Romeo Franz:Mir ist gerade klar geworden: Du hast wie alle Jugoslawen dein Land verloren. Selbst wenn du zurückgehen wolltest, könntest du es nicht mehr. Das Jugoslawien, über das so viele Roma sprechen, gibt es nicht mehr. In Serbien, in Kroatien, im Kosovo … habe ich viele alte Menschen getroffen, die gesagt haben, uns ging es früher gut. Sie bedauern das Auseinanderfallen ihres Heimatlandes Jugoslawien bis heute. In der Zeit des Sozialismus hatten sie Arbeit. Das Wort „Zigeuner“ war unter Tito verboten. Sie sagen, dass sie damals mehr als jetzt das Gefühl hatten, gleichwertige Bürger zu sein. Es gab auch früher Diskriminierung, aber sie war nicht so ausgeprägt wie heute. Die Leute, die ich auf meinen Reisen gesprochen habe, haben sich ganz stark mit Jugoslawien identifiziert.
Nedjo Osman:Ja, das lag an Tito. Er war ein Mann der kleinen Leute. Er war einer von uns. Damals hättest du auf der Straße schlafen können … ohne Probleme! Jetzt kannst du nicht einmal zu Hause ruhig schlafen. Ich habe Angst, wenn ich dorthin reise, auch in Mazedonien, wo das Grab meiner Mutter ist …
Seit 1995 ist Nedjo Osman gemeinsam mit Nada Kokotovic künstlerischer Leiter des TKO-Theaters Köln.
Cornelia Wilß:Warum?
Nedjo Osman:Sobald ich in Skopje bin, schaue ich, wer neben mir steht. Ich fühle mich nicht mehr wohl dort. Ich passe immer auf, weil ich mir nicht sicher bin, was passiert, wenn sie merken, dass ich ein Rom bin. In Deutschland habe ich diese Erfahrung nicht gemacht, auch nicht unter den Kollegen.
Cornelia Wilß:Stehen Sie lieber auf der Theaterbühne als vor der Kamera?
Nedjo Osman:Das sind zwei ganz verschiedene Dinge für einen Schauspieler. Theater … das ist Emotion! Alles ist live, du fühlst, wie die Zuschauer atmen. Jeder Auftritt ist anders. Jedes neue Stück ist eine neue Erfahrung. Auf der Bühne kannst du viel spontaner sein als vor der Kamera. Nach so vielen Jahren auf der Bühne mache ich jetzt die Erfahrung, dass die besten Momente diejenigen sind, wenn du gar nicht spielst. Bei der Schauspielerei geht es um Phantasie und Philosophie. Du musst nur du selbst sein.
Cornelia Wilß:Sie sind mit sich auf der Bühne?
Nedjo Osman:Ja genau. Du bleibst das, was du bist. Du musst nur lernen, wahrhaftig in der Situation zu sein, und darfst nicht versuchen, etwas Besonderes zu machen. Bleib, wer du bist. Auch in der Musik!
Romeo Franz:Wie fühlst du das? Wenn ich Musik mache, ob es nun ein Stück ist, das ein Sinto, ein Rom oder ein Gadjo komponiert hat, oder eines, das von mir selbst stammt … immer füttere ich in dieses Stück einen Teil von mir und meiner Kultur ein. Es wird immer ein Sinti-Stück. Das ist auch bei klassischen Kompositionen so. Mein Geigenlehrer hat immer gesagt: „Du spielst wie ein ‚Zigeuner‘.“ Er hat das nicht böse gemeint, aber er wollte, dass ich nach Noten spiele. Ich habe lieber improvisiert.
Nedjo Osman:Ja, jetzt sind wir wieder am Anfang unseres Gesprächs, bei dem Punkt, wie wichtig es ist, als Künstler authentisch zu sein.
Romeo Franz:Ich kann diese Prozesse nicht kontrollieren. Das ist bei meinem Bruder auch so. Wenn Manolito singt, dann höre ich das Besondere heraus, manchmal nur eine Viertelsekunde, aber du spürst: Er ist es.
Nedjo Osman:Du musst dich in der Kunst erkennen. Es geht um deine Energie und deine Emotion.
Romeo Franz:Vielleicht ist es auch noch etwas anderes. Ich bin auf der Suche nach dem richtigen Wort. In der Kunst kann ich zu dem, was ich tue, nicht auf Distanz gehen. Ich glaube, es ist die Fähigkeit, zu improvisieren und sich auf seine Inspiration zu verlassen. Es ist wie ein Label, das wir den Dingen, die wir lieben, aufdrücken. Das passiert einfach.
Nedjo Osman:Es ist letztlich eine Frage der Authentizität und des Selbstbewusstseins. Das versuche ich auch den jungen Leuten weiterzugeben. Sie brauchen Zeit, um ihre Talente zu wecken. Um Künstler zu sein, brauchst du Phantasie. Das ist ein Medikament. Ich phantasiere in jedem Moment. Das ist ein großer Luxus.
Romeo Franz:Ich praktiziere das in meinem Alltag. Ich verschaffe mir die Möglichkeit, kurz zu verschwinden. Im Geist. Das sind für mich die Inseln der Ruhe.
Nedjo Osman:Ja, das sind Momente höchster Intimität. Diese Insel … das gehört mir. Ganz allein.
„Wir müssen die Deutungshoheit über uns selbst bekommen.“
Tu man ni pendjares.
Tu djanes sar me akaraman?
Na gijalte sar tu man akares,
me sem mamuj goja vorba
Tu akares pal bisteres,
motoves bizo gndipa,
bizo hacharipen,
bizo vilo,
Tu akares man Cigan
Tu akares pal dukaves,
Iris mange milja tasvirura,
kale sar e tuf.
Tu akares man Cigan,
phal djanes li so si gova
Tu akares phal mudares,
mnre dija, papus, phenja, phrales
Tu akares, phal ni shunes e rovipa,
Des man godi ano bibahtalipen,
vi iris mange e dar, sar shajipen,
kaj gova shaj phalem ovel
Ma akarman Zigeuner, Gipsy, Gitan, Cigan
Ma akarman gijal sar mange duk anel
Akarman gijal sar me kamav
Sar me akaraman,
Rom, Sinto, Kalo, Manush
Gijal sar e chiriklo so ujral,
gijal sar tu e gili shunes,
gijal sar e sansriba,
sar gova so tut isi,
a me sal ano suno dikav
DU WEISST WIE ICH HEISSE?
Eigentlich kennst du mich nicht.
Du weißt wie ich heiße?
Nicht so wie du mich nennst,
ich bin gegen dieses Wort
Du rufst mich ohne Erinnerung,
ohne Meinung,
ohne Gefühl.
Du nennst mich Zigeuner
Du rufst und das tut weh
Weckst in mir tausend Bilder
schwarz wie der Rauch.
Du nennst mich Zigeuner,
aber weißt du überhaupt, was das ist?
Du rufst und bringst um meine Mutter,
meinen Großvater, meine Schwester, meinen Bruder,
Du rufst und hörst nicht das Wehklagen
Erinnerst mich an die Trauer
und so kehrt die Angst zurück,
als Möglichkeit
dass es morgen wieder geschieht.
Nenne mich nicht mehr Zigeuner, Gipsy, Gitan, Cigan
Nenne mich nicht, so wie es mir weh tut
Nenne mich so, wie ich es mag
Wie heiße ich?
Roma, Sinto, Manush, Kale
So wie der Vogel fliegt
so wie du die Musik hörst,
so wie die Freiheit,
so ähnlich wie du es hasst
und ich nur davon träume
Gedicht auf Romanes: Nedjo Osman / Übersetzung: Mirjana und Klaus Wittmann
E tahtali pagilo
E mol matili
E sune djangavdile
E gndipen nasvalile
E mule si mudarde
E djivde nashutne ule
E ladj ko agor resli
Avdivesarla Rom ka ovav.
Das Glas ist zerbrochen
Der Wein besoffen
Die Träume sind aufgewacht
Die Erinnerungen erkrankt
Die Toten getötet
Die Lebenden verschwunden
Schluss mit der Scham
Heute habe ich beschlossen
Ein Roma zu sein!
Gedicht auf Romanes: Nedjo Osman / Übersetzung: Mirjana und Klaus Wittmann
1Kölner Stadtteil.
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