Es war wunderbar. Und Herr Bomst konnte sich nun hinsetzen und dem Großgrundbesitz (mit Adel) Briefe schreiben, die Ortsgruppe sei gegründet und der Geehrte Herr Major oder Oberst oder General werde gebeten, als Mitglied.. Unterstützung.. nationale Pflicht ….
[38]Herr Bomst kann ruhig schlafen, er hat den Anschluss gefunden.
Auch schlichtere Gemüter hegen die Ansicht, dass solche Stahlhelmortsgruppe noch weitere Aufgaben hat, als diese allwöchentlichen Zusammenkünfte in der Hinterstube eines Bierlokals. Ernste Pflichten liegen ihr ob. Die gewonnenen Feldzugserfahrungen sind zu erhalten und auszubauen. Das Wort Nachtübung fällt.
Nun, warum eigentlich nicht Nachtübung? Die sämtlichen Ortsgruppen der Gegend werden mobil gemacht. Und damit die Sache für die jungen Leute abenteuerlicher sei, wird ausgesprengt, dass die Arbeiter der Kreisstadt – eine verworfene rote Band, ein Blutgeschwür (Blutgeschwür ist gar nicht übel, denkt mancher versonnen) – dass diese Rotte also beabsichtigt, die Leitung der Stadt zu ergreifen, das Rathaus mit Gewalt zu stürmen – in der kommenden Nacht. Pflicht sei … Erhaltung des Bestehenden ….
Es war ein göttlicher Nachtmarsch. Sie marschierten 20 Kilometer und kamen vor die Stadt und standen in Büschen, denn die Arbeiter durften ja nichts merken. Und dann stellte es sich heraus, dass diese Gruppe auf die andere Seite der Stadt gehörte. Also marschierten sie wieder 10 Kilometer und standen wieder in Büschen und besahen die Stadt von der anderen Seite. Sie tat, was Landstädte nächtens tun: sie schlummerte. Da suchten sie Anschluss an die Nebengruppe und fanden sie nicht. Und dann fanden sie die Nebengruppe und dann war es die [39]falsche Nebengruppe. Und dann begann es zu dämmern und Herr Bomst teilte ihnen mit, dass die Arbeiter von der Aktion des Stahlhelm Kenntnis bekommen und sofort aus Angst ihre Aktion eingestellt hatten. Ein voller Erfolg!
Die Brust schwellte Stolz. Und dann wanderten sie wieder 20 Kilometer nach Haus. Lieb Vaterland, magst ruhig sein!
Das war in den Tagen des Küstriner Putsches, von dem man später so seltsam Weniges hörte. Große Dinge geschahen. Motorräder durcheilten die Ortschaften, in Leder gekleidete Herren, denen zum vollständigen Anzug nur das Monokel fehlte, gaben Weisungen aus und es kamen andere Belederte und gaben andere Weisungen aus. Und niemand wusste etwas und alle ahnten etwas. Und es würde ein großer Schlag sein und das Vaterland . . . . .
Man machte Siedehitze und, die sie machten, waren ganz gutgläubig und darum siedete es auch so. Jeder Eleve der Landwirtschaft sah sich als Retter des Vaterlandes. Und der Chef gab natürlich Urlaub und man machte sich bei ihm einen weißen Fuß.
Nur, sein Auto gab der Chef nicht. Als Herr Bomst anrief und um Zur-Verfügung-Stellung des Autos bat, da sagte der Chef natürlich zu. Durfte man es denn mit diesen verderben? Wer weiß, morgen waren sie (sprich wir) die Herren. Aber dann traf es sich so vorzüglich, dass grade zu diesem Tage das Auto kaputtging. Sicher ist sicher. Und des [40]Müllers Satz, dass es Richter in Berlin gibt, hat auch manchmal sehr seine zwei Seiten.
Aber die Jungen, die marschierten natürlich los. Sie wären nicht nur gegen Küstrin, sie wären gegen Berlin, sie wären gegen die ganze Welt marschiert. Sie marschieren streng national in jedes Debakel. Sie wissen nichts, wenn nicht dies, dass sie die andern hassen. Jene, die immer ändern wollen, die immer vorwärts wollen, die nie beharren können. Es war doch früher so schön bei uns. Sie marschieren zu der Spielerei ihrer Nachtübungen, sie marschieren zu jedem Mord und Totschlag, sie marschieren heute noch. Und sie werden immer marschieren – gegen den Geist.
[41]Was liest man eigentlich so auf dem Lande?
Ostelbien liegt nicht nur östlich von der Elbe. Dieses Land, dessen Name nicht nur für eine politische Denkart Symbol ward, erstreckt sich überall dort, wo Menschen pflügen, Korn nach Kartoffeln bauen und Schweine mästen.
In die Bücherschränke vieler Besitzer sah ich auf mancher Reise. Mir graute. Die politische Einstellung des Ostelbiers hieß konservativ, damit sollte ein Festhalten am Hergebrachten bezeichnet werden. Die Bücherschränke der Väter heutiger Agrarier haben anders ausgesehen wie die von meinem Blick entweideten, die der Großväter waren wiederum anders. Es ist nicht Konservativität, nicht Festhalten am Hergebrachten und es ist doch stets das Gleiche: Bequemlichkeit, Denkfaulheit, Seichtheit, stures Ablehnen alles Andersseins. Wie der Gott Mosis formt der Landwirt noch immer die Welt nach seinem Bilde und Anderssein heißt Schlechtsein.
Geben Sie einem Agronomen, sagen wir aus Hinterpommern, ein Buch in die Hand, so hören Sie von ihm häufig die Frage: »Liest sich das Buch gut?« (Andere Gegenden bevorzugen die Wendung: »Geht das Buch scheene?«) Eine Frage, die auf den Mund schlägt und ein kribbliges Gefühl erregt, dem Gegenüber das Buch wieder zu entreißen. Sie merken, Sie sind in einer andern Welt. Sie sehen, wie die gebräunten, oft rassigen Hände das Buch in der Mitte öffnen, zwei, drei Zeilen oder auch nur Wörter werden gelesen, zwei Seiten weiter dasselbe, am Schluss noch ein Blatt. (Dem Titelblatt wurde kein Blick geschenkt.) Man hört die Versicherung: »Ich werde das Buch mal lesen.« Und nun die Krönung: »Eigentlich lese ich ja keine Romane.«
[42]Eigentlich liest er nur Romane. Bloß eben anders. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich das Publikum der Courths-Mahler, Werner, Wothe, Eschstruth nur von der Hintertreppe rekrutiert: den Dienstmädchen, Köchinnen, Waschfrauen nebst körperlichem und seelischem Anhang. Auch der reckenhafte Militarist versinkt in Träumen über den sylphenhaften Schleiergestalten der Kolportage.
Es fragt sich nur warum. Was man auch sage: die Welt in der er arbeitet, lügt nicht. Korn, das wächst, lügt nicht, Vieh, das geboren und milch wird, lügt nicht, das Wetter lügt nicht, die gute Erde lügt nicht.
Und am Ende: ein Dorf ist so klein, auch die Menschen können sich nie lange umlügen, hier wird alles beobachtet, da nichts geschieht, ist das Zehntel eines Geschehens schon von Wichtigkeit. Man errät aus Bewegungen, Andeutungen, aus der Richtung eines abendlichen Ganges, aus der Veränderung einer Stimmung mit Genauigkeit das Entscheidende.
Ist es nicht seltsam, dass dieser Beruf, der wie kein anderer in all seinen Verrichtungen von naturhafter Wahrhaftigkeit umgeben ist, in seiner Politik und in dem Zeitvertreib seiner Mußestunden die Lüge liebt? Und nur die Lüge? Auf dem Lande jedenfalls muss der Satz erfunden worden sein: Die Kunst soll erfreuen.
Zwei Gründe scheinen mir entscheidend zu sein.
Der Landwirt, der den ganzen Tag auf dem Felde ist und der, selbst wenn er nicht mit Hand anlegt, durch den zehnstündigen Aufenthalt in frischer Luft, durch das bloße Gehen in neu gepflügtem Land aufs äußerste körperlich ermüdet ist, findet es unbequem, abends noch denken zu sollen. Er will eine Welt, in der etwas geschieht; auf eine [43]unkomplizierte und übersichtliche Weise müssen Ereignisse eintreten, die ihn fesseln, spannen, kurz, bis zur Schlafensstunde wach halten.
Und dann: Die Welt, in der er lebt, ist eine sehr einfache Welt. Die Liebe, die einen Knecht und ein Hofgängermädel zusammenbringt, ist auf die primitivsten Anlässe rückgeführt, sagen wir, auf den Anlass. Hier fehlt völlig das versteckende Spiel der Redensarten, der Ideale, keine Mäntelchen, alles ist nackt. Keine Umwege, jedes kennt sein Ziel.
Das aber ist seine Sünde, dass der lesende Agrarier, vielleicht von der Schule, vielleicht von der Religionsstunde her, an eine andere Welt glaubt. Diese Welt lebt er, aber ein bisschen glaubt er doch an die andere. Er schlägt das Buch auf und nun ist sie um ihn, diese andere Welt. Hier erlebt er unfassbare Verzichtleistungen, einen Edelsinn, den er bewundert, eine Treue an das Ideal, die er nie besessen hat (und selbst nie haben möchte). Er, der am Tage einfach sein muss, auf kotigen Landwagen, unter wind- und regengerüttelten Bäumen, am Abend ist er in der lauen Luft der Ballsäle, sein kupferrotes Gesicht, nun von bleicher Blässe neigt sich über eine schmale Hand ….
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