„Schwarzer Tod kam und ging. Nicht viele Tote. Wir Glück gehabt. Shiva war gnädig.“
Die Zwillinge winkten und bedankten sich lautstark. Der Fischer blickte ihnen nach, bis die Schebecke wieder auf dem alten Kurs lag und Fahrt aufnahm. Dann versuchten die Zwillinge, ihren Kameraden zu berichten, was sie selbst nur unter Schwierigkeiten zu glauben vermochten. Aber je länger sie sprachen, und als sich auch Old Donegal und Hasard einmischten und Erklärungen versuchten, wurde deutlich, daß es sich nicht um Seemannsgarn oder Märchen vom Vogel Rock und seinen öligen Eiern handelte.
„Von Wasserläufen, die im Boden versickern und irgendwo anders wieder auftauchen, habe ich schon gehört“, erklärte der Seewolf schließlich. „Aber das würde eine Art Süßwasserquellen oder Brackwasser im Meer bedeuten.“
Hasard junior hob die Hand. „Ich denke, daß die Pflanzenteile und all das andere Zeug ein Beweis sind. Nur mit dem Öl, das kann ich nicht glauben.“
„Schau aufs Wasser, dann mußt du es glauben“, warf sein Bruder ein.
„Erdpech“, sagte Hasard. „Wahrscheinlich liegt unter dem Schlick eine dicke Schicht Erdpech. Und die löst sich langsam auf. Ihr wißt, daß man nicht viel Öl braucht, um die Wellen zu beruhigen.“
Dan zuckte mit den Schultern und fuhr ratlos durch sein windzerzaustes Haar.
„Es muß eine mächtige Schicht sein“, meinte er. „Vielleicht läuft das Erdpech auch ständig nach, durch irgendwelche Sprünge oder Höhlen, oder was weiß ich.“
Er schaute sich um, nickte dem Seewolf zu und verholte unter Deck, um die Eintragungen in seinen Karten zu verbessern. Für ihn war das Geheimnis so gut wie gelöst. Eine weitere Seltsamkeit im Land der Inder.
Kumaragupta hörte, wie der Hund knurrte und dann ein heiseres Bellen ausstieß. Er zuckte zusammen und fluchte, dann dämmerte ihm eine schreckliche Ahnung. Entweder schlichen Mörder oder Diebe ums Haus – oder es war dieser Bringer des Unglücks, der von Kali dreimal verfluchte Bahadur Charan, der nicht eine lausige Rupie im Gürtel hatte und es wagte, seine lüsternen Augen auf Sayida zu richten.
Kumaragupta sprang auf. Der Hocker fiel klappernd um, die Münzen, die Waage und die Kästchen, mit kostbarer Einlegearbeit verziert, klirrten und kippten auf die Tischplatte.
„Dieser Höllenhund!“ keuchte der dicke Kaufmann und sprang zum Fenster. Er starrte wütend hinunter in den Innenhof, der von drei blakenden Öllämpchen schwach beleuchtet war. In der Mitte des kleinen Vierecks stand der Hund, zerrte an der Kette und knurrte in die Richtung des Durchganges zur Straße.
„Wer ist da?“ schrie Kumaragupta. Seine Stimme überschlug sich. Er glaubte, leichte Schritte zu hören. Das konnte nur Sayida sein.
„Keiner gehorcht mir“, keuchte Kumaragupta, riß an seinem Turban und schrie dann: „Thapa! Wo bist du? Einbrecher treiben sich herum. Uday! Komm her!“
Tauben gurrten erschreckt, der Hund fing zu kläffen an, irgendwo kicherte jemand, aber die Diener rannten nicht herbei. Der Wachhund hörte nicht auf zu knurren und zu bellen.
Auch die Nachbarn rührten sich nicht. Wahrscheinlich schliefen sie alle. Oder sie wollten sich nicht darum kümmern, ob er beraubt oder grausam ermordet wurde. Der Kaufmann dachte an sein Geld, an die Ehre seiner Familie und die Unschuld seiner Tochter. Wo war ihre Mutter, bei der blutigen Kali?
Er drehte sich um, seine Augen huschten durch das Zimmer. Er sah nichts, das er als Waffe gebrauchen konnte, um den Eindringling zu vertreiben. Wenn es Charan war, dann genügte … Er bückte sich, zerrte unter der Liegestatt eine flache Kiste hervor und wühlte darin.
Er fand einen langen, rostigen Säbel und die Peitsche, die er einmal auf der Karawanenstraße gebraucht hatte. Seine Aufregung war größer als die Angst, und aus dem Inneren des Hauses glaubte er gefährliche Geräusche zu hören.
„Wo ist diese schamlose, ungehorsame Tochter?“ zischte Kumaragupta und riß den Säbel an sich. Er rannte im Zimmer hin und her, halb kopflos, klappte die Geldtruhe zu und lief dann mit klappernden Pantoffeln die Lehmziegeltreppe hinunter.
Wo steckten die dreimal von Shiva gestraften Diener? Niemand ließ sich hören, keiner war zu sehen. Nur die flackernden Flammen der Lämpchen brachten zusammen mit den zitternden Schatten Bewegung in die Stille um Mitternacht. Der Hund knurrte noch immer.
Kumaragupta stieß die knarrende Tür auf und war mit fünf Schritten bei seinem Kettenhund. Er hob den Säbel und blickte sich wild um. Der gemauerte Eingang mit dem verzierten Rundbogen lag im tiefen Schatten.
Zögernd richtete er seine Schritte darauf und rief: „Zeig dich, du Feigling!“
Nichts geschah. Wieder wagte der Kaufmann ein paar Schritte. Jetzt spürte er wieder seine fünfzig Jahre und das Fett seines Körpers. Kurzatmig ging er bis zum Türbogen und hielt mit zitternden Fingern den Säbel mit der ausgestreckten Hand vor sich hin. Die Spitze beschrieb in der Dunkelheit kleine Kreise. Hinter ihm, vor den Fenstern, klapperten Läden.
Ein harter Schlag traf die Waffe und prellte sie ihm aus den Fingern. Klirrend fiel sie auf den festgestampften Lehm. Dann packte eine Hand das Hemd des Kaufmanns, drehte es zusammen und schob den Mann rückwärts zurück in den Hof.
Als Kumaragupta erkannte, wer ihn bedrohte, keuchte er ein paarmal und fauchte: „Kein Einbrecher also! Natürlich Bahadur Charan, der Soldat der Stadtwache.“
„Ja. Ich will mit deiner Tochter sprechen.“
Bahadur ist so jung und schlank, schwarzhaarig und gutgläubig, wie ich vor dreißig Jahren, dachte der Hausherr verzweifelt. Aber seine einzige heiratsfähige Tochter sollte einen reichen Mann haben. Er wußte längst, wer es sein würde.
Er zerrte an dem kräftigen Handgelenk, und Bahadur lockerte seinen Griff. Der Kaufmann stolperte rückwärts und trat den Hund. Das Tier jaulte auf und schnappte nach seiner Wade.
„Du wirst mit niemandem sprechen. Auch nicht mit mir!“ fuhr der Kaufmann den anderen an. „Sieh zu, daß du verschwindest.“
Der Schmerz in der Wade ließ den weißhaarigen Inder wütend werden. Jetzt gelang es ihm, die Hand wegzureißen. Wie zwei Kobras, die ihre Köpfe hoch aufgereckt haben, standen sie sich gegenüber und starrten sich haßerfüllt an.
„Ich sage dir, du sollst verschwinden!“ rief der Kaufmann und stieß den aufgeregten Soldaten gegen die Schulter.
„Warum? Ich will nicht mit dir reden, alter Kaufmann“, sagte Bahadur und drehte die Enden seines schwarzen Schnurrbartes nach oben.
„Auch mit meiner Tochter sprichst du kein Wort!“ schrie der Kaufmann zurück. „Sie ist so gut wie verheiratet. Aber nicht mit dir, du Habenichts.“
Ununterbrochen knurrte der Hund und zerrte an der klirrenden Kette.
„Und wenn du vor Wut umfällst, bei allen Göttern, deine Tochter Sayida und ich, wir lieben uns. Seit fünf Jahren. Du weißt es, deine arme Frau weiß es, die halbe Stadt weiß es. Sie wird den anderen nicht lieben und er sie auch nicht, ihr reichen Geldsäcke.“
Sie schwitzten in der Hitze der Nacht. Die Luft war unbeweglich und voller Staub. Im Haus rührte sich nichts. Wahrscheinlich wartete jeder darauf, daß der Kaufmann den Soldaten der Stadtwache hinauswerfen würde. Zum letzten Mal. Nur Sayida war anderer Meinung. Sie klammerte sich an die Sprossen des Fensters und lauschte jedem Wort.
„Wen du liebst, ist mir so gleichgültig wie das Wetter von morgen“, keifte der Kaufmann.
„Ich hole sie mir, und wir fliehen irgendwohin“, sagte der Soldat. Er beherrschte sich noch immer und schrie nicht, wie es der Kaufmann tat. Unversöhnlich standen sie sich gegenüber.
„Eher bringe ich meine eigene Tochter um“, sagte Kumaragupta. Seine Stimme war schrill, aber schwach.
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