage des Rudergängers, die eine halbe Feststellung war: „Wir finden zurück, keine Sorge. Und den Ort mit dem unaussprechlichen Namen finden wir leichter, als du denkst.“
Irgendwo achteraus, weiter nördlich oder südlich – das würden sie vielleicht schon beim ersten Morgenlicht genauer wissen können –, lagen die gefürchteten, rätselhaften Sandbänke von Alleppey. Und der Zielhafen Madras war keine Seemeile nähergerückt.
Aber das Schiff ließ seine Besatzung nicht im Stich. Die schlanke Schebecke schob sich die Wellenberge hinauf, schnitt mit dem scharfen Bug durch die gischtenden Kämme und tauchte wieder hinunter in die Täler zwischen den Wogen. Es geschah nicht allzu häufig, daß sich der Vorsteven in eine gischtende Wasserfläche bohrte, deren Kamm wie eine Brandungswelle abriß und auf die Decksplanken schmetterte.
Stunde um Stunde kämpften die Arwenacks gegen die Wellen der Malabarküste. Weder Ben Brighton noch Carberry oder der Seewolf dachten an einen gewöhnlichen Wachwechsel. Wenn es gar zu schlimm wurde, tappten und stolperten sie, sich an den Manntauen festklammernd, unter Deck, trockneten sich flüchtig ab, tranken einen Schluck und spülten sich das Salzwasser aus den Augen und Ohren.
Der Sturm hatte wenigstens nicht auch noch den Nachteil, daß er Kälte brachte. Selbst jetzt, zwei Stunden nach Mitternacht, herrschten unglaubliche Hitze und Schwüle.
Hin und wieder rauschte ein dichter Regenschauer nieder, wusch und spülte über Segel und Planken, und die Sturzflut aus Südwesten hörte so unvermittelt auf, wie sie erschienen war. Edwin Carberry löste den Seewolf ab.
Sie blieben neben dem Niedergang stehen, der Seewolf deutete in die Höhe und schrie durch das Dröhnen, Heulen und Knarren: „Die Wolken reißen auf, Ed.“
Carberry grinste mühsam. „Wird auch Zeit, Sir. Aber der Sturm läßt verdammt nicht nach, wie?“
„Noch nicht. Ein gutes Zeichen – dort, der Mond.“
Der Seewolf zeigte zu den dünnen Wolkenschleiern, die vor der weißen Fläche des Mondes dahinjagten. Aber schon wenige Atemzüge später verdeckten erneut Wolken das bleiche Gestirn. Hasard schlug Carberry auf die Schulter und duckte sich, als wieder eine Welle gegen die Bordwand schmetterte und sich als Sturzregen, fast waagerecht, über Deck ergoß.
„Wird schon wieder auftauchen, der gute alte Mond!“ rief Carberry und enterte den Niedergang auf. „Im Sonnenlicht sieht alles ganz anders aus.“
Der Seewolf zog den Kopf zwischen die Schultern und verschwand unter Deck.
Unverändert stampfte das Schiff durch die schwere See. Kaum einer der Seewölfe hatte richtig schlafen können, ab und zu gelang es für ein paar Minuten, dann riß es die Männer wieder halb aus den Kojen. In unregelmäßigen Abständen war unter Deck schwach das Geräusch der Lenzpumpe zu hören, die das Wasser aus der Bilge außenbords beförderte.
Gähnend und leise fluchend lagen die Arwenacks in den Kojen und stemmten sich fest. Jeder wartete auf das Tageslicht – und darauf, daß der Sturm endlich abflaute.
Als sich kurz nach drei Glasen das erste Grau im Osten zeigte, war die Wut des Sturmes gebrochen.
Seit mehr als einer Stunde hatte es nicht geregnet, die weißen Schaumkronen wurden zusehends niedriger und lösten sich auf. Hasard war in einen unruhigen Schlaf gefallen. Neben dem Rudergänger stand Ben Brighton und versuchte zu erkennen, ob ihn sein Gefühl nicht trog.
Die grobe See beruhigte sich, je heller es wurde. Im Süden hoben sich die Wolken über der Kimm.
Dan O’Flynn klammerte sich mit einer Hand an die Heckbalustrade und versuchte, das Spektiv einigermaßen ruhig zu halten. Er peilte nach Osten, wo das Land lag, und hoffte, daß er das Land auch sehen konnte. Er sah es zwar, aber nur die gezackte Linie der Berge weit im Hinterland, hinter denen sich die Farbe des frühen Morgens von Rot in Gelb zu verändern begann.
Hilflos zuckte Dan mit den Schultern. Er war nicht in der Lage, zu sagen, vor welche? Stelle der Verdammten Küste sie sich befanden.
„Aber wahrscheinlich irgendwo vor Cochin“, murmelte er im Selbstgespräch. Der Wind schien zu drehen, er wehte nicht mehr gleichmäßig aus Südwesten.
Dan drehte sich um und rief dem Ersten zu: „Wir werden mit ein wenig Glück auf Gegenkurs gehen können, Ben.“
Ben nickte und erwiderte: „Das dauert noch eine Weile. Ich traue dem Frieden noch nicht.“
„Abwarten.“
Hinter den fernen Schattenrissen der Berge schossen die ersten Sonnenstrahlen flach über die Wellen.
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