Forestier lachte sehr über das Abenteuer, die beiden Damen aber erklärten den indiskreten Schwätzer für einen Lümmel und Feigling. Duroy schloß sich ihrer Meinung an und erklärte laut und deutlich, in derartigen Fällen wäre für den Ehrenmann strengste Diskretion geboten, gleichgültig, ob er Beteiligter, Vertrauter oder bloß zufälliger Mitwisser sei. Er fügte hinzu, wie voll von wundervollen Dingen das Leben wäre, wenn wir immer auf eine gegenseitige, unbedingte Verschwiegenheit rechnen könnten. Was die Frauen nur zu oft, ja fast immer zurückschreckt, ist die Enthüllung des Geheimnisses. Er lächelte und fuhr fort:
»Nicht wahr? — Wie viele würden sich, dem heftigen Verlangen und der vorübergehenden Laune gehorchend, zur Liebe hinreißen lassen, wenn sie nicht fürchteten, ein. leichtes, kurzes Glück mit ewiger Schande und schmerzlichen Tränen bezahlen zu müssen. Er sprach mit ansteckender Überzeugungskraft, als plädierte er für sich selbst, als wollte er sagen: »Bei mir hat man derartige Gefahren nicht zu fürchten! Bitte, probieren Sie es nur einmal!«
Die beiden Frauen sahen ihn an und ihre Blicke schienen ihm zuzustimmen. Sie fanden, er spräche gut und zutreffend, und verrieten durch ihr wohlwollendes, zustimmendes Schweigen, daß ihre unbeugsame Moral der Pariserinnen nicht lange aushallen würde, wenn absolute Verschwiegenheit im voraus garantiert wäre.
Forestier, der fast auf dem Sofa lag, ein Bein an sich gezogen und die Serviette in die Weste gesteckt, um den Frack nicht zu beflecken, erklärte plötzlich mit dem überzeugten Lachen eines Skeptikers:
»Weiß Gott! Das würden sie ausnützen. Wenn man nur der Verschwiegenheit sicher wäre. Donnerwetter! Und die Ehemänner! Die armen Ehemänner!«
Das Gespräch kam nun auf die Liebe im allgemeinen. Duroy hielt sie zwar nicht für ewig, aber für dauerhaft. Sie mußte zu einer zärtlichen Freundschaft und gegenseitigem Vertrauen führen. Die Vereinigung der Sinne sei nur ein Siegel zur Gemeinschaft der Herzen. Vor peinigenden Eifersuchtsszenen dagegen und vor all den Qualen, die das Ende einer solchen Liebe zu begleiten pflegen, hatte er einen heftigen Abscheu.
Dann schwieg er. Madame de Marelle seufzte:
»Ja, die Liebe ist das einzig Angenehme und Schöne im Leben und wir verderben sie nur allzuoft durch unmögliche Forderungen.«
Frau Forestier spielte mit dem Messer und sagte:
»Ja … ja … es ist so schön, geliebt zu werden!«
Träumerisch schweiften ihre Blicke umher, und sie begann über Dinge nachzudenken, von denen sie nicht zu sprechen wagte.
Da das erste Zwischengericht auf sich warten ließ, so schlürften sie von Zeit zu Zeit einen Schluck Champagner und knabberten ein Stück Kruste von kleinen runden Brötchen und ihre Gedanken weilten bei der Liebe, schwollen langsam an und wirkten berauschend auf ihre Seelen, wie der helle Champagner, der Tropfen für Tropfen durch ihre Kehlen rann, ihr Blut erhitzte und den Geist verwirrte.
Man servierte zarte, leichte Hammelkoteletts, die auf einer dichten Unterlage von Spargelspitzen lagen.
»Oh, das ist was Feines!« rief Forestier aus.
Und sie aßen langsam und genossen das schöne Fleisch und das weiche cremeartige Gemüse.
Duroy fuhr fort:
»Wenn ich eine Frau liebe, dann verschwindet für mich alles übrige auf der Welt.«
Er sagte das aus voller Überzeugung und berauschte sich an diesem Vorgefühl von Liebesfreude, wie er sich eben jetzt an dem Genuß und Wohlgeschmack der Tafel begeisterte.
Madame Forestier murmelte mit einem unverständlichen und unnahbaren Gesichtsausdruck:
»Es gibt kein größeres Glück als den ersten Händedruck, wenn die eine Hand fragt: ‘Liebst du mich?’, und die andere darauf mit einem leisen Druck erwidert: ‘Ja, ich liebe dich!’«
Madame de Marelle hatte eben wieder ein neues Glas Champagner ausgetrunken und setzte es wieder hin mit den Worten:
»Ich bin weniger platonisch!«
Alle lachten und stimmten ihr mit erregten Blicken zu.
Forestier lehnte sich auf dem Sofa zurück, stützte sich mit ausgebreiteten Armen auf die Kissen und sagte ganz ernsthaft:
»Diese Freimütigkeit ehrt Sie und beweist, daß Sie eine offenherzige, praktische Frau sind. Aber dürfte ich vielleicht erfahren, welcher Ansicht Ihr Herr Gemahl ist?«
Sie zuckte bedächtig die Achseln, mit tiefer Verachtung, dann sagte sie mit klarer Stimme:
»Mein Mann hat über diesen Punkt überhaupt keine Meinung … er enthält sich …«
Dann glitt die Unterhaltung langsam von den allgemeinen Theorien über Liebe auf jene schlüpfrigen Gebiete hinab, wo man an feinen Anspielungen aus dem Reich des Eros Gefallen findet.
Es kam zu witzigen, geschickten Zweideutigkeiten, zu einem Schleierlüften mit Worten. Es überstürzten sich verwegene Scherze und pikante Andeutungen, die uns alles blitzartig klar und scharf vor Augen führen, was wir niemals auszusprechen wagen würden und uns plötzlich in leidenschaftlicher Erregung alles enthüllen, was sonst schamhaft und verschwiegen bei uns im Innern verschlossen bleibt, und was der vornehmen Gesellschaft eine Art geheimnisvoller Wollust gewährt, eine Art unkeuscher Berührung der Gedanken durch die gleichzeitig aufregende, sinnliche Beschwörung aller geheimen, schamlosen Triebe.
Man brachte den Braten: Rebhühner, mit Wachteln garniert, junge Erbsen und dann eine Terrine Gänseleberpastete, zu der es Salat gab, der wie grüner Schaum eine große Salatschüssel in Form eines Lavoirs füllte.
Sie kosteten von allem, ohne darauf zu achten, was sie eigentlich aßen, so sehr waren sie mit ihren Gedanken und der Unterhaltung beschäftigt, als ob sie in ein Bad von Liebe tauchten.
Die beiden Damen begannen bald auch Anekdoten zu erzählen. Madame de Marelle tat es mit einer natürlichen Kühnheit, die fast herausfordernd wirkte, während Madame Forestier mit einer gewissen Verschämtheit im Ton, in der Stimme, im Lächeln und in ihrem ganzen Wesen eine reizende, allerliebste Zurückhaltung bewahrte, was alle Keckheiten, die ihrem Munde entquollen, scheinbar milderte, in Wahrheit aber unterstrich.
Forestier hatte sich ganz und gar zwischen die Sofakissen vergraben; er lachte, trank und aß ununterbrochen und warf hin und wieder eine so unzweideutige Bemerkung dazwischen, daß die Frauen der brüsken Form halber etwas ungehalten waren und einige Sekunden lang ein verlegenes Gesicht zeigten. Hatte er eine zu derbe Zote vorgebracht, dann setzte er hinzu:
»Ihr benehmt euch fein, meine Kinder, wenn es so weiter geht, werdet ihr noch allerhand Dummheiten anstellen.«
Nach dem Dessert wurde Kaffee serviert, und die Liköre weckten in den erregten Gemütern eine noch schwerere und heißere Unruhe.
Madame de Marelle war angeheitert, wie sie es sich bei Beginn der Mahlzeit vorgenommen hatte, und das erkannte sie ohne weiteres an mit der lustigen, schwatzhaften Anmut einer Frau, die einen tatsächlich kleinen Rausch übertreibt, um ihre Gäste zu amüsieren.
Madame Forestier schwieg vermutlich aus Vorsicht, und auch Duroy, der fühlte, daß er in seinem angeregten Zustande leicht einen Mißgriff begehen konnte, bewahrte eine geschickte Zurückhaltung.
Jetzt wurden Zigaretten herumgereicht und Forestier begann plötzlich zu husten. Es war ein schrecklicher Anfall, der ihm die Brust beinahe zu zerreißen schien. Mit krebsrotem Gesicht, die Stirne mit Schweiß bedeckt, erstickte er fast in seiner vorgehaltenen Serviette. Als der Anfall einigermaßen vorbei war, murmelte er wütend:
»Es ist zu dumm, ich kann solche Feste nicht mitmachen.«
Seine ganze, gute Laune verschwand vor der Angst, die ihm der Gedanke an seine Krankheit einflößte:
»Gehen wir nach Hause«, sagte er.
Madame de Marelle klingelte nach dem Kellner und verlangte die Rechnung. Sie erhielt sie sogleich und versuchte, sie zu lesen, aber die Ziffern tanzten ihr vor den Augen und sie reichte Duroy das Papier:
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