»Harst! Der Teufel hole den Hund!« –
Harald Harst sah in seinem Versteck nach der Uhr. Gleich zwölf. Und um zwölf wollte er sich mit Karl auf der Weidendammer Brücke treffen. Er schaute sich nach einem Auto um, ging dann zu Fuß der Friedrichstraße zu. Plötzlich hinter ihm eine Stimme: »Sie, Herr, – einen Augenblick –« – Es war der bleiche Kellner in Hut und Mantel. Er war ganz atemlos, hastete nun hervor: »Gut, daß ich Sie noch gefunden habe. Sie wollten doch was über die Claire Ruckser wissen. Ich war inzwischen in den Borussia-Sälen. Dort hab’ ich mich erkundigt. Die Film-Claire soll jetzt Kellnerin in der Goldenen Traube in der Gartenstraße sein. Wenn Sie zehn Emmchen spendieren, Herr, hole ich sie Ihnen heraus für ’n Momang.«
Harst witterte eine Falle, denn Claire Ruckser konnte nicht Kellnerin sein – seit längerer Zeit nicht mehr! Trotzdem ging er zum Schein auf den Vorschlag des Blassen ein. Er wollte feststellen, in welchen Beziehungen dieser Schielende nun wieder zu dem an Marga verübten Morde stand. – Bis zur Gartenstraße war es nicht weit. Aber Harst hatte Eile, und da konnte es ihm nur recht sein, daß ein geschlossenes Auto jetzt langsam an ihnen vorüberfuhr. Er rief es an. Es war frei. Der Blasse nannte dem Chauffeur das Fahrtziel, öffnete die Tür mit einem höflichen: »Bitte!« – Harst zögerte. Da erhielt er einen furchtbaren Stoß ins Genick, flog halb in den Kraftwagen hinein, wurde von innen vollends hineingezerrt, spürte zwei Hände wie Eisenklammern an seinem Halse. –
Karl beobachtete in der Vorhalle der Ballsäle stehend, wie der Zylinder-Onkel und der bleiche Kellner sich auf der Straße voneinander verabschiedeten. Da – eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter. Er sah sich zwei Herren gegenüber, von denen der eine jetzt sagte: »Wir sind Kriminalbeamte von der Wirtshauspatrouille und hinter Dir schon eine Weile her. Du hast Dich durch Deine fortwährenden –« – Karl ließ den Beamten nicht aussprechen, denn auch der lange Hagere ging jetzt eilends davon, dem er um jeden Preis auf den Fersen bleiben wollte. Mit knappen Worten klärte er die beiden Beamten darüber auf, daß er im Auftrage des Assessors Harst hier tätig wäre. »Bitte – begleiten Sie mich,« fügte er hinzu. »Ich lüge nicht. Ich erzähle Ihnen draußen das weitere.« – Harst! – die Beamten wußten sofort Bescheid: 20 000 Mark-Verlobter der ermordeten Marga Milden.
So kam es, daß sie ebenfalls Zeugen wurden, wie der Hagere ein Auto anrief, mit dem Chauffeur verhandelte, ihm Geld reichte, einstieg, und wie nun dieser Kraftwagen langsam davonfuhr. In einem zweiten folgten sie. Einer von ihnen war neben dem Chauffeur auf den Vordersitz geklettert, hatte dem Manne zugeraunt: »Kriminalpolizei!« – Das genügte. – Das andere Auto hielt dann an einer menschenleeren Stelle. Zwei Herren wollten zu dem Hageren hineinsteigen. – Der Beamte auf dem Vordersitz hatte gute Augen, sah trotz der Entfernung und trotz des blitzschnellen Überfalles auf den einen der beiden Herren gerade noch genug, rief seinem Nachbar zu: »Los – ran an den Wagen da vor uns – Höchstgeschwindigkeit!« Und der Chauffeur schob sofort die Steuerung herum.
5. Kapitel
Moderne Verbrecherjagd
Inhaltsverzeichnis
Im Universum-Klub war der Vortrag des Kriminalkommissars von Perbram längst vorüber, aber der erregte Meinungsaustausch, den er unter den Klubmitgliedern hervorgerufen hatte, dauerte noch immer an, besonders bei einer Gruppe von Herren, die sich im Lesezimmer zusammengefunden hatten. – Soeben sagte Kommerzienrat Kammler zu dem heute als Gast heute anwesenden Kommissar Stolten:
»Wir beide verstehen uns! – Ganz richtig: Diese Detektivspielerei von Leuten, die nicht die vielseitige Ausbildung unserer Kriminalbeamten genossen haben, ist lächerlich, kann nie in schwierigen Fällen Erfolge zeitigen. – Übrigens besinne ich mich jetzt: ich habe heute nachmittag den Assessor Harst getroffen, der ohne Frage doch ein sehr intelligenter Mensch ist. Aber auch er vertrat heute die Ansicht, auch ein Liebhaberdetektiv könnte, wenn er nur den nötigen Scharfsinn besäße, mehr ausrichten als der ganze große Apparat der Kriminalpolizei. Er scheint sogar Lust zu haben, eine Bemerkung von mir als Anlaß zu einer Wette zu nehmen des Inhalts, daß, wenn überhaupt der Mord an seiner Braut aufgeklärt werden sollte, dies nur durch einen Liebhaberdetektiv geschehen würde.«
»Dies ist auch geschehen!« sagte Harald Harst langsam und begrüßte die Herren mit einer gemessenen Verbeugung. Er war unbemerkt eingetreten, hatte Kammlers letzte Sätze mitangehört, zog sich nun, ohne sich um die überraschten, teilweise auch etwas verlegenen Gesichter zu kümmern, einen Klubsessel herbei und sagte dann zu Perbram:
»Es tut mir leid, daß ich Ihren Vortrag versäumen mußte, lieber Perbram. Der Detektiv hat mich aber bis jetzt in Anspruch genommen, der nun endlich das Rätsel des Mordes an meiner Braut gelöst und auch – was Sie interessieren dürfte, Herr Stolten – einen zweiten Mord gleichzeitig aufgeklärt hat, nämlich den an der unbekannten, unkenntlich gemachten weiblichen Person.«
Eine Weile tiefe Stille. Aller Augen waren auf Harst gerichtet. Diese Mitteilungen kamen zu unerwartet, wirkten tatsächlich wie eine Bombe. Dann rief Kammler:
»Ich glaube im Namen aller zu sprechen, mein lieber Harst, wenn ich erkläre, daß wir mit freudiger Genugtuung diese Nachricht aufnehmen. Es muß für Sie ein Trost sein, nunmehr zu wissen, daß das Verbrechen an Fräulein Milden gerächt werden wird. – Wer ist denn nun der Täter, und wie heißt jener Detektiv, der hier einmal ausnahmsweise erfolgreicher gewesen ist als unsere tüchtigsten Beamten?«
Harst lehnte sich leicht in seinen Sessel zurück. »Ausnahmsweise, Herr Kommerzienrat?«, meinte er. »Sie sind ein hartnäckiger Gegner aller kriminalistischen Talente ohne Beamteneigenschaft. Doch – davon später. – Ich bin gern bereit, den Herren das Ergebnis und die Hauptmomente der Nachforschungen übersichtlich zu entwickeln, die der – Liebhaberdetektiv, von einem Taschentuch ausgehend, angestellt hat. Er hat sich dabei zweier Helfer bedient, die ich hier der Kürze halber Max und Karl nennen will. Ich werde alles Nebensächliche weglassen, da die Herren selbst imstande sind, sich das Nötige zu ergänzen.
Der Mord an meiner Braut hängt ganz eng mit dem zweiten zusammen. Beide haben dieselbe Vorgeschichte. – Margas Pensionsfreundin Claire Ruckser gerät auf Abwege, fällt einem gewissenlosen Schurken in die Hände, der ihr Vermögen durchbringt, dem sie aber doch mit blinder, unverständlicher Liebe ergeben bleibt. Dieser Paul Menkwitz, Monokel-Paul, wird wegen Taschendiebstahls und Einbruchs in eine Privatwohnung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Er schwört dem, der ihn hat verhaften lassen, und der dann auch Vertreter der Anklage ist, und das war ich, noch im Gerichtssaal in sinnloser Wut Rache. – Vor vier Wochen war seine Strafzeit vorüber. Er vereinigte sich wieder mit jener Claire, die inzwischen als Filmstatistin sich mehr schlecht als recht durchgeschlagen hat. Er weiß von ihrer früheren Freundschaft mit Marga und zwingt sie nun, wobei er einen doppelten Zweck verfolgt, sich meiner Braut zu nähern und sie anzubetteln. Marga hebt von ihrem Sparbuch 400 Mark ab und händigt sie der Pensionsschwester auf der Straße aus. Ihre Eltern verbieten ihr jeden weiteren Verkehr mit der so tief Gesunkenen aufs strengste. Eine Weile läßt Claire meine Braut unbelästigt. Dann verschafft sie sich heimlich Zutritt zu deren Zimmer, als Mildens und die Köchin Marie abwesend sind. Nur das Stubenmädchen Helene weiß von diesem Besuch, verspricht Marga aber, zu schweigen. Claire fleht in wilder Verzweiflung über ihre trostlose Lage meine Braut abermals um Geld an und bittet diese, ihr die Summe in derselben Laube auszuhändigen, in der Marga dann am nächsten Tage von Paul Menkwitz ermordet wird, der sehr wohl wußte, daß der Verlust meiner Braut mich schwerer treffen würde als alles andere. Der Mord war also ein Racheakt von Menkwitz, dem Claire hierbei ahnungslos Helferdienst leistete, denn er hatte ihr geraten, Marga in jene Laube zu bestellen. Um nun Claire, die doch sofort geahnt hätte, wer allein der Mörder meiner Braut sein könnte, für immer stumm zu machen, beseitigt er sie in der Nacht vor Margas Tode, warf die verstümmelte Leiche ins Wasser, vergaß dabei aber eines: aus der Tasche des Kleiderrockes des armen Weibes ein Taschentuch zu entfernen!
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