Investitionsbereitschaft der Menschen in die Gesundheit
Ausbau von Flughäfen und die sich daraus ergebende vereinfachte Mobilität
Reisewitz (2015: 14ff.) weist weiters darauf hin, dass medizintouristische Reisen nicht nur aufgrund der Reduzierung des Leistungsumfanges der gesetzlichen Krankenversicherung im Herkunftsland und aufgrund der neuen Möglichkeiten internationaler Mobilität, sondern auch zur Vermeidung langer Wartezeiten im Herkunftsland angetreten werden. Neben dem qualitativen Mehrwert der Auslandsbehandlungen werden „Komforterwägungen“ (Reisewitz 2015: 16) sowie das „Streben nach möglichst perfekter körperlicher Konstitution“ (Reisewitz 2015: 17) angeführt. Auch ExpertInnen im medizinischen Bereich befassen sich immer häufiger mit den Ursachen für Medizintourismus. So unterscheidet die „ÄrzteZeitung“ (vgl. Wallenfells 2015) hinsichtlich der Beweggründe für die PatientInnenmobilität drei Typen von medizintouristischen PatientInnen: PatientInnen, die auf eigene Kosten medizinische Behandlungen im Ausland mit höchsten Qualitätsansprüchen verlangen; PatientInnen, die im Ausland kostengünstige Behandlungen in Anspruch nehmen; PatientInnen, die aufgrund langer Wartelisten im Herkunftsland ins Ausland gehen und auf Kassenkosten (z.B. gemäß der Richtlinie 2011/21/EU) diese Eingriffe vornehmen lassen. Diese Differenzierung vernachlässigt aber jene Menschen, die eine Behandlungsreise aufgrund hoch spezialisierter Eingriffe unternehmen – z.B. jene Menschen, die wegen einer bionischen Handprothese nach Wien reisen, da diese Operation in ihrem Herkunftsland nicht durchgeführt wird – und sich dennoch der Patientenmobilitätsrichtlinie bedienen, um eine Teilerstattung der Behandlungskosten zu erhalten. Auch grenzüberschreitende Bewegungen von PatientInnen zwischen Nachbarländern lassen sich immer häufiger beobachten.1 Darüber hinaus weist Connell (2011 sowie 2015) darauf hin, dass neue Typen von medizinischen Reisenden beobachtet werden können: Menschen, die in Ländern wohnen, in denen gewisse Behandlungen unmöglich oder illegal sind (z.B. Abtreibungen, Fruchtbarkeitsbehandlungen u.a.) sowie Menschen, die zu einem früheren Zeitpunkt ausgewandert sind, aber später aus Kostengründen nur zum Zweck einer bestimmten medizinischen Behandlung (auch einer einfachen Gesundheitsvorsorge) in ihr Herkunftsland zurückreisen.
Wie unter 1.3 bereits erwähnt, wurde das medizinische Reisen innerhalb der Europäischen Union mit der Patientenmobilitätsrichtlinie erleichtert. In diesem Zusammenhang fasst Kirsch (2017: 7ff.) die Ergebnisse der Umfrage „Eurobarometer 2015“ (Europäische Kommission 2015a) zusammen: 5% der Befragten aus allen EU-Ländern unterzogen sich einer spontanen oder geplanten Behandlung in einem anderen EU-Land, fast die Hälfte der Befragten konnte sich solch eine Behandlung innerhalb der EU vorstellen (vgl. Kirsch 2017: 18). 55% der Befragten, die sich keine Behandlung in einem anderen EU-Land vorstellen konnten, gaben als Grund Bequemlichkeit, Angst vor Verständigungsschwierigkeiten oder Unsicherheit betreffend die rechtliche Lage an (vgl. Kirsch 2017: 19). Darüber hinaus wurden die häufigsten Gründe für Behandlungen im Rahmen des Medizintourismus (vgl. Kirsch 2017: 19f.) erforscht: die Nichtverfügbarkeit der benötigten Behandlung im Herkunftsland (71%), die höhere Qualität der medizinischen Behandlung im Zielland (53%), der Wunsch nach namhaften SpezialistInnen, die die Behandlung durchführen (38%), sowie die Dringlichkeit der Behandlung (34%). Der Kostenfaktor wurde nur von 23% der Befragten als Reisegrund angegeben, was laut Kirsch der These zu widersprechen scheint, dass Medizintourismus überwiegend in Richtung günstigerer Destinationen verlaufen würde.
1.5 Das medizintouristische Angebot
Die Analyse des medizintouristischen Angebots unterscheidet sich je nach Definition des Begriffs Medizintourismus und Ausgangsdisziplin der Forschenden. Berg (2008) und Illing (2009) konzentrieren sich zum Beispiel auf den Gesundheitstourismus in puncto Wellness und beschreiben das umfassende Angebot, das von der Vermittlung der Reise über die Dienstleistungen von Kurorten und Bädern bis zu Beherbergungsmöglichkeiten reicht. Quast (2009) legt ihren Fokus auf den Medizintourismus von Deutschland aus in Richtung anderer Zielländer und analysiert unter anderem dessen Produkt,1 Infrastruktur und Distributions- und Kommunikationskanäle. Quast (2009: 28ff.) unterteilt das medizintouristische Angebot in primäre, sekundäre und tertiäre Angebote. Das primäre Angebot stellt das eigentliche Produkt dar: die medizinische Leistung. Im sekundären Angebot sind Zusatzprodukte enthalten, die zwar keinen rein medizinischen Zweck erfüllen, aber die Voraussetzung für den Erfolg der medizinischen Reise bilden. Beispiele der Produkte innerhalb dieser Kategorie sind die Klinik mit ihrer Einrichtung und Ausstattung, die Verpflegung, die kürzeren Wartezeiten im Vergleich zu den regulären Behandlungen, die Dolmetschleistungen, die Möglichkeit der Religionsausübung und die Berücksichtigung religiöser und kultureller Traditionen. Das tertiäre Angebot beinhaltet schließlich ergänzende Produkte wie die Erledigung der Reiseformalitäten für die Betroffenen und deren Begleitpersonen, die Betreuung vor Ort, die Organisation von Taxi- oder Bustransfers sowie Freizeitaktivitäten und Vor- und Nachsorge.
1.5.1 Art der medizinischen Behandlung
Die Identifikation der im Medizintourismus angebotenen Behandlungsarten ist nicht nur aufgrund der in zahlreichen Fällen fehlenden statistischen Zentralerfassung medizintouristischer Daten, sondern auch durch unterschiedliche Auslegungen des Begriffs Medizintourismus relativ schwierig. So ist eine strukturierte Präsentation der Behandlungsarten für das medizintouristische Zielland Österreich aufgrund fehlender Studien kaum möglich. Im Rahmen der Interviews mit vier medizintouristischen Fachexperten, die für die Untersuchung des Medizintourismus in Österreich von Klobassa (2016: 41ff.) geführt wurden, wurden folgende medizinische Bereiche erwähnt, die von ausländischen PatientInnen häufig angefragt werden: Chirurgie sowie Schönheitschirurgie, Herz- und Lungenchirurgie, viszerale Chirurgie und Onkologie. Darüber hinaus reisen zahlreiche PatientInnen für eine Vorsorgeuntersuchung oder Diagnoseüberprüfung nach Österreich (vgl. Kobassa 2016: 22). In seiner Unterscheidung zwischen dem qualitäts- und dem kostenorientierten Medizintourismus analysiert Berg (2008: 171ff.) die verschiedenen Behandlungsarten. Im qualitätsorientierten Medizintourismus, der Länder wie Deutschland, die Schweiz, Österreich, die skandinavischen Länder oder die USA als Behandlungsorte umfasst, gibt es insbesondere eine Nachfrage für komplizierte Eingriffe, die im Herkunftsland der PatientInnen aufgrund mangelhafter Versorgung oder veralteter Behandlungsmethoden nicht durchgeführt werden können. Die größte Nachfrage gibt es bei schweren Frakturen, Erkrankungen der inneren Organe, Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie kosmetischen Operationen (vgl. Berg 2008: 171ff.). Im kostenorientierten Medizintourismus, der durch eine Bewegung aus den oben genannten reicheren Ländern in Richtung günstigerer medizintouristischer Zielländer gekennzeichnet ist, unterziehen sich hingegen PatientInnen aus Gründen der Kostenersparnis einer Behandlung in Drittländern: Im Herkunftsland sind die Kosten der gewünschten Behandlungen zu hoch, weshalb sie sich für eine Behandlung im Ausland entscheiden. In manchen Fällen werden die Kosten sogar von der Krankenversicherung des Herkunftslandes erstattet. Bei dieser Art des Medizintourismus gibt es unter anderem eine Nachfrage für Zahnersatz, Kuren, Augenbehandlungen und Schönheitsoperationen (vgl. Berg 2008: 171ff.). Die vom österreichischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft beauftragte Studie „Gesundheitstourismus in Österreich 2014“ konzentriert sich in erster Linie auf touristische Angebote mit explizitem Gesundheitsbezug in Thermen und Kuranstalten (vgl. BMWFW 2014). Reine medizintouristische Angebote werden von der Studie außer Acht gelassen. Laut einer Umfrage des Eurobarometers 2015 (vgl. Europäische Kommission 2015a, Kirsch 2017: 20) wurden im Jahr 2014 innerhalb der Europäischen Union folgende Behandlungsarten im Rahmen des Medizintourismus häufig in Anspruch genommen: Onkologie (53% der Befragten), Herzchirurgie (38%), Zahnmedizin (28%), diagnostische Behandlungen (26%), Endoprothetik (Hüftgelenke und Knieprothesen) (19%), Behandlungen von grauem Star (17%).
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