Im Jahr 1833 machte sich Urquhart neuerlich auf den Weg nach Konstantinopel, von wo er nach Tscherkessien an der Ostküste des Schwarzen Meeres reiste. Welche Ziele er dabei verfolgte, ist nicht ganz klar. Einiges spricht jedoch dafür, dass er im offiziellen Auftrag unterwegs war, um die politische Lage zu sondieren und abzuklären, inwieweit Russland zu einer Ausdehnung seiner Interessenssphären bereit wäre und den englischen Interessen ein weiterer Schaden drohe. Urquhart tarnte sich während dieser Reise als Kaufmann und vermied es peinlichst, seine wahre Existenz zu erkennen zu geben. Bald darauf kehrte er nach London zurück. Dort gründete er sein Portfolio , in dem er zwischen dem November 1835 und dem Mai 1837 in 45 Heften die wichtigsten russischen Dokumente und Akten zur sogenannten Orientalischen Frage publizierte, um damit die Alleinschuld Russlands am Niedergang des Osmanischen Reichs und der daraus folgenden internationalen Verwicklungen zu erklären. Auch in der Gründung des modernen Griechenlands müsse man das Ergebnis einer russischen Verschwörung sehen.
Allerdings blieb er nicht lange in England, und als man 1836 einen Botschaftssekretär für Konstantinopel suchte, der des Türkischen mächtig wäre, nutzte er diese Gelegenheit für eine Rückkehr in den so geliebten Orient und nahm diesen Posten gerne an. Allerdings wandelte sich Urquhart nun selbst zum Türken: Er kleidete und verhielt sich türkisch, gründete einen entsprechenden Hausstand und ließ sich David Bey nennen. Auch dem Vicomte John Ponsonby gegenüber, der die britische Gesandtschaft an der Hohen Pforte von 1832 bis 1841 leitete, verhielt er sich so schlecht, dass dieser sich nur mit weniger Nachdruck für Urquhart einsetzte, als dies notwendig gewesen wäre. Auslöser dafür dürfte unter anderem gewesen sein, dass Ponsonby zu den seinerzeit prominentesten Vertretern der sogenannten Whigs gehörte, also zu den politischen Gegnern Urquharts. Dieser stattete sozusagen als Nachtrag zu seiner Reise zu den Tscherkessen im Herbst 1836 auf eigene Kosten ein Schiff aus, das im Schwarzen Meer Handel treiben, aber auch die russische Blockade der kaukasischen Tscherkessen durchbrechen sollte. England hätte damit den die Waren verteuernden Transithandel durch Russland vermeiden können, denn der Suez-Kanal, der den Seeweg in das indische Kolonialreich so entscheidend verkürzen sollte, wurde ja erst im Jahr 1869 eröffnet. Vieles spricht dafür, dass Urquhart hier nicht ganz aus freien Stücken handelte, sondern dass er mit einer gewissen Rückendeckung aus London rechnen durfte. Oder sollte diese waghalsige Aktion gar einen russisch-englischen Krieg provozieren, bei dem die Türkei als natürlicher Verbündeter Englands hätte auftreten und sich einen neuen, stärkeren Einfluss auf die europäische Politik sichern können? Urquharts Unternehmung scheitert jedoch, da die russische Marine sein Schiff, das den bezeichnenden Namen Füchsin (engl. Vixen) trug, im Schwarzen Meer aufbrachte und festsetzte. Von London erwartete er nun eine Intervention der britischen Regierung, doch diese blieb aus, da der britische Außenminister Lord Palmerston zu diesem Zeitpunkt einem ernsteren Konflikt der beiden Großmächte aus dem Weg gehen wollte. Gleichwohl hatte die Sache für Urquhart persönliche Konsequenzen, denn wegen seines oft flegelhaften Benehmens und seiner offen gezeigten „Türkentümelei“ wurde er 1837 aus Konstantinopel abberufen, um sich dafür vor der britischen Regierung zu rechtfertigen. Auch der Tod seines königlichen Gönners in demselben Jahr, auf den die große Viktoria folgen sollte, trug dazu bei, dass unser David Bey über keine nennenswerte politische Unterstützung mehr verfügte und in offizieller Mission nicht mehr in den Orient zurückkehren durfte.
Eigentlich hätte Urquhart mit der politischen Entwicklung jener Jahre zufrieden sein können, denn Palmerston, den man wegen seiner rigiden Politik in England auch Lord Bimsstein oder Lord Brandstifter nannte, schlug seinen Kabinettskollegen immer wieder eine finanzielle und militärische Unterstützung der Türkei vor. Insbesondere die türkisch-russische Annäherung, die in den Vertrag von Hünkar Iskelesi mündete (1833) und die die Passage der Dardanellen und des Bosporus für Kriegsschiffe fremder Nationen erheblich einschränkte, betrachtete er mit großem Misstrauen – etwas, was in jener Zeit übrigens auch schon für Urquhart selbst galt. Dessen Abenteuer mit der Vixen könnte man vor diesem Hintergrund vielleicht auch als einen britischen Versuch bewerten, den Vertrag von Hünkar Iskelesi auf mögliche russische Reaktionen zu testen. Bis zum Ende der 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts konnte Palmerston jedoch seine Kabinettskollegen nicht wirklich von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen überzeugen.
Erst die großen militärischen Erfolge Mehmed Ali Paschas von Ägypten, der nach dem Tod des Sultans Mahmud II. im Jahr 1839 schon im Folgejahr Syrien quasi im Handstreich einnahm und nach Konstantinopel vorzudringen drohte, führten zu einer gemeinsamen europäischen Reaktion zugunsten des Osmanischen Reichs, bei der nur Frankreich auf Mehmed Alis Seite verblieb. Diese Intervention führte nun dazu, dass Mehmed Syrien wieder räumen musste, auch wenn er Ägypten als erbliches Vizekönigtum, das nur formell unter der Oberherrschaft des Padischahs stand, behalten durfte. Abdülmecid I. (1839–1861), dem Sohn und Nachfolger Mahmuds, gelang es, das von seinem Vater eingeleitete Reformwerk fortzusetzen und das Osmanische Reich mit Hilfe seines Urquhart verhassten Großwesirs Chosrew Pascha vor dem drohenden Untergang zu bewahren. Den politischen Status quo sicherte einstweilen die Londoner Konvention vom 13. Juni 1841. Übrigens hatte Mahmud II. den preußischen Generalstabsoffizier Helmuth von Moltke (1800–1891) in sein Land geholt und diesen mit der Reform seines Heeres betraut. Moltke war es auch, der die stehende Wendung vom Kranken Mann am Bosporus prägte. Die von ihm eingeleiteten Maßnahmen, die etwa zur Einrichtung eines größeren stehenden Heeres, zu einer modernen militärischen Sicherung der Grenzen, aber auch zu einem Wechsel des äußeren Erscheinungsbildes führen sollten – statt der traditionellen Gewänder trug man nun preußisch-blaue Uniformen –, kommentiert Urquhart dabei in seinen Reiseberichten mit Abscheu und fragt sich, wo denn die gute alte Zeit geblieben sei, in der Soldaten noch Helden gewesen wären.
Damit ist eigentlich auch Urquharts weiteres Geschick schon angedeutet, denn er lebte in dem, was war, und nichts lehnte er so sehr ab wie politische und soziale Neuerungen. Was seine weitere Laufbahn betraf, fuhr er sich auf diese Weise selbst auf ein Abstellgleis, und Russland wurde für ihn mehr und mehr zum Prinzip des Bösen, das für jede schlechte Entwicklung in Europa verantwortlich gemacht wurde. Diese Ansichten vertrat er mit einem echt britischen Starrsinn bis zu seinem Tod, und es verwundert kaum, dass man ihn im Großen und Ganzen nicht weiter ernst nahm. Auch politisch verlor er seine Freunde, da er sich sozusagen mit Haut und Haaren zu dem streng konservativen Flügel der Tories bekannte, der britischen Hofpartei – er sagte einmal über sich selbst, er sei ein Tory im reinsten Sinn des Wortes, ein Tory wie zu Zeiten von Anne Stuart –, die sich unter anderem für einen weitgehenden wirtschaftlichen Liberalismus und für eine Beschneidung der Macht der Parlamente einsetzte. Als es Ende der 50er-Jahre des 19. Jahrhunderts zu einer politischen Annäherung zwischen den liberalen Teilen der Tories und den Whigs kam und man im Jahr 1859 die Liberale Partei gründete, lehnte Urquhart all dies entschieden ab.
Zwischenzeitlich sollte er jedoch noch einmal in geheimer Mission auf Reisen gehen, denn es ist gewiss kein Zufall, dass er Spanien (und Marokko) ausgerechnet in jener Zeit besuchte, als der sogenannte erste Carlistenkrieg (1833–1840) zu Ende ging. Nach dem Tod des spanischen Königs Ferdinand VII. war es 1833 zu Thronstreitigkeiten zwischen Maria Cristina von Neapel-Sizilien und dem Prätendenten Karl V. gekommen, die in einen langjährigen Bürgerkrieg münden sollten. Offenbar lag es nun in Palmerstons Interesse, doch etwas mehr über die Lage auf der Iberischen Halbinsel zu erfahren, und ob wirklich mit einer nachhaltigen Befriedung der Region zu rechnen sei. Denn mit Gibraltar, das seit 1830 britische Kronkolonie war, galt es auch englische Interessen in der Region zu wahren. Über diese Reise hat Urquhart einen Bericht hinterlassen, der im Ton und in der allgemeinen Bewertung der Dinge und der menschlichen Natur durchaus mit den orientalischen Reiseberichten übereinstimmt. Welche Nachrichten Urquhart nun an seinen Chef, den Außenminister Palmerston übermittelte, geht aus dem vorliegenden Text natürlich nicht hervor.
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