„Tasha!“
„Ist schon in Ordnung, Doreen. Vielleicht war es einfach keine gute Idee, dich damit hineinzuziehen. Und jetzt stellst du am besten erstmal das Wasser ab, sonst gibt’s noch eine Überschwemmung!“
Doreen verschwand im Bad.
Tasha löste den Gürtel des Kimonos.
In diesem Augenblick flog die Tür des Apartments zur Seite. Ein Mann in dunkler Lederjacke stürzte herein. Er hielt eine Automatik mit beiden Händen. Ein Schalldämpfer war auf die Waffe aufgeschraubt, deren Mündung in Tashas Richtung zeigte.
Die junge Frau stand wie erstarrt da.
Mit einem Absatz-Kick schloss der Eindringling die Tür und machte anschließend einen Schritt nach vorn.
Das Prasseln des Duschwassers war inzwischen verstummt.
Doreen kam aus dem Bad.
Der Eindringling war für einen kurzen Moment abgelenkt. Er reagierte auf die Bewegung und feuerte. Doreen bekam einen Schuss in den Bauch, der sie wie ein Taschenmesser zusammenklappen ließ.
Diese Sekunde nutzte Tasha. Sie griff zu dem Revolver in der Sporttasche, riss ihn hervor und schoss immer wieder. Die erste Kugel traf den Killer in die Schulter und riss ihn herum. Ein zweiter Schuss pfiff über ihn hinweg, der dritte ging in den Oberschenkel.
Der Mann taumelte rückwärts gegen die Tür, riss seine Waffe hoch, kam aber nicht mehr zum Schuss, denn Tashas vierte und fünfte Kugel durchdrangen seinen Oberkörper. Er rutschte an der Wand hinunter und zog dabei eine blutige Schmierspur hinter sich her.
Regungslos und mit starren, toten Augen blieb er dort sitzen, während Tasha der Puls zum Hals schlug.
Die Dämmerung setzte bereits ein als wir die Cumberland Road in Hoboken erreichten. Fantasielos wirkende, quaderförmige Wohnblocks reihten sich hier aneinander. Immerhin hatte man hier bei gutem Wetter in den oberen Stockwerken eine Aussicht, die bis auf die andere Seite des Hudson River reichte. Ansonsten hatten die Wohnungen hier vor allem den Vorteil, dass sie preiswert waren.
Doreen Stafford wohnte in einem Block, der die Hausnummer 45 trug, wie wir mit Hilfe unseres Kollegen Dave Ontario von der Scientific Research Division herausgefunden hatten. Wir hatten ihn telefonisch kontaktiert und es war für ihn eine Kleinigkeit gewesen, die telefonischen Verbindungsdaten abzurufen. Der Anschluss gehörte zu einer Wohnung im zwölften Stock dieses Blocks und war auf eine gewisse Doreen Stafford eingetragen.
Das musste Tasha Graths mysteriöse Freundin sein.
Etwas erstaunt waren wir, als wir Dutzende von Einsatzfahrzeugen sahen, die rund um den Eingangsbereich des Gebäudes herum geparkt waren. Polizeiwagen waren dort ebenso zu finden wie ein Wagen des Coroners sowie verschiedene Zivilfahrzeuge.
„Da muss irgend etwas passiert sein, Jesse!“, lautete Milos Schluss, dem ich mich nur anschließen konnte.
Ich fand schließlich eine der wenigen Lücken in der langen Reihe der parkenden Fahrzeuge, die am Straßenrand abgestellt waren und stellte den Sportwagen dort ab.
„Glaubst du an Zufälle?“, fragte ich.
„Bei dieser Sache nicht mehr“, gab Milo zurück. „Ich fürchte, diesmal kommen wir zu spät.“
„Wollen wir hoffen, dass deine prophetische Gabe dich diesmal im Stich lässt!“
Wenig später erreichten wir den Eingangsbereich. Ein Officer des Hoboken Police Departement ließ uns durch und klärte uns in knappen Worten über die Sachlage auf. Danach war die Polizei auf Grund einer Schießerei gerufen worden, der eine junge Frau und ein Mann zum Opfer gefallen waren.
Wir gelangten schließlich in den vierten Stock. Der Tatort war gar nicht zu verfehlen. Überall waren uniformierte Cops, die Schaulustige vom eigentlichen Tatortbereich abhielten und Zeugen befragen.
Ein rothaariger Mann in den Vierzigern leitete den Einsatz. Er stand an der Tür zu Doreen Staffords Apartment.
„Lieutenant Lester Jessup, Homicide Squad“, stellte er sich uns gegenüber vor. Jessup deutete auf den FBI-Ausweis, den ich ihm entgegenhielt und meinte: „Ich wusste nicht, dass Sie schon jemand gerufen hätte.“
„Scheint so, als hätte uns unser eigener Spürsinn hier her geführt, Lieutenant“, erwiderte ich. „Hier wohnt doch eine gewisse Doreen Stafford.“
„Wohnte“, korrigierte mich der Lieutenant. „Sie ist erschossen worden von einem Kerl, der die Tür eingetreten hat und mit einer Automatik in der Faust hereingestürmt sein muss. Nachdem er die junge Frau getötet hat, ist er selbst niedergestreckt worden.“
„Dann war noch jemand in der Wohnung?“, mischte sich Milo ins Gespräch ein.
Lieutenant Jessup nickte.
„Dem Schuhabdruck nach, den diese Person hinterlassen hat, handelte es sich um eine Frau.“
„Ich denke, wir können Ihnen sogar den Namen der Täterin verraten“, meinte ich. „Sie heißt Tasha Grath und wird im Zusammenhang mit den Morden an Brandon Carter und Jack Fabiano gesucht.“
„Wissen Sie was über die Identität des Killers?“, hakte Milo nach.
Lieutenant Jessup schüttelte entschieden den Kopf. „Er trug keine Papiere bei sich. Wir nehmen Fingerabdrücke und versuchen es mit einem Abgleich.“
Jessup führte uns in die Wohnung.
Ein Gerichtsmediziner kümmerte sich gerade um die Leiche von Doreen Stafford.
Der tote Killer lag bereits in seinem Leichensack.
Eine dunkelhaarige Kollegin von der Homicide Squad zeigte uns die Fotos der Leiche im Display ihrer Digitalkamera.
„Reicht das oder müssen wir den Leichensack noch mal öffnen?“ fragte sie an Milo und mich gewandt.
„Haben Sie kein Sofortbild?“, erkundigte ich mich.
„Leider nein. Aber ich kann Ihnen die Bilder per E-Mail auf Ihren Dienstrechner schicken, sobald ich wieder im Büro bin.“
„Gerne, Miss...“
„Ich bin Sergeant Carey.“
Ein Kollege vom Erkennungsdienst kam aus dem Bad heraus. „Hier bin ich jetzt auch fertig“, meinte er.
Es war schon spät, als wir wieder das Bundesgebäude an der Federal Plaza erreichten. Die meisten Kollegen hatten längst Feierabend gemacht. Nur in Mister McKees Büro brannte noch Licht. Seit unser Chef seine gesamte Familie durch ein Verbrechen verloren hatte, hatte er sich zu hundert Prozent dem Kampf gegen die Kriminalität gewidmet. Morgens war er in der Regel der erste von uns allen, der in seinem Büro saß und häufig genug war er bis spät in die Nacht noch tätig.
Milo und ich schauten bei ihm vorbei, um ihm einen kurzen, zusammenfassenden Bericht zu geben.
„Die Fingerabdrücke und das Suchergebnis der Computerabfrage sowie die Tatortfotos schicken uns die Kollegen aus Hoboken noch auf den Rechner“, meinte ich. „Ich werde gleich mal nachschauen, ob die Daten schon angekommen sind.“
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