„Donegal sagt, es bleibt so, wie es ist. Er muß es Wissen, denn vor einem Umschwung meldet sich stets sein Beinstumpf.“
„Am besten fragen wir ihn noch mal, wenn er zurückkommt. Vielleicht zieht doch ein Sturm herauf.“
„Malst du jetzt den Teufel an die Wand?“
„Nein, das liegt nicht in meiner Art“, erwiderte Ramsgate und grinste. „Ich denke immer nur an das Positive. Aber, übrigens – Donegal ist auch schon überfällig, nicht wahr?“
„Hoffen wir, daß er bald einläuft“, sagte von Hutten, dann ließ er wieder seinen Blick schweifen.
Die Aktivitäten auf der Schlangen-Insel brachen nicht mehr ab, ständig herrschte rege Betriebsamkeit. Zwischen den Schiffen und dem Ufer glitten die Jollen hin und her, die Schiffe wurden fix und fertig ausgerüstet. Es herrschte ständige Alarm- und Gefechtsbereitschaft – seit der Täuberich Dragan am 10. Juli Arnes Hiobsbotschaft aus Havanna gebracht hatte, daß die Position der Insel von der Black Queen an den Gouverneur Don Antonio de Quintanilla verraten worden wäre.
Ferner war am 13. Juli der Täuberich Omar mit Arnes Nachricht gefolgt, daß Don Juan flüchtig sei und von den Schergen des Gouverneurs wegen Mordes an einer Dame der Gesellschaft gesucht würde. Seitdem wartete der Bund der Korsaren auf neue Botschaften von Arne von Manteuffel, und die Spannung wuchs von Tag zu Tag.
Von Old Donegal Daniel O’Flynn, der noch am 10. Juni nach dem Eintreffen der Brieftaube Dragan mit der „Empress of Sea II.“ nach Westen zur Aufklärung in See gegangen war, hatte man in der Zwischenzeit nichts mehr gehört. Ramsgates Bedenken bezüglich der „Wettervorhersage“ des Alten mochten daher begründet sein, denn nunmehr waren immerhin neun Tage vergangen.
Am späten Vormittag gab es endlich aber doch wieder Neuigkeiten. Karl von Hutten sah die Brieftaube, die sich der Insel näherte, in dem Augenblick, in dem auch einer der Posten ihr Auftauchen meldete. Von Hutten hatte sich ein Spektiv besorgt und verfolgte den Anflug des Tieres.
Kurze Zeit darauf senkte sich der Täuberich Achmed in langgezogenen, kreisförmigen Bahnen auf die Insel und fiel in seinen Schlag ein. Das Glöckchen geriet in Bewegung, Achmeds „Gattin“ Fatima begann in dem Nebenschlag zu flattern und aufgeregt auf und ab zu hüpfen. Dann erschien Gotlinde und erleichterte Achmed um die neue Botschaft, die wie üblich von Jussuf in Havanna unter den Schwanzfedern befestigt worden war.
Am Strand der Bucht versammelten sich alle um Karl von Hutten, der die Nachricht auseinanderrollte und verlas: „6 Kriegsgaleonen, 4 Kriegskaravellen 18. 7. 17.00 Uhr Kurs Osten ausgelaufen. An Bord von Flaggschiff Gouverneur. Verfolge Verband mit Don Juan und Schebecke, um bereits zuzuschlagen – Arne.“
„Großartig“, sagte Hasard mit grimmigem Gesicht. „Jetzt wissen wir es endlich. Die Unsicherheit und das Warten sind vorbei. Kurs Osten – das bedeutet Ziel Schlangen-Insel. Freunde, der Bund der Korsaren tritt sofort zur Beratung zusammen.“
„Eins ist mir nicht ganz klar“, sagte der Wikinger, als er sich mit Hasard, Siri-Tong, Jean Ribault, Jerry Reeves und Arkana auf dem Ratsfelsen eingefunden hatte. „Was hat diese Bemerkung zu bedeuten, daß Arne mit Don Juan die Verfolgung aufgenommen hat, um schon mal zuzuschlagen?“
„Eben das, was sie aussagt“, erwiderte Hasard trocken. „Sie folgen dem Verband als Fühlungshalter.“
„Aber – wenn dem so ist, da muß es Arne ja gelungen sein, Don Juan auf die Seite des Bundes zu ziehen“, sagte Ribault. „Donnerwetter, das ist ein tolles Stück! Aber Arne hat schon lange geplant, den guten Don Juan auf unsere Seite zu bringen.“
„Es muß ihn einiges gekostet haben“, sagte der Seewolf. „Don Juan kann nicht leicht zu überreden gewesen sein. Aber es müssen die jüngsten Ereignisse in Havanna gewesen sein, die ihn davon überzeugt haben, daß er bislang auf der falschen Seite gekämpft hat.“
„Eine positive Nachricht“, meinte Siri-Tong. „Sie besagt aber nicht nur, daß Don Juan de Alcazar künftig nicht mehr als Gegner zu betrachten ist, sondern vor allen Dingen, daß er und Arne offenbar auch gewillt sind, dem Kampfverband der Dons von Anfang an Schaden zuzufügen.“
„Recht so!“ stieß Thorfin Njal hervor. „Und da Arne und Don Juan harte und erprobte Kämpfer sind und über die schnelle und kampfkräftige Schebecke verfügen, steht zu erwarten, daß sie dem Verband ziemlich zusetzen werden. Richtig?“
„Richtig“, erwiderte die Rote Korsarin lachend. „Oder besser – wir wollen es hoffen und den beiden die Daumen drücken.“
„Dennoch besteht bei uns kein Grund zum Frohlocken“, sagte Hasard. „Denn zehn Kriegsschiffe als Gegner sind ein ziemlich harter Brocken. Das wissen wir alle, und es ist auch klar, daß wir den Feind auf keinen Fall unterschätzen dürfen.“
„Es wird hart auf hart gehen, und wir werden viel Glück brauchen.“
Der Wikinger hob die geballte Rechte. „Wetzt die Messer! Schärft die Spitzen! Bei Odin, es wäre doch gelacht, wenn wir diesen Verband nicht zerschlagen und den Dons ein Höllenfeuerchen unter ihren Hintern entfachen würden! Wir laufen mit allen Schiffen aus und segeln ihnen mit voller Formation entgegen.“
Hasard schüttelte den Kopf. „Nein, ausgeschlossen“, sagte er.
Der Wikinger blickte ihn aus geweiteten Augen und mit geöffnetem Mund an. Langsam sank seine Faust nach unten. Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
„Was? Wie – wie meinst du das?“ stammelte er verwirrt. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“
Hasards Mund verzog sich zu einem halb spöttischen, halb amüsierten Grinsen. „Das hoffe ich nicht. Aber wir können auf keinen Fall mit allen Schiffen auslaufen, das muß auch dir einleuchten. Ein Schiff muß hierbleiben.“
„Aber – die Insel ist durch ihre Befestigungsanlagen und Kanonen ausreichend gesichert!“ begehrte der Nordmann mit dröhnender Stimme auf.
„Es gibt noch einen anderen wichtigen Grund, mindestens ein Schiff hier zurückzulassen“, sagte der Seewolf ruhig.
„Ja, das sehe auch ich ein“, sagte Siri-Tong.
„Ich aber nicht!“ stieß Thorfin Njal trotzig hervor. Mit beiden Händen griff er sich an den Kupferhelm, als wolle er ihn zurechtrücken. „Wir sind den Dons ohnehin zahlenmäßig unterlegen! In dieser Lage auch noch ein Schiff abzuziehen, das ist – das … Hölle und Donnerwetter, das will mir nicht in den Kopf!“
Die Rote Korsarin legte ihm mit einer beschwichtigenden Geste die Hand auf den Unterarm. „Denk doch mal genau nach, Thorfin. Hasard hat völlig recht. Nehmen wir einmal an, dem Gegner gelingt es, den Bund der Korsaren zu zerschlagen.“
„Niemals! Lieber versenke ich mein eigenes Schiff, als daß ich das zulasse!“
„Du sollst ja auch nur rein theoretisch daran denken“, sagte sie.
„Theo … was? Nein, ich will’s nicht wahrhaben“, brummte er störrisch.
„Das ist eben dein Fehler“, sagte Hasard beharrlich. „Man muß jeden Eventualfall in Betracht ziehen, um gerüstet zu sein. Hört gut zu: Wenn wir unterliegen, dann muß hier wenigstens ein Schiff zur Stelle sein, um die Überlebenden samt einem Teil der in den Höhlen gehorteten Schatzbeute evakuieren zu können.“ Er beugte sich etwas vor und fixierte den Wikinger. „Oder was soll deiner Meinung nach mit unseren Freunden geschehen, wenn die Dons landen?“
„Die Insel räumen“, murmelte Thorfin, „alles aufgeben? Nein. Das überleb’ ich nicht. Sleipnir soll mich zertrampeln, Geri und Freki sollen mich zerreißen und Hugin und Munin mir die Augen auspicken – nur das nicht!“
„Nun mach’s doch nicht so dramatisch“, sagte Siri-Tong. „Wir dürfen einfach nicht riskieren, daß die Schlangen-Insel im Sturm genommen wird und dabei alle drauf gehen. Das ist genau der Punkt. Folglich lassen wir ein Schiff hier zurück, Punktum und basta!“
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