E.T.A Hoffmann - Nachtstücke
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Über den Autor
E.T.A. HOFFMANN
(eigentlich Ernst Theodor Wilhelm) wurde 1776 in Königsberg geboren, wo er auch sein Rechtsstudium absolvierte. Nachdem er zunächst als Gerichtsassessor tätig war, widmete er sich, künstlerisch interessiert und begabt, auch beruflich der Musik und Literatur. Sein literarischer Erfolg zeigt sich besonders im nicht deutschsprachigen Raum durch seinen Einfluss auf Schriftsteller wie Hugo, Poe und Dostojewski.
Hoffmann starb 1822 aufgrund einer Atemlähmung in Berlin.
Zum Buch
Lange vor der Psychoanalyse erforschten die Dichter der Romantik die Abgründe der Seele. In seinen Nachtstücken kreiert Hoffmann eine Welt voller Doppelgänger, beseelter Automaten, dämonischer Alchimisten und Wahnsinniger.
Als Meister des subtilen Horrors und der unheimlichen Atmosphäre, erforscht er die düsteren und unbewussten Aspekte des Lebens.
Im Sinne der schwarzen Romantik bedient sich E.T.A. Hoffmann in seinen Nachtstücken der Nachtmetaphorik und beleuchtet die unheimlichen und rätselhaften Aspekte der menschlichen Seele.
In acht Schauergeschichten widmet er sich der Psyche des Menschen, stellt den Verstand in Frage und verwischt dabei bewusst die Grenzen zwischen Realität und Illusion. Für Freud ist er „der unerreichte Meister des Unheimlichen in der Dichtung“, denn Hoffmann besitzt die Gabe scheinbar Bekanntes feinfühlig in eine bedrohlich-unheimliche Atmosphäre zu hüllen.
»Der Teufel kann so teuflisches Zeug nicht schreiben.« Heinrich Heine über E.T.A. Hoffmann
E.T.A. Hoffmann
Nachtstücke
E.T.A. Hoffmann
Nachtstücke
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Der Text wurde behutsam revidiert
nach der Ausgabe Berlin, 1925
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin/Ehrt
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0412-7
www.marixverlag.de
INHALT
NACHTSTÜCKE. ERSTER TEIL NACHTSTÜCKE. ERSTER TEIL
Der Sandmann
Nathanael an Lothar
Clara an Nathanael
Nathanael an Lothar
Ignaz Denner
Die Jesuiterkirche in G.
Das Sanctus
NACHTSTÜCKE. ZWEITER TEIL
Das öde Haus
Das Majorat
Das Gelübde
Das steinerne Herz
DER SANDMANN
Nathanael an Lothar
Gewiss seid Ihr alle voll Unruhe, dass ich so lange – lange nicht geschrieben. Mutter zürnt wohl, und Clara mag glauben, ich lebe hier in Saus und Braus und vergesse mein holdes Engelsbild, so tief mir in Herz und Sinn eingeprägt, ganz und gar. – Dem ist aber nicht so; täglich und stündlich gedenke ich Eurer aller und in süßen Träumen geht meines holden Clärchens freundliche Gestalt vorüber und lächelt mich mit ihren hellen Augen so anmutig an, wie sie wohl pflegte, wenn ich zu Euch hineintrat. – Ach wie vermochte ich denn Euch zu schreiben, in der zerrissenen Stimmung des Geistes, die mir bisher alle Gedanken verstörte! – Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten! – Dunkle Ahnungen eines grässlichen mir drohenden Geschicks breiten sich wie schwarze Wolkenschatten über mich aus, undurchdringlich jedem freundlichen Sonnenstrahl. – Nun soll ich Dir sagen, was mir widerfuhr. Ich muss es, das sehe ich ein, aber nur es denkend, lacht es wie toll aus mir heraus. – Ach mein herzlieber Lothar! wie fange ich es denn an, Dich nur einigermaßen empfinden zu lassen, dass das, was mir vor einigen Tagen geschah, denn wirklich mein Leben so feindlich zerstören konnte! Wärst Du nur hier, so könntest Du selbst schauen; aber jetzt hältst Du mich gewiss für einen aberwitzigen Geisterseher. – Kurz und gut, das Entsetzliche, was mir geschah, dessen tödlichen Eindruck zu vermeiden ich mich vergebens bemühe, besteht in nichts anderm, als dass vor einigen Tagen, nämlich am 30. Oktober mittags um 12 Uhr, ein Wetterglashändler in meine Stube trat und mir seineWare anbot. Ich kaufte nichts und drohte, ihn die Treppe herabzuwerfen, worauf er aber von selbst fortging.
Du ahnest, dass nur ganz eigne, tief in mein Leben eingreifende Beziehungen diesem Vorfall Bedeutung geben können, ja, dass wohl die Person jenes unglückseligen Krämers gar feindlich auf mich wirken muss. So ist es in der Tat. Mit aller Kraft fasse ich mich zusammen, um ruhig und geduldig Dir aus meiner frühen Jugendzeit so viel zu erzählen, dass Deinem regen Sinn alles klar und deutlich in leuchtenden Bildern aufgehen wird. Indem ich anfangen will, höre ich Dich lachen und Clara sagen: das sind ja rechte Kindereien! – Lacht, ich bitte Euch, lacht mich recht herzlich aus! – ich bitt’ Euch sehr! – Aber Gott im Himmel! die Haare sträuben sich mir und es ist, als flehe ich Euch an, mich auszulachen, in wahnsinniger Verzweiflung, wie Franz Moor den Daniel. – Nun fort zur Sache! –
Außer dem Mittagsessen sahen wir, ich und mein Geschwister, Tag über den Vater wenig. Er mochte mit seinem Dienst viel beschäftigt sein. Nach dem Abendessen, das alter Sitte gemäß schon um sieben Uhr aufgetragen wurde, gingen wir alle, die Mutter mit uns, in des Vaters Arbeitszimmer und setzten uns um einen runden Tisch. Der Vater rauchte Tabak und trank ein großes Glas Bier dazu. Oft erzählte er uns viele wunderbare Geschichten und geriet darüber so in Eifer, dass ihm die Pfeife immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder anzünden musste, welches mir denn ein Hauptspaß war. Oft gab er uns aber Bilderbücher in die Hände, saß stumm und starr in seinem Lehnstuhl und blies starke Dampfwolken von sich, dass wir alle wie im Nebel schwammen. An solchen Abenden war die Mutter sehr traurig und kaum schlug die Uhr neun, so sprach sie: »Nun Kinder! – zu Bette! zu Bette! der Sandmann kommt, ich merk’ es schon.« Wirklich hörte ich dann jedesmal etwas schweren langsamen Tritts die Treppe heraufpoltern; das musste der Sandmann sein. Einmal war mir jenes dumpfe Treten und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter, indem sie uns fortführte: »Ei Mama! wer ist denn der böse Sandmann, der uns immer von Papa forttreibt? – wie sieht er denn aus?« »Es gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind«, erwiderte die Mutter; »wenn ich sage, der Sandmann kommt, so will das nur heißen, ihr seid schläfrig und könnt die Augen nicht offen behalten, als hätte man euch Sand hineingestreut.« – Der Mutter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem kindischen Gemüt entfaltete sich deutlich der Gedanke, dass die Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns vor ihm nicht fürchten sollten, ich hörte ihn ja immer die Treppe heraufkommen. Voll Neugierde, Näheres von diesem Sandmann und seiner Beziehung auf uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine jüngste Schwester wartete: was denn das für ein Mann sei, der Sandmann? »Ei Thanelchen«, erwiderte diese, »weißt du das noch nicht? Das ist ein böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, dass sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf.
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