Verbunden mit herzlichem Dank
für die Gastfreundschaft, widme ich das Buch
Ute und Armin Schäufele vom Kelterhof –
und die Lindemanns widmen es Gudrun Jung,
mit der sie eben dort schon so manch
leckeres Gläslein gebechert haben.
Lindemanns Bibliothek
Literatur und Kunst im Info Verlag
dieser Band herausgegeben von
Constanze und Thomas Lindemann
Band 139
Titelfoto: Thomas Rebel
Redaktionelle Mitarbeit: Kurt Fay
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© 1. Auflage 2011 · Info Verlag GmbH
Käppelestraße 10 · 76131 Karlsruhe
www.infoverlag.de
ISBN 978-3-96308-030-2
Johannes Hucke
Frühlingsfahrt
Ein Kraichgau-Krimi
aus dem Kelterhof
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Johannes Hucke, geboren 1966, hat mit seinem „Kraichgauer Weinlesebuch“ (2007, 2. Auflage 2009) die Landschaft zwischen Schwarz- und Odenwald vinologisch erschlossen. 2010 folgte der Kraichgau-Krimi „Rotstich“ (2. Auflage 2010) und 2011 ein Krimi zu Peter-und-Paul: „Die Brettener Methode“. Als Theaterautor ist er erfolgreich u. a. mit dem Wein-Theaterstück „Kellersequenz“. Weitere Veröffentlichungen im Info Verlag: „Bergstraße Weinlesebuch“ (2008), „Südpfalz Weinlesebuch“ (2009), außerdem mit Holger Nicklas „Strafraum“, ein KSC-Krimi (2009, 2. Auflage 2010) und „Totland“, KSC-Krimi Nr. 2 (2010), die Unternehmensgeschichte „Das Beste aber ist das Wasser“ (2010), „Frankfurter Stückchen. Ein Märchen aus der neuen Altstadt“ (2010), „Neckarstadt Western. Der durchgeknallte Mannheim-Roman“ (2010) und „Libellen greifen selten zu Labello“, Gedichte (2010).
Frühlingsfahrt
Es zogen zwei rüstge Gesellen
zum erstenmal von Haus,
so jubelnd recht in die hellen,
klingenden, singenden Wellen
des vollen Frühlings hinaus.
Die strebten nach hohen Dingen,
die wollten, trotz Lust und Schmerz,
was Rechts in der Welt vollbringen,
und wem sie vorübergingen,
dem lachten Sinn und Herz. –
Der erste, der fand ein Liebchen,
die Schwieger kauft Hof und Haus;
der wiegte gar bald ein Bübchen,
und sah aus heimlichem Stübchen
behaglich ins Feld hinaus.
Dem zweiten sangen und logen
die tausend Stimmen im Grund,
verlockend Sirenen, und zogen
ihn in der buhlenden Wogen
farbig klingenden Schlund.
Und wie er auftaucht vom Schlunde,
da war er müde und alt,
sein Schifflein, das lag im Grunde,
so still war’s rings in der Runde,
und über den Wassern wehts kalt.
Es singen und klingen die Wellen
des Frühlings wohl über mir;
und seh ich so kecke Gesellen,
die Tränen im Auge mir schwellen –
ach Gott, führ uns liebreich zu dir.
Dieses Gedicht, von Joseph von Eichendorff „Die zwei Gesellen“ betitelt,
erhielt in Robert Schumanns Vertonung die Überschrift „Frühlingsfahrt.“
Zwei Tote
Ein betäubender Trestergeruch hängt in den Gassen, als Edelbert Schicke mit dem Weinbergstraktor durch das Kraichgau-Dorf Großvillars rumpelt. Schicke schnuppert zufrieden – es ist sein Lieblingsduft. Mehr noch als am zarten Aroma junger Nüsse, an Flieder und Maiglöckchen, selbstgekochter Tomatensuppe, Rührei mit Schnittlauch und frisch gebackenem Brot erfreut er sich an diesem tausend Erinnerungen in ihren Verstecken aufstöbernden Herbstgeruch, wenn in jedem Hof die Moste gären und an den Hügeln ringsum die Trauben in der Oktobersonne dünsten. Für Edelbert wie für alle Weinbauern, ihre Angestellen und Helfer sind dies die höchsten Feiertage im Jahreslauf. Erntedankstimmung? Ja, auch, durchaus. Aber nur in den Pausen, wenn Ute Schäufele die heißen Würste in den Weinberg zur Lesemannschaft bringt und das eine oder andere Glas vom kellerkühlen Vorjährigen den Durst aus den Hälsen scheucht. Oder aber am frühen Morgen, vor dem Lesetag, wenn noch nicht alle Sinne auf die anstrengende, diffizile Arbeit konzentriert sind: Dann teilt sich unwillkürlich etwas mit von der weihevollen Atmosphäre der Reife, die frühere Generationen ohne Schwierigkeiten mit Gottes Segen in Zusammenhang zu bringen wussten.
In der Nähe des wunderhübsch renovierten Weinberghäuschens der Familie Schäufele stellt Schicke den schmalen Trecker ab. Vom Herbstfest gestern Abend sind keine Spuren mehr zu finden. Alle haben mitangepackt, Tische, Bänke, Flaschen hin- und wieder weggeschleppt; nicht ein Papierchen liegt mehr auf dem kleinen Festplatz. – Noch einmal will er den Spätburgunder in Augenschein nehmen. Jeden Tag, bisweilen mehrmals, ist er zuletzt gemeinsam mit Armin, dem Hausherrn des Kelterhofs, in den Weinberg hinaufgestiegen. Das Gespräch hatte stets einen ähnlichen Wortlaut.
„Sollen wir mal langsam?“
„Hm. Vielleicht noch ein, zwei Tage?“
„Hm. Vielleicht noch mal den Wetterbericht konsultieren?“
Der Wetterbericht! Vergleichbar allenfalls den Hochseefischern im Atlantik oder den Tabakbauern Mittelamerikas, versteht sich die Gilde der Winzer auf Wetterprognosen; es ist diese Abhängigkeit von oftmals minimalen Veränderungen der Witterung, zumal in der Zeit vor der Ernte, die ein Höchstmaß an Kenntnis, Weitsicht und Gespür erfordert. Alle haben sie das schon erlebt: Plötzliche Kälteeinbrüche, Hagel, Nässe, aber auch Trockenheit, zu viel Wind, zu wenig Wind ... all diese Faktoren entscheiden über die Qualität ganzer Jahrgänge oder gar über die Existenz von Betrieben.
Nein, heute ist es so weit: Jetzt ist er dran. Genug in der Sonne gelümmelt, ab damit und in die Presse! Edelbert Schicke zückt unwillkürlich das Refraktometer, nähert sich einem dieser makellos dunkelroten Henkel, pickt ein Träubchen heraus und zerquetscht es. Tatsächlich: Noch ein Grad Oechsle mehr als gestern. Vollreif sind diese Trauben ja seit Wochen; doch Armin Schäufele hat etwas Außergewöhnliches mit diesem Spätburgunder vor: Er soll Kraft haben, soll zum Erstwein, zum Flaggschiff des Gutes aufsteigen – ein muskulöser, ein männlicher Pinot Noir wird daraus werden, eine trockene Auslese, reifend in Barriques aus heimischer Eiche, zu Teilen eigens gefertigt von den kundigen Händen französischer Küfer. Während Schicke das Refraktometer trockenwischt, fällt ihm etwas auf: In der Reihe der schimmernden Burgundertrauben ist etwas in Unordnung geraten. Was soll nun das? Da hegt und pflegt man die Lage mit aufwändiger Laubarbeit und auf einmal kommt so ein Strolch daher und reißt die Drähte runter! Erbost geht Edelbert Schicke auf die lädierte Stelle zu – und taumelt im gleichen Augenblick zurück. Zwischen den herrlichen Früchten, leuchtend im Frühlicht, hängt ein blutiger Menschenkopf. Der Arbeiter im Weinberg hat nur kurz hingesehen; unwillkürlich schlägt er die Hand vor Mund und Augen. Doch die Zehntelsekunde hat genügt um zu erkennen, dass da ein lebloser Mensch im Weinberg kauert, halb über die Drähte gebeugt, mit einer gewaltigen Wunde im Kopf. In der Rückwärtsbewegung drängt es Edelbert, doch noch einmal hinzusehen. Kein Zweifel, ein Toter. Oder eine Tote? Das ist aus der Entfernung nicht zu erkennen; entstellt sieht die Leiche aus, umgeben von farbigem Weinlaub und den schönsten Trauben. Um alles in der Welt: Was hat dergleichen in Großvillars zu suchen, einem der friedlichsten Örtchen im Rund, wo seit Jahrhunderten keine Gewalttat mehr vorgekommen ist?
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