»Ich hatte mich auch mal verleiten lassen; gleich sollte ich’s dann gewesen sein. Da muß sie sich schon einen Dümmeren suchen!«
»Sie hat ja auch den Prozeß verloren.«
»Das war ich meiner Reputation doch schuldig, ich habe doch Frau und Sohn. Die Sache hat mir ohnehin genug Ärger gemacht!«
»Wo ist denn das Kind?«
»Ich glaube, gestorben.«
»Die haben stets Glück!«
Sie werden gegrüßt und grüßen wieder.
Dann schieben sie sich in den Torweg hinein und klettern die vierzehn Stufen.
Hallo! Rauch, Licht, Klaviermusik schlägt entgegen.
»Die drei Heiligen aus dem Morgenlande!«
»Und der Tabakfritze! Je später der Abend, desto schöner die Gäste!«
»Sie haben grad noch zum Dutzend gefehlt. Bertha, noch viere mehr!«
»Ihr knobelt gleich mit, es kommt sowieso jetzt ’ne neue Runde!«
»Hier das ist Bertha, die neue runde!«
»Die neue runde Bertha!«
Gequieke.
»Darf ich mir auch noch ’nen Glühpunsch bringen?«
»Freilich! Der neue Herr hier bezahlt’s. Zur Begrüßung! Er muß Sie doch willkommen heißen.«
»Den kenn’ ich noch nicht.«
»Sie werden mich schon noch kennen lernen, hoffe ich . . .«
»Der Zigarrenfritze ist es von vis-à-vis.«
»Ach, bringen Sie mir mal Zigaretten mit!«
»Sie will gleich was in die Fresse haben, daß es roocht, von Ihnen!«
Die Würfel kollern.
Die Schürmann-Wirtin kommt aus der Küche. »Hier ist der Gulasch! Ah, der Herr Stadtrat . . . und der Herr Koch . . . und der Herr Sekretär . . . Guten Abend, Herr Schmidt . . .«
»Ich bestimme! Semiramis!«
»Wie ist denn das?«
»Semiramis mit Hängetitten, das kennen Sie nicht? Die Sechsen und Einsen!«
»Aber Herr Stadtrat!«
»Wenn der nicht immer so ’n unschuldiges Späßchen machen kann, dann ist ihm nicht wohl!«
»Na, Jungfer Bertha?«
»Prost! Haben Sie nicht was zu roochen für mich!«
»Hier, die ist aber stark! Jungfer Bertha, da möchtste dir wohl die Hosen zubinden!«
»Sie hat ja gar keene an!«
»Woher weißt du?«
Ein Würfel springt vom Tische herunter. Man jagt ihm nach. »Unterm Sofa muß er doch liegen . . . ich hörte ihn deutlich rollen.«
»Hat niemand ein Streichholz?«
Der Zigarrenhändler verirrt sich in gelbseidene Spitzen und Bändchen und Hitze und rundliches Fleisch. Er schnauft.
»Das sollte Ihre Frau sehn!«
»Verflucht!«
»Der Schmolke muß zahlen!«
»Nun sagt mal, Kinder, wie lange sitzt ihr denn eigentlich hier?«
»Wir waren noch gar nicht Mittag essen.«
»Wir haben uns auf dem Gericht getroffen. Schmolke hat seinen Erbschaftstermin. Na, deine Alte, die wird schön spukken!«
»Ob sie immer noch mit dem Essen wartet?«
»Nun aber die letzte Runde, ja! Wieviel hab’ ich denn schon zu bezahlen?«
»Ach was, die Bertha muß doch eingeweiht werden!«
»Ja, trinken wir mal auf die neue Bertha!«
»Die dicke Bertha!«
Sie grapschen nach ihr.
»Ich glaube, ich hab’s wieder gut getroffen. Wo ich zuletzt war, bei Klose in Brieg, da waren auch so fidele Brüder. Die letzten drei Nächte kam ich kaum schlafen, wir feierten ohne Pause Abschied, wir wurden alle immer wieder besoffen und nüchtern; dann nahmen sie Droschken und brachten mich alle zusammen zum Bahnhof, am hellichten Tage, das war ein Klaumauk! Der Landmesser Langer, der kriegte sogar noch mit dem Stationsvorsteher Krach, weil er immer noch mal die Coupétür aufriß, als der Zug sich schon längst im Fahren befand. Mir ist nachher von dem verfluchten Geratter bald mordsübel geworden; wir hatten auch alles durchsammen getrunken, noch mal den ganzen Keller durch, jede Sorte Schnaps und Wein; ich kotzte wie sieben Reiher – ein herrlicher Abschied!«
»Du scheinst ja ’nen guten Magen zu haben. Ich glaube, du vertilgst eine Stange!«
»Seit sie mir den Blinddarm hamm rausgeschnitten . . .«
»Was, du hast keen Blinddarm mehr? Nu da! Zeig’ mal . . . da muß ich doch einmal fühlen!«
»Hast du etwa auch sonstwas nicht mehr? Am Ende haben sie dir aus Versehen noch was andres mit weggeschnitten.«
»Abdenitten! Abdenitten!«
Der Zigarrenkaufmann erhebt sich.
»Was? Hinsetzen! Dageblieben! Sie müssen erst auch mal ’ne Runde verlieren!«
»Ein andermal! Ich habe Hunger.«
»Wir haben noch nicht einmal Mittag gegessen.«
»Ja Sie, meine Herren, sind frei; ich aber . . . wenn man im berufstätigen Leben steht . . . ich bin Geschäftsmann . . .«
»Sie können auch hier essen: es gibt heute Gulasch und Beefsteak mit Linsen.«
»Ein andermal, Frau Schürmann, heut geht’s nicht.«
»Du hast wohl ein Rendezvous heute, Karle?«
»Ja, mit seiner Ollen!«
Der Stadtrat steht auf. »Dann werde ich mich auch gleich empfehlen: wir haben nämlich heut leider Besuch.«
»Verbrennt euch nischt!«
»Na, Berthel, da wünsch’ ich noch viel Vergnügen!«
»Morgen komm’ ich mir Zigaretten holen!«
Der Zigarrenhändler tätschelt sie noch einmal ab. »Da steck’ ich dir was in dein süßes Mäulchen.«
»Guten Abend, allerseits!«
»Guten Abend!«
»Guten Abend, Frau Schürmann!«
»Guten Abend, die Herren! Kommen Sie bald wieder!«
Die Tür kracht.
»Neue Runde: ›Ums Loch, ins Loch!‹ Oehm gibt an.«
Die Würfel klappern.
»Die Ehekrüppel! Pünktlich um neune zu Muttern ins Poocht!«
»Dem Schmidt, dem ist es ja bloß ums Fressen! Der Dickwanst, der kriegt ja nie genug. Als seine Frau einmal verreist war, da kam er zu uns Mittag essen. Du lieber Gott! Ich hatte ihm sowieso schon größere Portionen gegeben, aber nie war ihm eine groß genug, und Sie wissen doch alle, bei mir sind sie reichlich!«
»Ja, Mutter Schürmann läßt sich nicht lumpen!«
»Darf ich mir noch einen Glühpunsch bringen? Und wer gibt jetzt einen Böhm fürs Klavier?«
»Ich. Aber eine neue Walze!«
»Die Dollarprinzessin?«
»Das war schon zu oft.«
»Matchiche?«
»Ja gut, Matchiche!«
Gekurbel. Der Motor schnurrt an; die Tasten hacken.
Der Rentier grölt: »Wenn meine Frau sich auszieht, wie das dann aussieht . . .«
Bertha macht sich an ihn heran: »Kennen Sie schon den Witz vom Kompagnon . . .?«
Der Zigarrenkaufmann Schmidt betritt seine Wohnung. Der Tisch ist gedeckt. Frau Emma schlürft wie Trinkgeld heischend:
»Na, Männe?«
»Gibt’s Essen? Ich hab’ einen Riesenappetit.«
»Ich glaube, die Kartoffeln sind weich. Wir haben heute Koteletts mit Gemüse.«
»Immer ran! Wo ist Hugo?«
»Er lernt nebenan.«
»Na los!«
»Hugo! Hu–go!«
»Ich komme ja schon!« Bücher klappen. Ein glupschender Bengel murrt.
»Ihr stört mich mitten in meiner Lektion.«
»Man sagt: Guten Abend!«
»Was ist denn los?«
»Papa ist gekommen, du siehst. Er hat Hunger.«
»Das brauchst du mir doch nicht zu erzählen; das ist doch alt. Na, Mojen, Papa!«
»Man sagt doch nicht Morgen am hellichten Abend!«
»Wir Pennäler, wir sagen jetzt immer Mojen!«
»So laß ihn doch, Emma, sie haben ja recht. Man muß sich durch irgendwas unterscheiden. Die Jungens müssen schon eigen sein.«
»Was war noch im Geschäft los?«
»Wie immer. Die Rettichen hat fünfzig Stück Zigaretten geholt; die feiert wohl wieder ’ne Orgie mit ihren Zimmerherren . . .«
»Aber Karl!«
»Nachher kamen noch die drei Krippensetzer, der Vollert, der Koch, der Adolf, und schleppten mich mit zum Biere. Ich konnte nicht nein sagen, man muß doch auch mal die Kundschaft besuchen!«
Hugo meckert um einen Knochen herum: »Unser neuer Kandidat, der Matuschek, bei dem wir jetzt die Botanik haben, der wohnt bei der Rettichen.«
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