Eva Rechlin
SAGA Egmont
Spuk im Hochhaus
Copyright © 1980, 2017 Eva Rechlin og Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711754344
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Familienschreck taucht auf
In einem unserer dicht besiedelten Landstriche gibt es eine vielköpfige Sippschaft mit dem guten alten Namen Happenduckdickdanzer. Die meisten davon wohnen in der großen Stadt D. oder etwas außerhalb. Daß man auch noch den vollen Stadtnamen nennt, würde sie nur verärgern. Mitbürger könnten sie erkennen und mit dummen Fragen belästigen. Die meisten von ihnen stehen im Telefonbuch. Es heißt, einige der Sippschaft hätten sich noch nie gesehen und wüßten trotzdem fast alles voneinander. Aber bis zu jenem naßkalten, nebeldüsteren November hatte keiner von ihnen an den Professor Bruno-Kuno Happenduckdickdanzer gedacht, obwohl vor allem die Älteren allerlei über ihn wußten, besonders, daß er ein altes Ekel wäre, ständig unterwegs auf Forschungsreisen in aller Welt. Und ausgerechnet beim miesesten Novemberwetter tauchte er in D. auf und meldete sich telefonisch.
Er saß in seinem Hotelzimmer, vor sich das dicke Telefonbuch, aufgeschlagen bei den anderthalb Spalten voller Happenduckdickdanzer-Anschlüsse. Es begann mit Agathe, Bruno, Carmen und so weiter durch das ABC und endete mit Zacharias. Genau in dieser Reihenfolge wollte der alte Bruno-Kuno sie anrufen. Er brauchte ihre Hilfe bei der Suche nach einer ruhigen Wohnung, in der er ungestört seine Forschungsergebnisse aufschreiben wollte. In Hotels hatte er lange genug gehaust.
Als erste wählte er also die Nummer von Agathe Happenduckdickdanzer. Er wußte nicht mehr genau, wer diese Agathe aus dem Telefonbuch sein mochte. Verwandte interessierten ihn so wenig wie sämtliche übrigen Menschen, solange er sie nicht brauchte. Er hörte den Summton aus der Hörmuschel und dachte nach:
Agathe – hieß nicht so die Frau eines seiner Brüder oder Vettern? Auf jeden Fall eine alte Schachtel. Wie lange brauchte sie denn noch bis zu ihrem Telefon? Na endlich! Zaghaft meldete sich eine junge Stimme.
»Ist dort Agathe?« knurrte er, »saluto, altes Haus, hier spricht dein guter alter Bruno-Kuno. Bin mal wieder im Lande und will diesmal sogar bleiben. Na? He, Agathe! Mach gefälligst auch mal den Schnabel auf!«
»Seien Sie bloß froh, daß ich nicht Oma bin. Die knallt auf, wenn man sie so blöde anspricht. Aber ich will mal nicht so sein. Sind Sie noch dran?«
Verwirrt stammelte der Professor: »Gewiß! Wer sind denn Sie?«
»Carola, Omas Enkelin. Sind Sie ein alter Freund von ihr?«
»Moment, Kind. Heißt deine Oma Happenduckdickdanzer?«
»Schlaues Kerlchen! Mein Papa heißt auch so, ist ihr Sohn.«
»Und dein Großvater – hieß er Uwe-Udo? Hallo, Karotte!«
»Ca-ro-la«, antwortete sie mit hörbarem Mißtrauen, »ich laß mich von Wildfremden nicht über Opa Uwudo ausfragen, kapiert?«
»Uwudo?« sagte, fast gerührt, der grauhaarige Herr im Hotel, »das war schon als Kind der Spitzname von meinem großen Bruder. Also bist du meine richtige Nichte. Aber was nützt mir das? Ein Kind wird mir kaum bei der Wohnungssuche helfen können. Los, ruf mal die alte Agathe ran. Oder noch besser Uwudo!«
»Geht leider nicht mehr. Wenn Sie sein Bruder waren, müßten Sie das eigentlich wissen, Sie … wie heißen Sie denn?«
»Ich bin dein Onkel, Carlina. Professor Bruno-Kuno Happenduckdickdanzer, gestern abend hier im ›Hotel Fürstenhof‹ eingetroffen, frisch aus Feuerland …«
»Ph! Ein Professor würde wissen, daß er mein Großonkel ist, wenn sein Bruder mein Opa war. Mich können Sie doch nicht für doof halten. Außerdem heiße ich Caro-la!« Peng! Und schon legte sie auf. Brach das Gespräch einfach ab. Er schnappte nach Luft. So etwas hatte noch keiner mit ihm gewagt! Wütend wählte er die nächste Nummer. Bei Bruno Happenduckdickdanzer meldete sich niemand. Als der Professor Carmens Telefonnummer wählte, ertönte das Besetztzeichen. Ärgerlich knurrte er: »Verdammte alte Quatschtüte! Also weiter zu Donald …« Er wählte die Nummer. Besetzt. Er legte auf, trat ans Fenster, ging zurück ans Telefon, wählte noch einmal Donalds Nummer. Besetzt. Es war nicht zu fassen: Auch bei Eduard ertönte das Besetztzeichen, ebenso bei Fanny und bei Gregor, bei Hugo, Ida, Julia, Karl, Leo und … bei Moritz gab er es auf, schlug sich die Hände vor das Gesicht und schluchzte: »Verdammte Quasselstrippen – sämtliche Happenduckdickdanzers! Oh nein, mit solcher Verwandtschaft will ich nichts zu tun haben. Stille brauche ich! Ruhe! Schweigen! Ich will …«
Sein Telefon klingelte. Wer auf dieser Erde konnte ihn anrufen wollen? Wer konnte überhaupt wissen, daß er im ›Hotel Fürstenhof‹ war? Er hob ab und brummte: »Pech gehabt, hier ist die falsche Nummer.« Er fuhr auf beim Klang der Stimme, die ihm antwortete: »Bleib dran, Großonkel! Ich bin’s, Carola! Ich hab Oma Agathe gerade noch bei Carmen erwischt. Sie haben gleich Onkel Donald und Onkel Bruno in seinem Büro und all die andern angerufen. He! Klemmt dein Gebiß? Sag was!« »Spricht man derartig mit einem Großonkel? Und woher wußtest du überhaupt meine Telefonnummer?«
»Du hast vorhin doch dein Hotel genannt. Und ich bin ja nicht im Schafstall elf Jahre alt geworden.«
»Du bist erst elf? Und telefonierst mit fremden Herren mutterseelenalleine herum? Wo sind deine Eltern, Kleine?«
»Geschieden. Ich wollte bei Oma bleiben. Du, ich weiß, wo dein Hotel ist. Soll ich mal hinkommen?«
Er erstarrte. Dieses Gör war wohl nicht zu bremsen. Entrüstet rief er zurück: »Fang bloß nicht an, mir auf den Pelz zu rücken, verstanden? Ihr sollt mir nur eine störungsfreie Wohnung suchen helfen. Kapiert, Kamilla?«
»Ca-ro-la! Und ob es dir paßt oder nicht: ich muß unbedingt sehen, ob es stimmt, was sie alle von dir sagen, nämlich daß du ein alter Drachen bist.«
»Untersteh dich!« brüllte er, »noch in dieser Minute verlasse ich das Hotel, du … du Kartoffel!«
Wütend legte er auf. Nun wußte er wenigstens, warum bei so vielen Happenduckdickdanzers die Telefone blockiert waren: Weil die Sippschaft sämtliche Drähte vollgackerte mit der Sondermeldung: »Bruno-Kuno ist wieder aufgetaucht …«
Es kamen zwei schlimme Wochen für ihn. Wie hatte er auf die unselige Idee kommen können, sich ausgerechnet in der alten Heimat seinen festen Wohnsitz suchen zu wollen? Hier, wo Scharen von Verwandten ihn umzingelten? Noch am ersten Tag hatte er das ›Hotel Fürstenhof‹ panisch verlassen, damit die dreiste Carola ihn nur ja nicht belästigen könne. Alle zwei Tage wechselte er vorsichtshalber das Hotel. Er wollte nicht einen einzigen von der vielköpfigen Sippe sehen. Seinen Frieden wollte er! Und selbstverständlich ihre aufopfernde Hilfe bei der Suche nach seiner Traumwohnung. Er wußte, daß es äußerst schwer war, in der großen Stadt überhaupt eine Wohnung zu finden. Einzig deshalb brauchte er die verwandtschaftliche Unterstützung, aber gefälligst alles nur telefonisch! Und sie begriffen schließlich, daß er unnahbar war. Die besagten zwei schlimmen Wochen brauchte er, bis er sie so weit hatte. Von da an konnte er im ›Hotel Tango‹ – es war sein achtes binnen vierzehn Tagen – einigermaßen sicher abwarten, daß sich die übrigen Happenduckdickdanzer’s bei der Wohnungssuche für ihn die Schuhsohlen durchliefen.
Und das taten sie trotz allem, was sich unter ihnen über den hochnäsigen Weltenbummler nun herumsprach. Bereits seit seiner Kindheit vor fast sechzig Jahren galt er als widerborstig, abweisend, kaltherzig, eigensüchtig und stinklangweilig. Und weil sich das wie ein Lauffeuer verbreitete, fürchteten alle, daß ein mieser Typ wie Bruno-Kuno sich bei ihnen einnisten und sie unbarmherzig aus den eigenen vier Wänden vergraulen könnte. Nein, da liefen sie sich lieber die Schuhsohlen ab.
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