Auf dem Gange mußten sie lange hin und her gehn und besonders der Franzose, der sich in Karl eingehängt hatte, schimpfte ununterbrochen, drohte den Wirt, wenn er sich vorwagen sollte, niederzuboxen und es schien eine Vorbereitung dazu zu sein, daß er die geballten Fäuste rasend an einander rieb. Endlich kam ein unschuldiger kleiner Junge, der sich strecken mußte als er dem Franzosen die Kaffeekanne reichte. Leider war nur eine Kanne vorhanden und man konnte dem Jungen nicht begreiflich machen, daß noch Gläser erwünscht wären. So konnte immer nur einer trinken und die zwei andern standen vor ihm und warteten. Karl hatte keine Lust zu trinken, wollte aber die andern nicht kränken und stand also, wenn er an der Reihe war untätig da, die Kanne an den Lippen.
Zum Abschied warf der Irländer die Kanne auf die steinernen Fliesen hin, sie verließen von niemandem gesehn das Haus und traten in den dichten gelblichen Morgennebel. Sie marschierten im allgemeinen still nebeneinander am Rande der Straße, Karl mußte seinen Koffer tragen, die andern würden ihn wahrscheinlich erst auf seine Bitte ablösen, hie und da schoß ein Automobil aus dem Nebel und die drei drehten ihre Köpfe nach den meist riesenhaften Wagen, die so auffällig in ihrem Bau und so kurz in ihrer Erscheinung waren, daß man nicht Zeit hatte, auch nur das Vorhandensein von Insassen zu bemerken. Später begannen die Kolonnen der Fuhrwerke, welche Lebensmittel nach New York brachten, und die in fünf die ganze Breite der Straße einnehmenden Reihen so ununterbrochen dahinzogen, daß niemand die Straße hätte überqueren können. Von Zeit zu Zeit verbreiterte sich die Straße zu einem Platz, in dessen Mitte auf einer turmartigen Erhöhung ein Polizist auf und ab schritt, um alles übersehen und mit einem Stöckchen den Verkehr auf der Hauptstraße sowie den von den Seitenstraßen hier einmündenden Verkehr ordnen zu können, der dann bis zum nächsten Platze und zum nächsten Policisten unbeaufsichtigt blieb, aber von den schweigenden und aufmerksamen Kutschern und Chauffeuren freiwillig in genügender Ordnung gehalten wurde. Über die allgemeine Ruhe staunte Karl am meisten. Wäre nicht das Geschrei der sorglosen Schlachttiere gewesen, man hätte vielleicht nichts gehört als das Klappern der Hufe und das Sausen der Antiderapants. Dabei war die Fahrtschnelligkeit natürlich nicht immer die gleiche. Wenn auf einzelnen Plätzen infolge allzu großen Andranges von den Seiten große Umstellungen vorgenommen werden mußten, stockten die ganzen Reihen und fuhren nur Schritt für Schritt, dann aber kam es auch wieder vor, daß für ein Weilchen alles blitzschnell vorbeijagte, bis es wie von einer einzigen Bremse regiert sich wieder besänftigte. Dabei stieg von der Straße nicht der geringste Staub auf, alles bewegte sich in der klarsten Luft. Fußgänger gab es keine, hier wanderten keine einzelnen Marktweiber zur Stadt, wie in Karls Heimat, aber doch erschienen hie und da große flache Automobile, auf denen an zwanzig Frauen mit Rückenkörben, also doch vielleicht Marktweiber, standen und die Hälse streckten, um den Verkehr zu überblicken und sich Hoffnung auf raschere Fahrt zu holen. Dann sah man ähnliche Automobile, auf denen einzelne Männer die Hände in den Hosentaschen herumspazierten. Auf einem dieser Automobile die verschiedene Aufschriften trugen, las Karl unter einem kleinen Aufschrei „Hafenarbeiter für die Spedition Jakob aufgenommen“. Der Wagen fuhr gerade ganz langsam und ein auf der Wagentreppe stehender kleiner gebückter lebhafter Mann lud die drei Wanderer zum Einsteigen ein. Karl flüchtete sich hinter die Schlosser, als könne sich auf dem Wagen der Onkel befinden und ihn sehn. Er war froh, daß auch die zwei die Einladung ablehnten, wenn ihn auch der hochmütige Gesichtsausdruck gewissermaßen kränkte, mit dem sie das taten. Sie mußten durchaus nicht glauben, daß sie zu gut waren, um in die Dienste des Onkels zu treten. Er gab es ihnen, wenn auch natürlich nicht ausdrücklich, sofort zu verstehn. Darauf bat ihn Delamarche sich gefälligst nicht in Sachen einzumischen, die er nicht verstehe, diese Art Leute aufzunehmen sei ein schändlicher Betrug und die Firma Jakob sei berüchtigt in den ganzen Vereinigten Staaten. Karl antwortete nicht, hielt sich aber von nun an mehr an den Irländer, er bat ihn auch ihm jetzt ein wenig den Koffer zu tragen, was dieser nachdem Karl seine Bitte mehrmals wiederholt hatte, auch tat. Nur klagte er ununterbrochen über die Schwere des Koffers, bis es sich zeigte, daß er nur die Absicht hatte, den Koffer um die Veroneser Salami zu erleichtern, die ihm wohl schon im Hotel angenehm aufgefallen war. Karl mußte sie auspacken, der Franzose nahm sie zu sich, um sie mit seinem dolchartigen Messer zu behandeln und fast ganz allein aufzuessen. Robinson bekam nur hie und da eine Schnitte, Karl dagegen, der wieder den Koffer tragen mußte, wenn er ihn nicht auf der Landstraße stehen lassen wollte, bekam nichts, als hätte er seinen Anteil schon im Voraus sich genommen. Es schien ihm zu kleinlich, um ein Stückchen zu betteln, aber die Galle regte sich ihm.
Aller Nebel war schon verschwunden, in der Ferne erglänzte ein hohes Gebirge, das mit welligem Kamm in noch ferneren Sonnendunst führte. An der Seite der Straße lagen schlecht bebaute Felder, die sich um große Fabriken hinzogen, die dunkel angeraucht im freien Lande standen. In den wahllos hingestellten einzelnen Mietskasernen zitterten die vielen Fenster in der mannigfaltigsten Bewegung und Beleuchtung und auf allen den kleinen schwachen Balkonen hatten Frauen und Kinder vielerlei zu tun, während um sie herum, sie verdeckend und enthüllend, aufgehängte und hingelegte Tücher und Wäschestücke im Morgenwind flatterten und mächtig sich bauschten. Glitten die Blicke von den Häusern ab, dann sah man Lerchen hoch am Himmel fliegen und unten wieder die Schwalben nicht allzuweit über den Köpfen der Fahrenden.
Vieles erinnerte Karl an seine Heimat und er wußte nicht, ob er gut daran tue, New-York zu verlassen und in das Innere des Landes zu gehn. In New-York war das Meer und zu jeder Zeit die Möglichkeit der Rückkehr in die Heimat. Und so blieb er stehn und sagte zu seinen beiden Begleitern, er habe doch wieder Lust in New York zu bleiben. Und als Delamarche ihn einfach weitertreiben wollte, ließ er sich nicht treiben und sagte, daß er doch wohl noch das Recht habe über sich zu entscheiden. Der Irländer mußte erst vermitteln und erklären, daß Butterford viel schöner als Newyork sei und beide mußten ihn noch sehr bitten, ehe er wieder weiter gieng. Und selbst dann wäre er noch nicht gegangen, wenn er sich nicht gesagt hätte, daß es für ihn vielleicht besser sei, an einen Ort zu kommen, wo die Möglichkeit der Rückkehr in die Heimat keine so leichte sei. Gewiß werde er dort besser arbeiten und vorwärtskommen, da ihn keine unnützen Gedanken hindern werden.
Und nun war er es, der die beiden andern zog und sie freuten sich so sehr über seinen Eifer, daß sie ohne sich erst bitten zu lassen, den Koffer abwechselnd trugen und Karl gar nicht recht verstand, womit er ihnen eigentlich diese große Freude verursache. Sie kamen in eine ansteigende Gegend und wenn sie hie und da stehen blieben, konnten sie beim Rückblick das Panorama New Yorks und seines Hafens immer ausgedehnter sich entwickeln sehn. Die Brücke, die New York mit Boston verbindet hieng zart über den Hudson und sie erzitterte, wenn man die Augen klein machte. Sie schien ganz ohne Verkehr zu sein und unter ihr spannte sich das unbelebte glatte Wasserband. Alles in beiden Riesenstädten schien leer und nutzlos aufgestellt. Unter den Häusern gab es kaum einen Unterschied zwischen den großen und den kleinen. In der unsichtbaren Tiefe der Straßen gieng wahrscheinlich das Leben fort nach seiner Art, aber über ihnen war nichts zu sehen, als leichter Dunst, der sich zwar nicht bewegte, aber ohne Mühe zu verjagen schien. Selbst in dem Hafen, dem größten der Welt, war Ruhe eingekehrt und nur hie und da glaubte man, wohl beeinflußt von der Erinnerung an einen früheren Anblick aus der Nähe, ein Schiff zu sehn, das eine kurze Strecke sich fortschob. Aber man konnte ihm auch nicht lange folgen, es entgieng den Augen und war nicht mehr zu finden.
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