Vom ersten Tag an, als ich bei Cus einzog, fing er an, mich entsprechend zu bearbeiten und zu testen, wie weit er mich ohne ersichtlichen Grund drangsalieren konnte. Zum Beispiel tauchte er in meinem Zimmer auf und fragte: „Was hast du heute in der Schule gemacht? Nun, du musst ja wohl was gemacht haben, denn du warst den ganzen Tag in der Schule. Was hast du gelernt? Wo sind deine Hausaufgaben? Hast du welche auf?“
Die anderen Jungs behaupteten immer, Cus bevorzuge mich, aber sie wussten nicht, wie er mit mir redete, wenn wir allein waren.
Ich hatte immer Gewichtsprobleme. In meiner Vorstellung war ich ein fettes Schwein, auch wenn die anderen bei meinem Anblick nicht auf den Gedanken kamen. Wenn ich trainierte, schmierte ich mir Abolene, ein Mittel zum Fettabbau, auf die Haut und trug ein bis zwei Wochen lang einen Saunaanzug, den ich lediglich abends zum Baden auszog. Damit konnte ich noch ein paar Pfunde zum Schmelzen bringen. Dann ging ich zu Bett. Am nächsten Morgen streifte ich ihn wieder über, ging zum Joggen und trug ihn den ganzen Tag. Mein Gewicht war ebenfalls ein Punkt, der Cus Anlass zum Kritteln gab.
„Dein Arsch wird immer fetter“, sagte er. „Du verlierst wohl das Interesse, oder? Du willst das alles wohl nicht mehr mitmachen, denn es ist zu anstrengend für dich, nicht wahr, Mike? Du hast dir wohl vorgestellt, dass wir hier oben Spielchen machen, oder? Hast gedacht, du bist wieder in Brownsville, rennst herum und treibst deine Spielchen?“ Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich das anhören. Und zwar genau in dem Augenblick, wenn Sie sich ein Eis gönnen, was Sie sich sowieso nur am Wochenende zugestanden, müssten Sie das über sich ergehen lassen. „Nicht viele Kids können das tun, was wir hier machen, deshalb ist es etwas ganz Besonderes. Ich hatte wirklich angenommen, du könntest es“, fuhr er fort.
Teilweise tadelte mich Cus, und ich hatte keinen Schimmer, weshalb. Er nahm mich auseinander und machte mich nieder. „Mit deinem kindischen Getue und Verhalten wirst du nie den Gipfel erreichen, nach dem wir streben.“ Manchmal, wenn Cus mich mal wieder niedergemacht hatte, konnte ich nicht anders als verzweifelt zu schreien: „Ihr könnt mir alle gestohlen bleiben. Aggh!“
Ich konzentrierte mich dann auf die positiven Dinge, die er zu mir sagte, und erklärte ihm: „Ich werde alles daransetzen zu gewinnen. Ich würde mein Leben opfern, um Champion zu werden, das darfst du mir ruhig glauben, Cus.“ Und statt zu erwidern: „Mike, du schaffst es“, musste er mir unbedingt noch einen Seitenhieb versetzen: „Überleg dir genau, worum du bittest, du könntest es bekommen.“
Er krittelte auch an meinen Klamotten herum. An Feiertagen kamen manchmal Gäste, Camilles Schwester oder andere Besucher. Ich schlüpfte in eine hübsche Hose, ein Hemd mit Weste und band mir eine Krawatte um. Ich saß ganz entspannt da, und die Damen bemerkten: „Mike, du siehst gut aus.“ Und dann kam Cus herein.
„Wie bist du denn herausgeputzt? Deine Hose ist so eng, dass sich deine Eier und dein Arsch abzeichnen. Was ist los mit dir?“
Camille wollte mich verteidigen, aber Cus fiel ihr ins Wort.
„Verschone mich mit deiner Meinung. Camil-lee, bitte. Dieser Aufzug ist unmöglich.“
Aber Cus bedachte mich nie mit Schimpfworten wie „Hurensohn“. Er nannte mich lediglich faule Tomate oder Penner. Das hieß in der Boxersprache, dass ich ein schmutziger, versiffter Nigga sei. Ich heulte jedes Mal wie ein Baby. Er wusste, dass ich am Boden zerstört war, wenn er das zu mir sagte.
Ich empfing von ihm so viele unterschiedliche Botschaften, dass ich unsicher wurde, wie er mich in Wirklichkeit als Boxer einschätzte. Einmal, als Tom Patti und ich gerade aus der Sporthalle kamen, verspätete sich Cus einen Moment. Ich schlüpfte auf den Rücksitz und versteckte mich.
„Sag Cus, ich sei zu Fuß heimgegangen. Und wenn er einsteigt, frag ihn bitte, wie er eigentlich zu mir steht.“ Tom war dazu bereit. Dann stieg Cus ein.
„Wo zum Teufel steckt Mike?“, fragte er.
„Ich glaube, er bleibt in der Stadt“, erwiderte Tom.
„Okay, dann fahren wir. Er wird später nachkommen.“ Also fuhren wir los. Ich lag auf dem Rücksitz und flüsterte mit Tom, da Cus halb taub war und schlecht hörte.
„Hör zu, Tom, frag Cus, ob er findet, dass ich harte Schläge verpasse“, sagte ich.
„He, Cus, findest du, dass Mike hart zuschlägt?“, fragte Tom.
„Tut er. Ich will dir mal was sagen: Dieser Junge schlägt so hart zu, dass er eine Ziegelmauer entzweischlagen könnte. Er schlägt nicht nur hart zu, sondern auch effektiv. Er kann sowohl mit der rechten als auch mit der linken Hand den Gegner k.o. schlagen“, sagte Cus.
„Frag Cus, ob er glaubt, ich könne in Zukunft wirklich ein großer Boxer werden“, flüsterte ich.
Tom stellte Cus die Frage.
„Tommy, wenn Mike seine fünf Sinne beisammenhält und sich auf das angestrebte Ziel konzentriert, wird er einer der größten Boxer, wenn nicht gar der größte Boxer in der Geschichte des Boxsports.“
Das hörte ich gerne. Inzwischen waren wir bei Cus’ Haus angelangt. Als wir ausstiegen, entdeckte mich Cus auf dem Rücksitz.
„Du hast gewusst, dass er mit uns fuhr?“, wandte er sich an Tom.
Tom spielte den Unschuldigen.
„Versuch nicht, mich zu verschaukeln. Du hast genau gewusst, dass er hinten auf dem Rücksitz lag. Ihr beide seid wirklich nicht auf den Kopf gefallen, das kann ich euch sagen.“
Cus fand es nicht lustig, aber wir schon.
Das Lustige daran war, dass er seine eigenen Emotionen nicht kontrollieren konnte. Cus war einfach ein total verbitterter Mann, der nach Rache sann. Roy Cohn, Kardinal Spellman, diese Männer verfolgten ihn im Schlaf. J. Edgar Hoover? „Oh, wenn ich ihm nur eine Kugel in den Kopf jagen könnte, denn das verdient er.“ Er faselte ständig davon, wie er jemanden umbringen würde, und dabei waren einige der Kerle bereits tot. Aber er hasste sie abgrundtief.
Als ich einmal etwas Nettes über Larry Holmes sagte, geriet Cus außer sich.
„Was glaubst du denn? Er ist ein Nichts. Man muss diesen Mann demontieren. Es ist unser Ziel, ihn auseinanderzunehmen und ihm die Meisterschaft abzunehmen. Er ist nichts für dich.“
Manchmal brüllte Cus bei einem Fernsehauftritt wie ein Tier. Eigentlich wirkte er nicht wie ein bösartiger alter Mann, doch er war es. Wenn man nicht bereit war, sein Sklave zu sein, hasste er einen abgrundtief. Er war immer auf Konfrontation aus. Den größten Teil des Tages hörte man ihn sagen: „Oh, dieser Hundesohn, oh, ich kann es nicht glauben, dieser Kerl aus, du weißt schon, wen ich meine … Was für ein Dreckskerl!“
Die arme Camille sagte dann: „Cus, beruhige dich. Dein Blutdruck steigt.“
Cus herrschte in dem Haus mit eiserner Faust und beherrschte sogar Camille, obwohl es ihr Haus war. Cus besaß keinen Cent. Er hat sich nie richtig um Geld gekümmert und das meiste einfach weggegeben. Camille wollte das Haus verkaufen, weil es so teuer war, es zu unterhalten, doch Cus überredete sie, es zu behalten. Er wies sie darauf hin, dass er eines Tages einen Stall guter Kämpfer haben und dann alles besser werden würde. Er hatte aber schon fast die Hoffnung verloren, als ich des Weges kam.
Ich glaube nicht, dass Cus damit rechnete, in absehbarer Zeit einen Boxweltmeister präsentieren zu können. Die meisten Boxer, die nach Catskill kamen, waren bereits etablierte, die den Mädchen und den Versuchungen der Stadt entfliehen wollten. Außerdem mochte zu der damaligen Zeit keiner seinen Boxstil. Sie fanden ihn überholt. Dann tauchte ich dort auf, völlig unwissend, jemand, der noch zu formen war. Ich konnte nicht begreifen, warum Cus sich dermaßen über mich freute. Wenn er mich ansah, fing er an, hysterisch zu lachen. Er griff nach dem Hörer und erzählte aller Welt: „Das Wunder ist zum zweiten Mal geschehen. Ich habe einen neuen Champ im Schwergewichtsboxen.“ Dabei hatte ich noch nie einen Amateurkampf ausgetragen. Ich habe keine Ahnung, was ihn bewog, so etwas zu sagen, aber irgendwie scheint er wirklich diesen Weltmeister in mir gesehen zu haben.
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