Dick steckte voller Enthusiasmus und war ein aufgekratzter Teenager, vergleichbar mit einem jungen, quirligen Welpen. Obwohl sechs Jahre älter als Brian, blieb er doch in der Beziehung immer der „Jüngere“, was teils daran lag, dass er kein Instrument spielte, teils an der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit und der Gutmütigkeit, mit der er Brians Launen ertrug. Dicks Vater zählte zu den gesellschaftlichen Säulen des Establishments von Tewksbury. Als Informationen über die Partyfreuden seines Sohnes und die Liebe zum Jazz in diese Kreise durchsickerten, überreichte ihm sein Dad – höflich, aber bestimmt – den „Marschbefehl“. Das geschah ungefähr zu der Zeit, als Brian in der vorläufigen Bleibe, einem Zimmer im Haus von Pat Andrews’ Bruder, den Bogen überspannt hatte. Brian fand daraufhin eine Wohnung im Selkirk House, einem beeindruckenden, mit Stuck verzierten Gebäude an der Prestbury Road 73, und überredete Dick, sich die geräumige Bleibe mit ihm zu teilen. Die beiden führten einen Lebensstil, der Brians musikalischen Helden nicht fremd gewesen wäre. „Wir hatten ein tolles Leben“, schwärmt Dick. „Wir kamen über die Runden, indem wir die Räume für Partys vermieteten, wie in den Zeiten des alten New Orleans. Wenn traditionelle Jazzbands in Cheltenham auftraten, luden wir sie zu ein paar Bier ein und ermunterten sie, sich so richtig gehen zu lassen. Wir kauften ’ne Menge Bier, animierten die Musiker dazu, in der Wohnung zu spielen, und kassierten dann an der Tür Eintrittsgeld, das allerdings für die Miete drauf ging. Tags darauf brachten wir die leeren Flaschen zurück und kassierten das Pfand. Wir verbrachten eine tolle Zeit miteinander.“
Die beiden standen für gewöhnlich mittags auf, schlenderten in die Stadt, meist zum Barbecue, in dem am Abend Jazzshows stattfanden. Meist war es Brian, der zu den Shows ging und Musiker wie Eric Allendale und viele andere überredete, nach dem Gig noch zu der Wohnung zu kommen. Er überzeugte sie mit unglaublichen Charme und seinem fokussierten Stil. Aber auch die Desillusionierung, mit der sich viele Teenager konfrontiert sahen, spielte bei ihrem Lebensstil eine Rolle, wenn auch nur eine unbedeutende: „Es ging viel tiefer. Er wollte ein guter Musiker werden und befand sich auf einer musikalischen Reise.“
Brian hatte der Gesellschaft von Cheltenham den Rücken zugekehrt – und umgekehrt. Doch die Geschehnisse wirkten sich auf seinen Werdegang als Musiker aus. In jenen Monaten, die er mit dem Üben auf der Höfner Archtop mit länglich-schmalen F-Löchern verbrachte, überflügelte er die meisten seiner Zeitgenossen bei Weitem.
Aller Wahrscheinlichkeit nach traf Brian John Keen am Montag, dem 18. April 1960, im Filbys, als dessen Gruppe in dem Keller spielte. Wie auch Dick war Keen einige Jahre älter als Brian. Erst kürzlich von der Handelsmarine zurückgekehrt, hatte er sich auf lokaler Ebene einen Namen gemacht, da er Bill Nile’s Delta Jazzmen weiter führte, während Bill den Wehrdienst ableistete. Der freundliche und selbstironische Keen – obwohl ihm in Cheltenham und der Londoner 100-Club-Szene der Ruf eines schwierigen Menschen voraus eilte – ist der wertvollste Zeitzeuge und Beobachter von Brians Frühphase. Er stammt aus einem ähnlichen gesellschaftlichen Hintergrund, und seine spätere zweite Karriere als Pädagogischer Psychologe erlaubt ihm einen wichtigen Einblick in die Interaktionen und die Dynamik von Rock ’n’ Roll-Bands. Keen mag wohl schon eine längere Zeit auf diesem Planeten verbracht und mehr erlebt haben, als sich die beiden zusammenschlossen, doch er beharrt darauf, dass „Brian uns um Längen voraus war. Er war musikalisch fähig und kompetent, unglaublich beeindruckend auf der Gitarre. Seine Akkordarbeit – die kapierten wir gar nicht! Meine Fähigkeiten lagen eindeutig unter Brians Niveau.“
Die beiden arbeiteten fast das ganze Jahr 1961 zusammen, wobei Keen im Kontrast zu Dick und Brians späterem Mitbewohner Graham Ride eine andere Seite des Gitarristen kennenlernte. Sie alle erlebten Brians Launen, doch bei Keen gab sich der 19-jährige seriöser. Natürlich kam der Spaß nie zu kurz – der beinahe schon telepathische Humor, den man in einer kleinen Band entwickelt, nicht zu vergessen die ständigen Eroberungsversuche –, doch was die Musik anbelangte, war Brian ernst und zielstrebig. „Er wusste genau, was er wollte. Er war ambitioniert und fühlte sich in Cheltenham wie ein Fisch auf dem Trockenen. Die geschäftliche Seite des Ganzen interessierte ihn nicht, und so übernahm ich die Verhandlungen. Brians Hauptinteresse lag in der Musik – und wenn es nicht gut genug klang, sagte er das unverhohlen. Obwohl er drei oder vier Jahre jünger war, übernahm er oftmals die Rolle des Bandleaders. Heute erkenne ich die Zusammenhänge, doch damals wurde mir das nicht klar.“
Keen, wie auch Graham Ride, war 1961 Brians engster Musikerkollege, obwohl er sich auch unabhängig bei anderen Auftritten sehen ließ und gegen Ende des Jahres Kontakte zu einem neuen Bekanntenkreis in Oxford knüpfte, der sich für Jazz interessierte und bei der Kampagne gegen nukleare Aufrüstung engagierte. In der Ära war Oxford für viele Teenager aus Cheltenham ein beliebtes Ziel. Mit einigen spontan ausgewählten Musikern und schon kurz darauf mit Graham Ride am Saxofon traten sie unter dem Namen John Keen’s Jazz Band oder Brian Jones Blues Band auf, abhängig davon, wer gerade den Gig an Land gezogen hatte. Ihre Setlist enthielt Klassiker wie den „Tin Roof Blues“, den „St. Louis March“, „Memphis Blues“ und „Careless Love“, alles Nummern, die beim Publikum im Filbys gut ankamen. Die Gruppe gastierte in kleinen Dorf-Pubs in der Region Cotswolds wie dem Royal George in Birdlip und dem Bear Pools in Stroud, bei Haus-Partys in Evesham oder sogar in Cheltenhams Barbecue. Für größere Auftritte wie zum Beispiel in der Stadthalle als Vorgruppe für Acker Bilk formierte Keen ein Sextett mit einem Banjo-Spieler, und Brian blieb zu Hause. „Banjos sind nicht mehr in“, meinte er zu Keen. „Eine Gruppe mit einem Banjo-Spieler hat keinen Swing.“
Brian langweilte die puristische Jazz-Bewegung schon lange. Stattdessen nahm er sich Freddie Green, den Gitarristen in Count Basies Band, zur Brust. „Hör dir den Typen mal an“, versuchte er Keen zu überzeugen, „wie seine Akkordarbeit die ganze Band zum Swingen bringt!“ Von Green inspiriert, setzte sich Brian intensiv mit den komplizierten Feinheiten des Gitarrenspiels in einer Bigband auseinander. „Er differenzierte nicht zwischen traditionellem Jazz, Mainstream Jazz, Modern Jazz und Blues“, erzählt Keen. „Er bediente sich aller Stile, wobei der Blues sich als sein Hauptinteresse herausstellte.“ Obwohl der Rock ’n’ Roll in den USA und in Großbritannien zu einer Selbstparodie verkommen war, zeigte sich Brian immer noch von Elvis, Little Richard und Chuck Berry begeistert und brachte darüber hinaus anderen Gitarristen Chuck-Berry-Licks bei. Er hörte auch die Musik von Charlie Christian, Benny Goodmans visionärem Gitarristen. „Damals gab es einen Wissensschatz, auf den man nicht zugreifen konnte“, führt Keen weiter aus. „Darüber stand nichts in Büchern. Wie hätten wir etwas darüber erfahren können? Doch Brian hatte die Finger einfach überall drin.“
Obwohl er sich häufig in Begleitung von Dick Hattrell oder John Keen zeigte, hatte Brian auch das Selbstvertrauen, bei einem Konzert in der Stadthalle oder in einem Club über den Schwimmbädern aufzutauchen. Dort überredete er ältere und erfahrenere Musiker, ihn auf die Bühne zu lassen. Nach einem Abend in der Stadthalle saß Bandleader Kenny Ball mit Brian zusammen und sprudelte beinahe über vor Lob: „Du bist so jung – wie hast du gelernt, so zu spielen?“ Keen, der an dem Abend ebenfalls anwesend war, saß da und unterbrach den Leader nicht. Er war vollkommen zufrieden damit, dass dessen Lob auch auf ihn abstrahlte. Ein ähnliches Ereignis ergab sich mit Alex Welshs Band in der St. Luke’s Hall, wo Brian während mehrerer Songs einen kräftigen und treibenden Rhythmus ablieferte, worauf ihm die älteren Musiker anerkennende Blicke zuwarfen. „Die wussten das zu schätzen“, meint Keen. „Ein so junger Bursche, und dann noch in der Provinz – die zeigten sich ganz offen verblüfft.“
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