»Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen …«
Jeder Musical-Fan trällert diese Zeile sofort mit: Es ist einer der unzähligen Übungsverse, mit denen der arrogante Phonetik-Professor Henry Higgins die einfache Blumenverkäuferin Eliza Doolittle bis zum Umfallen »quält«. Von ihrer ungehobelten, ordinären Sprache fasziniert, behauptet er selbstbewusst, aus dieser »Rinnsteinpflanze« innerhalb kurzer Zeit eine vornehme Lady machen zu können. Sein Kollege Oberst Pickering hält dagegen und schließt mit Higgins eine Wette ab: In sechs Monaten soll Eliza als noble Dame auf einem Botschafterball auftreten, ohne dass jemand ihre Herkunft errät. Eliza geht auf das Experiment ein. Wird sie es schaffen einen perfekten Auftritt hinzulegen?
Der beliebte Musical-Klassiker My Fair Lady wird in der Reihe Weltmusicals für Kinder von Barbara Kindermann amüsant und mitreißend neu erzählt und von Silke Leffler bezaubernd schön illustriert.
WELTMUSICALS FÜR KINDER
nach Alan Jay Lerner
Neu erzählt von Barbara Kindermann
Mit Bildern von Silke Leffler
Es war elf Uhr abends in London und ein schwerer Sommerregen ergoss sich über die Stadt. Überall suchten Fußgänger eilig einen Unterschlupf oder winkten verzweifelt nach einem Taxi. Aus dem Theater nahe dem Gemüsemarkt strömten die Besucher in Abendkleidern auf die Straße und spannten schnell ihre Regenschirme auf.
Auch Eliza Doolittle, Blumenverkäuferin auf dem Gemüsemarkt, suchte Schutz vor dem plötzlichen Unwetter. Die junge Frau war ärmlich gekleidet, trug einen billigen braunen Hut und lief hastig über den verregneten Platz. Ihre Hände hielten einen großen Korb mit Blumen umklammert. Aus der Gegenrichtung bahnte sich derweil ein elegant gekleideter junger Mann breitschultrig einen Weg durch die Menge. Sein Abendanzug war schon triefend nass. »Taxi! Taxi!«, rief er wild gestikulierend und übersah dabei das ihm entgegen laufende Blumenmädchen. Prompt stießen die beiden zusammen, wobei der Mann Eliza versehentlich den Korb aus den Händen schlug.
»Heeeee!«, schrie Eliza empört. »Vorher kieken is’ nich’, wa?«
»Entschuldigung«, brummte der junge Herr zerstreut und hastete davon.
»Det is’ vielleicht ’n Gentleman«, ärgerte sich das Mädchen lautstark. »Zwee Veilchensträuße futsch im Dreck! Und dann einfach abhaun, ohne zu bezahlen. So ’ne Jemeinheit!«
Zornig sah sie dem wegeilenden Mann hinterher und begann – immer noch laut schimpfend – die am Boden liegenden, zerschundenen Blumen wieder einzusammeln.
Während sie so vor sich hin zeterte, tippte ihr ein Marktjunge auf die Schulter und sagte warnend: »Passen Sie bloß auf, was Sie reden, der Kerl dahinten notiert sich jedes kleinste Wort davon.«
Er zeigte auf einen gut angezogenen älteren Herrn in ihrer Nähe, der eifrig in ein kleines Notizbuch schrieb. »Vielleicht ist er ein Polizist.«
Erschrocken sprang Eliza auf. »Aber ick hab’ doch nüscht verbrochen! Ick hab’ ’n Recht auf den Verkauf von die Blumen!«
Der Herr schrieb wortlos weiter und Eliza schrie ihn nun aufgebracht an: »Ick hab’ rein jar nüscht Böset jesagt! Ick schwöre Sie bei die Bibel und so! Ick bin ein ehrbares Mädchen! Ick verdiene uff anständije Weise meen Jeld!«
Jetzt betrachtete der Mann sie abschätzig und meinte barsch: »Na, na, na! Wer tut dir denn hier was, albernes Ding? Wofür hältst du mich? Sehe ich aus wie ein Polizist?«
Eliza entgegnete voller Argwohn: »Und wofür haben Se mich dann uffjeschrieben? Ob Se überhaupt allet richtig haben? Zeigen Se mal, wat da von mir steht!«
Stumm hielt ihr der Mann sein Buch unter die Nase, sie starrte hinein und rief dann unwillig: »Na, so wat. Det is’ ja vielleicht ’ne Schrift! Kann doch keen Mensch lesen!«
»Ich kann’s«, gab der Herr kurz zurück, und, indem er ihre Aussprache genau wiedergab, las er vor: »Ick hab rein jar nüscht Böset jesagt! Ick schwöre Sie bei die Bibel und so!« Und wie beiläufig fragte er die sprachlose Eliza: »Und wie geht es deiner Familie in Selsey?«
Ungläubig starrte sie ihn an: »Wer hat Ihnen denn erzählt, det ick von Selsey bin?«
»Das tut nichts zur Sache. Du bist jedenfalls von da.«
Jetzt mischte sich ein Marktverkäufer ein: »Und wissen Sie auch, wo ich herkomme?«
»Aus Hoxton«, antwortete der Herr wie aus der Pistole geschossen.
Verblüfft schüttelte der Mann den Kopf. »Sie wissen ja wirklich alles. Treten Sie damit im Zirkus auf?«
»Nein, ich studiere die Wissenschaft der Aussprache: Dialekte und Akzente. Mein Beruf und mein Hobby. SIE können vielleicht einen Iren oder einen Schotten an seinem Dialekt erkennen. ICH kann jeden Engländer aufgrund seiner Aussprache auf sechs Meilen genau einordnen und sagen, woher er kommt.«
Eliza sah ihn trotzig an. »Na und? Ick hab’ ’n Recht, zu reden, wie ick bin. Soll er sich um sein’ eijenen Dreck kümmern und nich’ um so ’n armet Kind wie mich …«
»Schluuuuuuss jetzt, Weib, mit deinem abscheulichen Geplärre!«, unterbrach sie der Notizenmacher. »Bedenke, dass deine Muttersprache die Sprache bedeutender Schriftsteller wie Shakespeare ist – hocke also nicht hier rum und gackere wie ein magenkranker Frosch!«
Sie blickte ihn halb bestürzt, halb gekränkt an und traute sich kein Wort mehr zu sagen, stattdessen jaulte sie nur mehr: »Aooooowww!«
Rasch zückte der Mann wieder sein Notizbuch. »Aooooowww? Himmel, was sind das für Töne! Ah-oh-oh-oh-oh oh-we-we-we!« Er wandte sich an die Umstehenden: »Hören Sie nur mal dieses Geschöpf mit seinem Gassenjargon. Diese Sprache wird sie lebenslänglich in der Gosse festhalten. Und warum? Wegen ihrer miesen Aussprache und ihrem fürchterlichen Dialekt.«
Er betrachtete Eliza nachdenklich. »Nach nur zwei Monaten Unterricht könnte ich diesem Mädchen eine Aussprache beibringen, mit der sie es wenigstens zu einer Verkäuferin in einem feinen Blumenladen bringen würde.« Elizas Augen begannen bei diesen Worten zu leuchten, doch der Mann setzte noch einen obendrauf: »Und nach sechs Monaten Sprachunterricht bei mir könnte ich sie auf der Gartenparty des Botschafters als Herzogin ausgeben und keiner würde erraten, woher sie kommt.«
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