Als er mit seiner Toilette fertig war, blies er das Licht aus und ging hinunter. Auf dem Boulevard versuchten ein paar Dirnen ihn anzureden. Und als hätten sie ihn beleidigt und verkannt, rief er ihnen mit verächtlicher Stimme zu:
»Laßt mich doch endlich in Ruhe!« Für wen hielten sie ihn? Konnten sie denn die Männer nicht unterscheiden? In seinem Frack, den er angezogen hatte, um bei sehr reichen, sehr bekannten und sehr einflußvollen Leuten zu speisen, fühlte er sich als eine neue Persönlichkeit, als wäre er ein Mann der wirklich großen Gesellschaft geworden.
Mit ruhiger Sicherheit betrat er das Vorzimmer, das von hohen Bronzekandelabern erleuchtet war, und gab mit natürlicher Handbewegung Stock und Überzieher den beiden Dienern, die ihm entgegenkamen.
Alle Räume waren hell erleuchtet. Frau Walter empfing ihre Gäste in dem zweiten und größten Zimmer. Sie begrüßte ihn mit einem bezaubernden Lächeln, und er schüttelte den beiden Herren, die vor ihm gekommen waren, die Hand. Es waren die Abgeordneten Firmin und Laroche-Mathieu, die heimlichen Mitredakteure der Vie Française. Herr Laroche-Mathieu galt bei der Zeitung als besondere Autorität, da sein Einfluß, in der Kammer sehr bedeutend war. Man war auch allgemein überzeugt, daß er eines Tages Minister würde.
Dann kam das Ehepaar Forestier. Sie trug ein rosa Kleid, das ihr glänzend stand. Duroy sah mit Erstaunen, wie intim sie mit den beiden Abgeordneten war. Sie plauderte über fünf Minuten in der Ecke am Kamin ganz leise mit Laroche-Mathieu. Charles sah sehr verändert und mitgenommen aus. Er war seit einem Monat beträchtlich abgemagert und hustete unaufhörlich, wobei er immerfort sagte: »Ich müßte mich endlich entschließen, den Rest des Winters im Süden zu verbringen.«
Norbert de Varenne und Jaques Rival kamen zusammen. Dann öffnete sich eine Tür im Hintergrunde des Saales und Herr Walter erschien mit zwei jungen Mädchen von sechzehn und achtzehn Jahren, die eine hübsch, die andere häßlich.
Duroy wußte zwar, daß sein Chef Familienvater war; trotzdem war er sehr erstaunt. An die Töchter seines Vorgesetzten hatte er nur wie an weit entlegene Länder gedacht, die man niemals zu Gesicht bekommt. Außerdem hatte er sie sich als kleine Mädchen vorgestellt und sah sie nun fast erwachsen vor sich. Bei diesem Anblick wurde er innerlich etwas verlegen, eine Verlegenheit, die man beim Umlernen empfindet.
Sie wurden ihm vorgestellt, reichten ihm die Hand und setzten sich dann an einen kleinen Tisch, der wohl besonders für sie bestimmt war; dort begannen sie in einem Haufen von Seidenknäueln zu wühlen, die in einem Flechtkörbchen lagen.
Man erwartete noch jemand, und die Gäste standen schweigend in kleinen Gruppen herum, in jener ungemütlichen Stimmung, die vor dem Essen zu herrschen pflegt, wenn sich dazu Leute aus allen möglichen geistigen Sphären zusammenfinden, nachdem sie am Tage den verschiedensten Beschäftigungen nachgegangen sind.
Duroy hatte, weil er sonst nicht wußte, was er tun sollte, seine Augen auf die Wand gerichtet. Da rief ihm Herr Walter aus ziemlicher Entfernung zu, offenbar in der Absicht, seine Kunstsammlung zur Geltung zu bringen:
»Sie wollen meine Gemälde sehen?«
Das »meine« wurde nachdrücklich betont.
»Ich werde sie Ihnen gleich zeigen.« Und er nahm eine Lampe, damit sein Gast die Einzelheiten besser konnte.
»Hier sind die Landschaften«, sagte er.
In der Mitte der Wandfläche hing ein großes Bild von Guillemet, eine normannische Küste im Sturm. Darunter eine Waldlandschaft von Harpignies, dann eine algerische Ebene von Guillaumet mit einem Kamel am Horizont, einem riesigen, hochbeinigen Kamel, das einem phantastischen Denkmal glich.
Herr Walter ging zur nächsten Wand und trug feierlich wie ein Zeremonienmeister vor:
»Die große Kunst.«
Es waren vier Gemälde: »Ein Besuch im Krankenhause« von Gervex, »Eine Schnitterin« von Bastien Lepage, »Eine Witwe« von Bouguereau und »Eine Hinrichtung« von Jean Paul Laurens. Dieses letzte Bild stellte einen Priester aus Vendée dar, der von einem Trupp Soldaten an der Mauer seiner eigenen Kirche durch Erschießen hingerichtet wurde.
Ein Lächeln glitt über das ernste Gesicht des Hausherrn, als sie zur nächsten Wand kamen.
»Hier hängen die Humoristen.«
Man sah zunächst ein kleines Bild von Jean Béraud, das hieß: »Oben und unten.« Es stellte eine hübsche Pariserin dar, welche die Treppe eines Omnibusses in voller Fahrt hinaufstieg. Ihr Kopf befand sich in Höhe des Verdecks, und die Herren, die oben saßen, betrachteten mit zufriedener Miene das niedliche Gesicht, das zu ihnen emporkletterte, während die unten auf der Plattform stehenden, die Beine der jungen Frau mit einem Ausdruck von Verdruß und Begierde anschauten.
Herr Walter hielt die Lampe so hoch er konnte und wiederholte mit zweideutigem Lächeln:
»Wie meinen Sie? Ist es nicht drollig? Ist es nicht drollig?«
Dann erklärte er weiter:
»Das hier ist ‘Die Rettung’ von Lambert.«
Mitten auf einem abgedeckten Tisch saß ein junger Kater und beobachtete gespannt und erstaunt eine Fliege, die in ein Glas Wasser geraten war. Eine Pfote schwebte in der Luft; das Tier schien bereit zu sein, mit einer raschen Bewegung das unglückliche Insekt aus dem Wasser zu haschen. Aber es konnte sich nicht entschließen! Was würde es tun?
Dann zeigte der Hausherr ein Detaille: »Der Unterricht«. Das Bild stellte einen Soldaten in der Kaserne dar, der einen Pudel im Trommeln unterrichtete. »Das ist so geistreich!« sagte er.
Duroy war begeistert und lachte zustimmend:
»Wie entzückend! Wie entzückend! Wie entzü …«
Plötzlich hielt er inne; er hörte hinter sich die Stimme von Madame de Marelle, die soeben gekommen war. Der Chef fuhr fort, seine Gemäldesammlung zu beleuchten und zu erklären. Er zeigte noch ein paar Bilder und sagte dann:
»Ich habe noch welche in den anderen Räumen, aber es sind Bilder von Künstlern, die noch nicht berühmt sind. Dieses Zimmer hier ist mein Kunstsalon. Ich kaufe momentan sehr viele Bilder von ganz jungen Malern. Ich hänge sie in mein Privatzimmer und warte ruhig, bis die Schöpfer berühmt werden.«
Dann setzte er ganz leise hinzu:
»Es ist augenblicklich die richtige Zeit, um Bilder zu kaufen. Die Kunst geht betteln. Die Maler haben keinen Sou … sie müssen verkaufen.«
Doch Duroy sah nichts mehr und hörte zu, ohne ein Wort zu verstehen. Madame de Marelle war da und stand hinter ihm. Was sollte er tun? Wenn er sie grüßte, würde sie ihm womöglich den Rücken drehen oder ihm irgendeine Beleidigung ins Gesicht werfen. Und wenn er sich nicht näherte, was würde man dann denken?
»Ich will jedenfalls Zeit gewinnen«, dachte er. Er war so aufgeregt, daß er einen Augenblick daran dachte, irgendeinen Vorwand zu finden, um weggehen zu können.
Die Gemäldebesichtigung war zu Ende. Der Chef stellte die Lampe hin und begrüßte die Neuangekommene, während Duroy sich von neuem in die Bilder vertiefte, als könne er sich vor Bewunderung von ihnen nicht losreißen. In seinem Kopf herrschte ein vollkommenes Durcheinander. Was sollte er nun tun? Er hörte hinter sich sprechen, er unterschied die Stimmen und vernahm die Unterhaltung; plötzlich rief Frau Forestier:
»Sagen Sie, bitte, Herr Duroy.«
Er eilte zu ihr hin, und sie empfahl ihm eine Freundin, die ein Fest geben wollte, und er sollte es in der Vie Française erwähnen.
»Aber selbstverständlich, gnädige Frau,« stotterte er, »mit größtem Vergnügen.«
Madame de Marelle stand jetzt ganz in seiner Nähe. Er wagte nicht mehr, sich umzudrehen und wieder fortzugehen. Nun glaubte er den Verstand zu verlieren; sie sagte ganz laut:
»Guten Tag, Bel-Ami! Sie kennen mich wohl gar nicht mehr?«
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