"Dorthin!", schrie Kurt Farmoon und deutete Richtung Osten.
Dort waren die Hügel am nächsten. Wenn das große Feuerwerk losbrach, bedeuteten diese Anhöhen zumindest eine Möglichkeit, sich in Deckung zu legen.
Unerbittlich ging die Zeit dahin.
Minute um Minute.
Viel zu langsam näherten sie sich der Hügelkette.
Kurt schätzte die Entfernung auf ungefähr drei Kilometer.
Zu wenig, um einer Verstrahlung zu entgehen, erkannte der Fähnrich. Wahrscheinlich brauchten sie sogar noch etwas Glück, um dem zu erwartenden Regen aus Trümmerteilen zu entgehen.
"Ich kann nicht mehr!", rief ein Mann, der zur Besatzung des Vorpostens gehört hatte.
"Vorwärts!", rief Kurt. "Reißen Sie sich zusammen. Es geht um Ihr Leben!"
Der Mann strauchelte.
Zwei Gardisten blieben stehen, stellten ihn auf die Füße und versuchten dann mit ihm zusammen Anschluss zu halten.
Die Flüchtenden keuchten und versuchten, die letzten Kräfte zu mobilisieren. Jeder Meter, den sie zwischen sich und das unweigerlich ausbrechende Inferno legten, konnte über Leben und Tod entscheiden.
Für die durchtrainierten Gardisten war dieser Lauf kein Problem. Trotz der Belastungen und Strapazen, die bereits hinter ihnen lagen.
Für die ehemaligen Besatzungsmitglieder der SPECTRAL und die Männer und Frauen des Vorpostens galt das natürlich nicht. Sie mussten den letzten Rest ihrer Kraftreserven mobilisieren, um durchzuhalten.
Kurt blickte auf das Chronometer an seinem Handgelenk.
Wenn die 15 Minuten seit Aktivierung der Selbstzerstörungssequenz vorbei waren, mussten sie sich in Deckung legen gleichgültig, wie weit sie dann waren.
Eine Minute blieb noch bis zum großen Knall.
Sie erreichten gerade den Hügel. Der Hang war verhältnismäßig flach. Sie hetzten hinauf. Zeitweilig ging es nur auf allen Vieren vorwärts.
Kurt Farmoon blieb stehen, blickte zurück.
"Weiter!", rief er.
Die Gardisten halfen den befreiten Gefangenen, wo immer es möglich war. Letztere waren am Ende ihrer Kraft. Das war deutlich zu sehen.
Aber sie hatten es noch keineswegs geschafft. Noch lagen einige Höhenmeter vor ihnen. Wenn sie die Hügelkuppe hinter sich hatten, bedeutete das vielleicht einen notdürftigen Schutz vor umherfliegenden Trümmerteilen. Kurt packte einen der Befreiten, zog ihn ein Stück hinauf.
Die Sekunden verrannen.
Eine halbe Minute.
Zwanzig Sekunden.
Die ersten Gardisten hatten die Kuppe erreicht.
Zehn Sekunden.
"In Deckung gehen!", rief Kurt.
Das Inferno brach aus. Der Doppelkugelraumer barst in einer gewaltigen Explosion auseinander. Trümmerteile schnellten wie Geschosse durch die Luft. Bis weit über die Hügelkette hinweg wurden diese Teile geschleudert.
Die Gardisten hatten sich rechtzeitig in Deckung geworfen.
Einige der Befreiten waren allerdings noch auf den Beinen, versuchten doch noch die Hügelkuppe zu erreichen, um dahinter Deckung zu finden, anstatt sich einfach hinter den nächstbesten Felsbrocken zu werfen.
Schreie gellten.
Metallteile trafen mehrere der Flüchtenden und töteten sie. Getroffen sanken sie zu Boden und rutschten den zur Kuppe hin steiler werdenden Hang hinunter.
Allen anderen blieb nichts weiter übrig, als sich so dicht wie möglich an den Boden zu pressen und abzuwarten.
Abzuwarten, bis die Explosionshölle verlosch.
Überall schlugen Trümmerteile auf. Eine gewaltige Staubwolke wurde aufgewirbelt und machte es unmöglich, irgend etwas von dem zu sehen, was unten im Tal geschah.
Der großen Explosion folgten noch mehrere kleinere Detonationen.
Irgendwann war es endlich still.
Jetzt beginnt die Strahlenhölle, dachte Kurt bitter. Bei der Explosion des Raumschiffs mussten gewaltige Mengen harter, radioaktiver Strahlung freigeworden sein. Die Strahlung sieht man nicht. Man spürt sie auch nicht. Aber sie tötet trotzdem.
*
Seit Stunden lagen Jannis Karalaitis, Jay Rajav Singh und Ron Dales im periodischen Dauerfeuer der Kelradan und der sie unterstützenden Roboter.
Sie hatten ziemlich schnell herausbekommen, wo sich der Master Sergeant und seine beiden Begleiter versteckt hatten. Vermutlich hatte ein Blick auf die Geländekarte dazu ausgereicht. Die Anhöhe mit den Felsen auf der Kuppe war der beste Unterschlupf weit und breit. Selbst zu dritt konnten die Gardisten sie hervorragend verteidigen. Ron Dales hatte zunächst vorgeschlagen, weiter in den Wald zu fliehen, aber Karalaitis hatte das abgelehnt.
Schließlich rückte der entscheidende Moment immer näher, in dem der Kern der Operation begann.
Kurt Farmoons Rückkehr und der Angriff mit dem neuen Absetzer.
"Unsere Aufgabe ist es nunmal, möglichst viele Kräfte auf uns zu ziehen—und ich wüsste keinen Ort, von dem aus das besser möglich wäre, als diesen!", erklärte der Balte seine Vorgehensweise. "Außerdem wären wir in der Umgebung noch mehr oder minder nur Freiwild. Die zahlenmäßige Überlegenheit des Gegners ist mittlerweile dermaßen groß, dass wir gar keine Chance hätten, ihnen auf die Dauer zu entgehen! Da bieten wir ihnen doch besser hier einen blutigen Empfang!"
Ein anderer Faktor kam noch hinzu.
Sie mussten immer sparsamer mit ihr Munition sein.
Die Energiemagazine der Multikarabiner waren auf unter dreißig Prozent abgesackt.
Explosivgeschosse besaß inzwischen keiner mehr von ihnen.
Die einfachste Sparmaßnahme war dabei, möglichst gut zu treffen.
Die Gardisten hatten sich so zwischen den Felsen verschanzt, dass es jeden Angreifer äußerst schwierig war, sie zu treffen. Außerdem mussten die Gegner den teilweise recht steilen Hügel erst einmal hinaufkommen, was auch nicht ganz ohne war.
Gegenwärtig hielten sie sich noch zurück.
Mehrere Gleiter hatten in der Nähe Kämpfer und Roboter abgesetzt, die die Anhöhe eingekreist hatten.
Ein Entkommen gab es nicht.
Aber den Kelradan fehlte ganz offensichtlich der Mut, die Gardisten aus ihrer Stellung herauszuholen. Sie schienen genau zu wissen, welchen Preis sie dafür zu zahlen gehabt hätten.
Bislang waren die Anstrengungen der Kelradan recht erfolglos.
Selbst der Beschuss mit Gasgranaten waren ins Leere gegangen. Wie Karalaitis wusste, verströmten diese Granaten ein schnell wirkendes Nervengift, das in der Lage war, große Zahlen von Humanoiden innerhalb kürzester Zeit zu töten.
Es zersetzte sich allerdings ebenso schnell wieder, um die normalerweise nachrückenden eigenen Truppen nicht zu gefährden.
Für Karalaitis, Jay und Ron war es jedoch kein Problem gewesen, diesen Angriff zu überleben. Sie schlossen einfach ihre Helme und aktivierten die autarke Sauerstoffversorgung, bis das Gas verflogen war.
"Schweinehunde sind das", knurrte Karalaitis, kurz nachdem er sein Visier wieder geöffnet hatte. "Selbst im barbarischen zwanzigsten Jahrhundert waren Gasangriffe geächtet!"
Gegen Abend kam dann das codierte Signal, auf das sie alle so lange gewartet hatten.
Der Absetzer war zurückgekehrt und befand sich nun im Angriffsflug auf den Doppelkugelraumer.
Karalaitis drückte Kurt die Daumen.
Zweifellos hatte der frischgebackene Fähnrich mit seinen Leuten den mit Abstand heikelsten Job bei dieser Mission.
Es hing alles davon ab.
Wenn er scheiterte, flog die CALLISTO blindlings in ihr Verderben.
Das Gefecht wurde zunächst mit unverminderter Härte fortgesetzt.
Die Kelradan schickten vornehmlich ihre Roboter in das bergige Gelände, in dem sich die Gardisten verschanzt hatten. Keiner von ihnen schaffte es, die Kuppe zu erreichen. So geschickt sie auch vorgingen.
Zwischendurch erfolgten immer wieder Angriffe aus der Luft.
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