„In den vorhergehenden Monaten waren so miese Dinge zwischen Lou und mir gelaufen“, erklärt Shelley. „Diese Groupie-Geschichte gab mir einfach den Rest. Ich hatte niemals Zweifel daran, dass Lou eines Tages ein Rockstar werden würde, und wenn ich bei ihm blieb, hieß das, dass ich die Frau eines Rockstars sein würde. Ich entschloss mich, ihn zu verlassen und für die nächsten zehn Jahre nicht in seine Nähe zu kommen.
Am nächsten Tag sagte er: ‚Ich war so stoned, ich kann mich nicht erinnern, dass ich das gemacht habe. Warum bist du sauer auf mich, hab ich das echt gemacht?‘“
Aber Shelley hatte endlich kapiert, was Lou antrieb, und sie hielt nichts davon. Der Kampf um den Sieg und die Kontrolle war ihm viel wichtiger als der Besitz, genauso wie er immer mehr zum Voyeur wurde, statt natürlichen Sex zu haben. Lou war von Grund auf unfähig, eine normale, wechselseitige Beziehung aufzubauen. Wie ein Hai wühlte er zwischen den Körpern herum, bis er etwas Lebendiges fand, das er in wilder Gier verschlang, während an seinem Kinn das Blut herunterrann.
In der Mitte seines dritten Jahres in Syracuse verwandelte sich Lou in ein achtköpfiges Monster, mit dessen unterschiedlichen Inkarnationen er von nun an durchs Leben schlitterte. Er stellte Bands zusammen, nur um sie wieder großartig aufzulösen, er saugte alle aus, die sich von ihm verführen ließen, und zerstörte sie, denn er spürte keine wirkliche Freude am Leben und wollte nicht, dass sich andere vergnügten, wenn er selbst dazu nicht in der Lage war.
Seit Lou ein eigenes Zimmer bezogen hatte, war seine Beziehung zu Lincoln abgekühlt. Im Lauf des dritten Jahres gab es immer mehr Anzeichen dafür, dass Lincoln sich einem Nervenzusammenbruch näherte. „Ich glaube nicht, dass einer von uns damals verstanden hat, dass Lincoln schizophren war“, erinnert sich Shelley. „Lou war so damit beschäftigt, seine eigene Show nach Lincolns Vorbild abzuziehen, dass ich nicht weiß, ob ihm aufgefallen ist, dass Lincoln wirklich krank war, oder ob er lediglich dachte, Lincoln sei einfach die krassere Nummer. Er versuchte, Lincolns Eigenschaften und Fähigkeiten zu übernehmen. Vieles von dem, was Lou ist, kommt von Lincoln.“ Shelley sagte, für beide Männer sehe der Ablauf einer Liebesgeschichte etwa so aus: „Ich bezaubere dich und bin gut zu dir und belohne dich mit meinem Wissen und meiner Gegenwart, und dann mache ich dich fertig.“ Allen Hyman stimmt zu, dass Lou viele seiner krausen Ansichten über das Leben von Lincoln übernommen hatte. „Viel durchgedrehter als Lincoln konnte man eigentlich nicht sein“, sagte er. „Außer man war Lou.“
Kurz nachdem Shelley Lou verlassen hatte, wurde Lincoln in die Klapse abtransportiert, als seine Eltern ihn in einem so desolaten Zustand vorfanden, dass ihre schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen wurden. Swados Schwester Elizabeth zufolge befand er sich „in einem Zustand völliger Desorientierung. Er war weder dazu in der Lage, dem Unterricht zu folgen, noch konnte er sein Zimmer verlassen. Die Stimmen in seinem Kopf gaben ihm zu viele einander widersprechende Anordnungen.“
So verlor Lou kurz hintereinander seine beiden besten Freunde, seine beiden Spiegel. Zwar gab es noch Delmore, aber der kam entweder gerade vom Spital oder war auf dem Weg dahin – jedenfalls war er nicht der Mann, an dessen Schulter sich Lou ausweinen konnte, obwohl er ihm einen sehr wichtigen Rat gab. Er sagte Lou, er solle einen Psychiater aufsuchen, und zwar eine Frau, denn einem Mann würde er doch nicht zuhören.
Trotz des Vorsatzes, ihrem Exfreund aus dem Weg zu gehen, ging es Shelley nach der Trennung von Lou sehr schlecht. Also zog sie los und tat etwas, das Lous Aufmerksamkeit garantiert auf sie lenken würde – sie färbte sich die Haare orange. „Ich erinnere mich daran, dass Lou, als er mich sah, sagte: ‚Wow! Jetzt hat man ja echt Mitleid mit dir, siehst ja aus wie Miss Trash.‘“ Natürlich musste Lou gleich mit ihr nach Freeport fahren, um seinen Eltern zu zeigen, was er aus dem netten jüdischen Mädchen gemacht hatte, das ihnen so sympathisch gewesen war. „Sie sahen das nette, gesunde Mädchen, das sich so zu seinem Nachteil verändert hatte, und sie sagten sich: ‚O Gott, Lou hat es schon wieder geschafft. Er hat sie ruiniert, er hat eine Schlampe aus ihr gemacht‘“, erinnert sich Shelley. „Seine Mutter sagte sogar zu mir: ‚Ich hoffe, er behandelt dich nicht so wie uns.‘ Wir haben seine Mutter wirklich geschockt. Er fand es super.“
Sobald sie wieder im College waren, trennten sie sich. Aber diesmal war sie entschlossen, niemals wieder zu ihm zurückzukehren. „Er war so ein Mistkerl.“
Der November 1963 war der Monat der Erkenntnis für Lou. Es begann damit, dass Bob Dylan ein Konzert in Syracuse gab. „Seit er mit seinem ersten Album herausgekommen war, war Dylan Lous großes Vorbild“, erklärt Mishkin. „Wir kannten seine Musik in- und auswendig. Plötzlich hatte man beides zusammen, Musik und Gedichte, und es war nicht Folkmusik. Lou hat’s echt umgehauen. Es war eine aufregende Sache. Lewis besorgte sich sofort eine Mundharmonika. Und ich erinnere mich daran, wie wir in seinem Apartment saßen und Stevie Windheim (von den Eldorados) und Lewis versuchten, die Noten von „Baby, Let Me Follow You Down“ herauszubekommen. Schließlich hatten wir sie, und wir spielten das Ganze, und wir hätten’s sicher nicht bei einem unserer Auftritte gespielt, aber es gefiel uns.“
Die Ermordung von Präsident Kennedy am 23. November 1963 markierte einen Wendepunkt in Lous Leben. Das Ereignis versetzte Delmore solch einen Schlag, dass er sich nie mehr davon erholte. Lou sah hilflos zu, wie sein Mentor und Saufkumpan in eine paranoide Depression verfiel. Er gab sich nicht einmal mehr den Anschein, noch zu unterrichten, und zog sich in die Orange Bar zurück. Bald war es Lou, der sich um seinen Lehrer kümmerte; er brachte ihn nach langen Nächten in der Orange Bar nachhause, er achtete darauf, dass Delmore Schlüssel und Zigaretten hatte, und kaufte manchmal Gemüse oder irgendwelche Kleinigkeiten für ihn ein. Wenn Schwartz die Orange Bar verließ, befand er sich häufig in anderen Sphären, und wie eine menschliche Wünschelrute ging er in jede Richtung los, die entweder menschliche Nähe oder, was noch häufiger vorkam, Ärger bereitzuhalten versprach. Lou überzeugte sich immer davon, dass er bis nachhause kam und sich ins Bett legte und dass die Gefahr, dass er das Haus durch eine achtlos fallen gelassene Zigarette bis auf die Grundmauern abfackelte, nicht allzu groß war. Nach einer gewissen Zeit nahm diese Art der Fürsorge für Lou jedoch einen zunehmend unheimlichen Charakter an, denn er begann sein eigenes Schicksal in dem des älteren Mannes zu erkennen. Lou, der bis jetzt von Delmores ermutigendem Zuspruch profitiert hatte und ernsthaft mit dem Gedanken spielte, nach Harvard zu gehen, fand sich plötzlich neben einem Mann wieder, auf den man aufpassen musste und der ohne Unterstützung nicht mehr in der Lage war, von A nach B zu gelangen. „Lou war sich darüber im Klaren, dass man in Delmores Nähe bleiben, ihn beobachten und für ihn sorgen musste“, sagt Shelley. „Ich denke, Lou fand das allmählich etwas mühsam.“
Unterdessen bereitete Lou seinen eigenen Untergang vor. Seit er nach der Elektroschocktherapie auf alle möglichen Medikamente gesetzt worden war, hatte sich Lou zu einem passionierten Drogenkonsumenten entwickelt; oder, um seine eigene Definition zu benutzen, in „einen Smörrebröd-Schmuck“. Falls er gerade keine Pillen einwarf, rauchte er Dope, nahm LSD, aß Pilze, zog sich Kokain rein oder schluckte Downer. Nebenbei führte er sich auch noch ausreichende Mengen Alkohol zu Gemüte, um die Orange Bar rund um die Uhr in Betrieb zu halten. Nun hatte er seinem reichhaltigen Drogenmenü zum ersten Mal Heroin hinzugefügt, während er es vorher nur verkauft hatte.
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