1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 »Nicole, glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?«, fragte ich sie neckend und Alex kicherte hinter mir. Auch sie hatte ein Tablett in der Hand, jedoch hatte sie zum Braten gegriffen und beäugte das Fleisch schon sehnsüchtig.
»Das würde Zeit sparen«, meinte Nicole sachlich und ich verschluckte mich an meiner Spucke, was den Lachanfall von Alexandra anheizte. Einige der Umstehenden sahen uns interessiert an, aber Alex lachte, ohne sich zu schämen, weiter. »Ich will mich einfach bei ihm bedanken, in Ordnung? Wer weiß, was die Hunde getan hätten, wenn er mir nicht geholfen hätte.« Sie hätten Nicole wahrscheinlich zu Tode gekuschelt, aber diese Bemerkung verkniff ich mir, weil sich in diesem Moment ein Mädchen vom Nebentisch erhob und Hunters Namen rief. Sie war rothaarig und war von kleiner Statur. Trotzdem hatte sie mit ihren grauen Augen eine Ausstrahlung, die sich mir bis heute ins Gedächtnis brannte, Mel. Die schmalen Lippen, die blasse Haut – ich hatte sie schon einmal gesehen. Sie hatte auf einem Thron gesessen, in dem sie fast versunken war, und in die Flammen gestarrt, die meinen Gemahl umgebracht hatten. Dass sie nicht dieselbe Frau sein konnte, war mir klar. Schließlich hatte diese Königin vor Jahrhunderten gelebt, doch sie sah ihr zum Verwechseln ähnlich und das allein reichte, um mir einen Schauer über den Rücken zu jagen.
»Setzt du dich zu uns? Deine Mutter möchte etwas mit dir besprechen«, säuselte das Mädchen und krallte ihre Finger in Hunters Hemd, der sich perplex mitziehen ließ. Er drehte seinen Kopf zu mir um, aber ich war zu beschäftigt damit, das Ebenbild einer Verstorbenen mit meinen Blicken zu Asche zu verbrennen, statt zurückzusehen. Sie betatschte und begrapschte Hunter von oben bis unten und hörte damit auch nicht auf, als sie sich zu zweit setzten.
»Wer ist die Schlampe?«, fragte Nicole geradeheraus, als wir bei Orion ankamen, der mürrisch von seinem Essen aufsah und eine grimmige Miene aufsetzte, als die Höllenhexe einen Stuhl zurückzog und sich setzte. Ich stellte das Tablett ab und ließ mich auf den Sessel neben ihr fallen.
»Darf ich fragen, was an ‚Alle halten sich von mir fern‘ so schwer zu verstehen war? Ich will meine Ruhe haben.« Netter Zeitgenosse. Vielleicht hatte Hunter doch recht und wir hätten uns besser auf den Boden setzen sollen. Ein Blick über meine Schulter ließ mich den Gedanken sofort wieder verwerfen. Die Rothaarige hatte eine Hand auf Hunters Oberschenkel gelegt und rieb leicht über den Stoff seiner Hose. Bevor ich mich in ihre Nähe setzte, ließ ich mich lieber von Orion beleidigen. Der Jäger senkte wieder den Kopf und aß weiter, als hätte er alles gesagt und wir würden Leine ziehen, aber Nicole hatte andere Pläne. Sie griff nach einer Gabel, stocherte in den grünen Blättern und stopfte sie sich in den Mund. Ihr Kauen war demonstrativ laut und sie schluckte unbekümmert, bevor sie Orion antwortete.
»Lass mich überlegen.« Nicole machte eine stilvolle Pause. »Alles. Beim Rest muss ich Angst haben, dass sie uns umbringen wollen und du hast schon bewiesen, dass du uns nicht tot sehen willst.« Orion legte mit einem Knall ein großes Messer auf den Tisch und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück.
»Ich will nicht, dass meine Hunde als Mörder missbraucht werden. Das ist ein Unterschied«, erklärte er und zog einen Mundwinkel gehässig nach oben, als er Alexandra nervös auf die Klinge starren sah. Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her und suchte unauffällig den Raum nach einem Ausgang ab, um im Ernstfall fliehen zu können.
»Schön. Wir verschwinden, wenn du uns sagst, was wir wissen wollen, großer, böser Wolf. Also, wer ist die Schlampe?« Obwohl Nicole versuchte, witzig zu sein, hörte ich den verletzten Unterton in ihrer Stimme und ihr Grinsen erreichte ihre Augen nicht, als sie sich über den Tisch lehnte und gespannt auf Orions Antwort wartete.
»Wir nennen sie Bloody Mary«, sagte er schließlich, als ihm klar wurde, dass Nicole nicht nachgeben und er erst wieder seinen Frieden bekommen würde, wenn er ihr Rede und Antwort stand. Trotzdem schien er es nicht für notwendig zu halten, ihr seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken und kaute weiter an seinem Steak, zu dem er eine Portion Fleischbällchen aß. Keine Nudeln, keine Kartoffeln, kein Reis. Als wären Beilagen für ihn ein Fremdwort.
»Bloody Mary? So wie der Cocktail und das Gespenst im Spiegel?«, hakte ich nach und erinnerte mich an die Geschichten, die mir erzählt wurden, als meine Klasse vom Sommercamp wiederkam, auf das ich nicht mitfahren durfte. Irgendwer hatte den Hokuspokus verbreitet, dass eine Mörderin im Badezimmerspiegel erscheinen würde, wenn man dreimal ihren Namen rief. Daraus entwickelte sich schnell eine Mutprobe, die viele zum Heulen brachte und für schlaflose Nächte sorgte. Im Nachhinein war die gruselige Geschichte nicht mehr als lustig gewesen.
»Eher Letzteres und das auch nicht wirklich. Sie hat sich nach Maria der Ersten benannt, weil sie ihr mit den roten Haaren und dem hässlichen Gesicht ähnlich sieht. Angeblich ist sie mit ihr verwandt. Darauf bildet sie sich etwas ein, weil es heißt, dass die Königin die erste Jägerin war.«
Toll, Mel. Damit hatten wir noch eine, die sich für eine Herrscherin hielt, obwohl sie keine war und eine Besessenheit für Hunter hatte. Warum wollten alle regieren? Für mich hatte der Gedanke etwas Abschreckendes, für eine Bevölkerungsgruppe verantwortlich zu sein.
»Ich dachte, die Jäger stammen von Jagdhunden ab«, warf Jeremy mit vollem Mund ein und kassierte von Nicole einen angewiderten Blick. Dem Schmatzen nach zu urteilen, schmeckte es meinen Freunden, weshalb ich die zweite Salatschüssel von Nicoles Tablett nahm und zur Gabel griff. Ich unterdrückte ein Stöhnen, als das kühle Dressing auf meine Geschmacksnerven traf und ich zu kauen begann. Es schmeckte gut. Vielleicht nicht außergewöhnlich, aber nach der Pampe, die Nathalia mir vorgesetzt hatte, war es himmlisch.
»Warum wundert es mich nicht, dass ein Hexer das glaubt?«, schnaubte Orion und sah auf, als einer seiner Hunde bellte. Der größte von ihnen war aufgesprungen, weil jemandem eine Kartoffel vom Teller gerutscht und sie vor seiner Schnauze gelandet war. Das hatte ihn geweckt und er wollte, dass alle seinen Unmut mitbekamen, den er durch ein Knurren signalisierte. Orion schätzte die Situation ab, entschied aber, dass er nicht eingreifen musste, solange niemand auf die Idee kam, die Kartoffel zu holen. »Die offizielle Geschichte ist, dass Maria das Ungleichgewicht zwischen den Protestanten und der katholischen Kirche ausnutzte, um so viele Hexen wie möglich zu töten, nachdem ihre Halbschwester Elisabeth gebrandmarkt wurde. Maria war der Meinung, dass Elisabeth ein Monster war, weil sie sich selbst dafür hasste, eine Hexe zu sein und Angst hatte, sich fortzupflanzen, weil sie den Fluch nicht weitergeben wollte. Als Elisabeth sich mit ihrem Schicksal abfand und gerne eine Hexe war, hat sie sich mit Maria Stuart verbündet, die Elisabeth vom Thron stürzen wollte, um die Welt aus den Fängen der magischen Missgeburten zu befreien.«
Nicole gab einen Laut der Empörung von sich und ließ eingeschnappt ihre Gabel fallen.
»Ihre Worte, nicht meine«, murmelte Orion und griff nach dem Krug, der auf dem Tisch stand, um Wasser in ein Glas einzuschenken, das er vor Nicole abstellte und sie auffordernd ansah. Es sollte eine Entschuldigung darstellen, auch wenn er es nicht sagte, aber das wäre gar nicht notwendig gewesen. Alles in seinem Gesicht zeigte, dass er Nicole auf keinen Fall für eine Missgeburt hielt. »Aber wie wir alle wissen, wurde Maria Stuart hingerichtet, weil sie ihren Hass zu offen gezeigt hatte und ihr Enkel übernahm den Thron, der im Gegensatz zu seiner Großmutter geschickter seine Absichten verschleierte und andere Jäger konsultierte, um im Geheimen Jagd nach den Hexen zu machen.«
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