Wenn es darum geht, was Originelles auf die Beine zu stellen, dann sind Henriette und Christian, diese unschlagbare nordische Kombination, nicht zu bremsen. Zwei erwachsene Kindsköpfe um die Fünfzig, die eine Art von Nichts-ist-unmöglich-Aura verströmen. Bei ihnen paaren sich Geschäftssinn und Pragmatismus mit einer »Laisser-Faire«-Attitüde und dem Hang zu allerlei Verrücktheiten.
Als wir eines Freitagabends den Gastraum betreten, fällt uns die Kinnlade runter. Wir stehen einem riesigen ausgestopften kanadischen Bären gegenüber, der sich knapp drei Meter hoch in eindrucksvoller Drohgebärde vor der Theke aufbaut. Das unverwechselbare, keckernde Lachen der Wirtin über mein dummes Gesicht klingt mir heute noch im Ohr.
»Oh, mein Gott« ist alles, was mir angesichts der Bestie über die Lippen kommt. Das Raubtier, werde ich aufgeklärt, ist Henriettes Geburtstagsgeschenk an ihren Mann.
»Na, wie gefällt dir mein Swazer Riese?«, fragt sie mit diesem entwaffnenden Dänen-Akzent. Und es klingt, als wäre das Ding was ganz Normales, so was wie ein Schlips oder ein Pullover. Damit das Prachtexemplar richtig zur Geltung kommt, hat sie sogar einen Tisch entsorgt.
»Ist nicht slimm«, erklärt die Geschäftsfrau, »man muss auch mal Opfer bringen« – und keckert noch mal über den gelungenen Coup. Dann fragt sie uns: »Wie immer?«
Wir nicken nur und sie bringt Weißbier und eiskalten Pino Grigio.
Als wir nach dem Essen auf den Hof kommen, finden wir einen Brief auf dem Küchentisch. Unter der Überschrift »Einladung zum Frühjahrsputz« lesen wir:
»Liebe Polkefitzer, es ist endlich Frühling, auf dem Dorfplatz blühen bereits die ersten Narzissen. Nun sollen am Samstag Hofrechen und Besen geschwungen werden, um die letzten Reste des Winters zusammenzukehren. Gemeinsam ist die Arbeit schnell getan und für Getränke und Erbsensuppe ist auch gesorgt. Auf eine rege Beteiligung freuen wir uns.«
Unterschrieben ist der Aufruf im Namen der Dorfgemeinschaft von einer Dame namens Carina.
Der Mann zuckt ergeben mit den Schultern.
»Endlich mal wieder putzen!«
Als Paul auf ein Gläschen bei uns vorbeischaut, hat er ein verschmitztes Lächeln im Gesicht.
»Die sind doch alle neugierig auf euch und ihr könnt auf einen Schlag fast das ganze Dorf kennen lernen. Das solltet ihr euch nicht entgehen lassen.«
Am Samstag, um 14 Uhr ist es dann soweit.
»Warte auf mich«, rufe ich dem tapferen Mann hinterher, der sich bereits in Gesellschaft unseres Hofherrn mit einem Besen bewaffnet auf den Weg zum Dorfplatz macht. Ich schwinge mich auf Pauls Aufsitzmäher und tuckere hinter den beiden her Richtung dörfliche Grünfläche. Aus allen Hofeinfahrten strömen Menschen mit Reinigungsgerätschaften zum Ortszentrum, das aus einer runden Rasenfläche, dem schon erwähnten hölzernen Bushäuschen und gepflasterten Wegen besteht.
Ich komme mir ein bisschen vor wie bei der ersten Tanzstunde. Man beäugt sich, noch ein wenig scheu, stellt sich vor, redet übers Wetter. Dann legen wir los. Erwachsene und Kinder, Alte und Junge kehren den Schmutz des alten Jahres zusammen, Reste von Sylvester-Knallern, Papierfetzen, Laub.
Andere Stämme, andere Initiationsriten, fährt es mir durch den Kopf.
In entlegenen Dschungeldörfern betäubt man sich mit Maniok-Likör, ritzt sich magische Symbole in die Haut und tanzt sich in Trance. Uns genügt das Hantieren mit Rechen und Besen, um in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden.
Ich kurve mit dem Mäher im Slalom um die Narzissen, als einer laut über den Platz ruft:
»Der Nachbar hat seine Frau erschossen. Was ist das?«
Ein anderer erwidert:
»Unser Dorf soll schöner werden! Mensch Kurt, den kennen wir doch schon.«
Kurt grinst nur und schaufelt weiter Laub in die Schubkarre.
»Ist aber immer wieder gut.«
Eine mollige, ältere Frau – in geblümter Kittelschürze und praktischer grauer Kurzhaarfrisur, für die ein Igel Modell gestanden haben könnte – zieht einen Bollerwagen hinter sich her.
»Erna kommt mit der Erbsensuppe!«, brüllt Kalauer-Kurt, » Schluss für heute!« Irgendwer hat auf dem von mir geschorenen Grün ein paar Biertische und Bänke aufgestellt.
»Was, du verdienst dein Geld mit Witzen?« Unser Hofnachbar lacht schallend, als er erfährt, dass der Mann, der soeben seine Hofeinfahrt gefegt hat, identisch ist mit der Person, die in einem Wochenmagazin seit Jahren Politikern komische Sprüche in den Mund schiebt.
»Nee!«, staunt er, »so wat auch! Da les ich das Blatt so lange schon … und jetzt sind wa plötzlich Nachbarn.«
Er lässt einen Bierkorken knallen und drückt dem Pointen-Fabrikanten aus Hamburg die Flasche in die Hand. »Ich bin der Gustav.«
Es bilden sich »Männertische« und »Frauentische«. Erna füllt Erbsensuppe in die Teller, schaut über den Dorfplatz und lobt: »Alles wieder schön schier.«
Schier, so lerne ich, ist ein Ausdruck höchster Anerkennung für Sauberkeit, Ordnung und Übersichtlichkeit.
Ich sitze nach dem ungeschriebenen Dorfgesetz in der Damenrunde, mit Gertrud, Hilde, Erna, Carina, Frieda, Sonja, Christine, löffle meine Suppe, trinke Kaffee und habe das Gefühl:
Jetzt sind wir endgültig angekommen in Polkefitz.
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