Die Nase wurde noch spitzer, die Augen traten etwas aus ihren Höhlen, und der ehrenwerte Don Ruiz begann am ganzen Körper zu zittern.
„Das – das kann nicht Ihr Ernst sein, Señor de Manteuffel“, murmelte er bestürzt.
„Es ist mein voller Ernst. Ich habe es unter Zeugen gesagt. Ich lasse mir nicht unterstellen, einen Frauenmörder zu verbergen, zumal Sie sich bereits dreimal erfolglos davon überzeugen konnten. Ein viertes Mal lasse ich nicht ungestraft durchgehen. Und nun wählen Sie! Durchsuchen Sie weiter, und sagen Sie mir, für welche Blankwaffe Sie sich entschieden haben.“
Im Grunde war Don Ruiz de Retortilla ein feiger Mann, der seinen Mangel an Mut hinter herrischem Gehabe und forschem Auftreten verbarg. Im Schutz seiner Soldaten fühlte er sich sicher, aber aus einem Ehrenhändel würden sie sich heraushalten, der ging sie nichts an und war Sache der beiden Kontrahenten.
Sekundenlang sah er Arne an, musterte die riesige kraftvolle Gestalt, die nur aus Muskeln und Sehnen bestand, und verglich sie insgeheim mit seiner Statur.
Da blieb nicht mehr viel übrig. Gegen den Deutschen war er ein kümmerliches Männchen, ein Zwerg ohne jede Chance. Das war etwa so, als wollte eine lahme Hauskatze gegen einen wilden Löwen kämpfen.
Nein, ein Duell würde er nicht überleben. Fast fühlte er, wie sich die Degenspitze in seinen Körper bohrte.
„Nun, haben Sie sich entschieden?“ fragte Arne. Er trat höflich zur Seite und wies mit der Hand einladend in den Innenhof. Auch Jörgen Bruhn trat lächelnd zur Seite.
Die Soldaten standen immer noch wie Marionetten herum. Sie warteten auf Befehle ihres entschlußlosen Vorgesetzten, aber der gab keine. Er hatte Angst und wollte sich jetzt wenigstens noch einen Abgang verschaffen, bei dem er nicht das Gesicht verlor.
„Ich würde dem Duell selbstverständlich nicht ausweichen“, sagte er mit gespielter Lässigkeit, „andererseits muß ich zugeben, daß Sie mir nicht der Mann zu sein scheinen, der feige Frauenmörder verbirgt. Da Sie hier gut angesehen sind, werde ich auf die vierte Durchsuchung ausnahmsweise verzichten. Ich verstehe, daß Sie sich gekränkt fühlen. Wir wollen es ja schließlich auch nicht mit dem Gouverneur verderben. Sie entschuldigen dann wohl die Störung, Señor de Manteuffel.“
Arne ließ ihm diesen Abgang. Er kannte die Gedanken, die hinter der Stirn des Geiergesichtigen abliefen. In dem verkniffenen Gesicht war nackte Angst zu lesen, erbärmliche Angst, daß er gefordert worden war.
„Richten Sie ihm meinen verbindlichen Gruß aus“, sagte Arne. „Ich verstehe Ihre Probleme, Señor de Retortilla, und ich bin sicher, daß Sie den feigen Mörder bald fangen werden.“
In dem fahl wirkenden Gesicht zuckte es wieder. Die Augen flackerten, der Mund öffnete sich etwas.
„Gute Nacht“, sagte der Kommandant beherrscht. Das kaum merkliche Zittern in seiner Stimme hörte nur Arne heraus.
„Gute Nacht, Señores“, sagte Arne.
Das Tor schloß sich, und jetzt hatte de Retortilla wieder sein starkes Hemd an, denn er stauchte seine sechs Soldaten zusammen und scheuchte sie mit harten Worten weiter.
Arne und Jörgen sahen sich grinsend an.
„Er hatte fast die Hosen voll“, sagte Jörgen schadenfroh. „Die Sache mit dem Duell hat ihm die Stiefel ausgezogen. Der Mann hatte furchtbare Angst.“
„Hatte er auch, denn er ist von Natur aus ein Feigling. Er wollte nur noch einen guten Abgang, mehr nicht.“
„Den hatte er nur scheinbar, denn das haben ihm selbst die Soldaten nicht abgenommen. Und daß Don Juan eine Frau ermordet hat, wird in ganz Havanna kaum ein Mensch glauben.“
Als sie wieder zurückkehrten, grinste auch der Türke, denn er hatte vom Fenster aus alles beobachtet und auch gehört.
„Sehr gut“, sagte er zufrieden. „Der ehrenwerte Señor hat einem der Soldaten mit dem Stiefel in den Hintern getreten, weil der nicht stramm stand. Er mußte wohl seine Wut loswerden.“
„Das ist typisch für ihn“, sagte Arne lachend. „Aber jetzt werden wir eine Nachricht an die Schlangen-Insel abfassen und sie losschicken, damit der Bund der Korsaren über alles informiert ist. Kannst du nachher noch eine Taube auflassen, Jussuf?“
„Einen Täuberich“, sagte der Türke strahlend. „Diesmal ist Omar an der Reihe. Seine Gattin Suleika wird sich freuen, wenn er einfliegt.“
„Wann wird Omar ungefähr dort sein?“
„Morgen vormittag etwa.“
„Sehr gut, dann fassen wir die Nachricht ab. Ich werde sie dir diktieren, Jörgen. Es ist äußerst wichtig, daß der Bund der Korsaren informiert wird, denn seit der letzten Nachricht hat sich einiges in und um Havanna getan.“
Arne faßte die Mitteilung kurz und bündig, aber doch so informativ ab, daß der Bund der Korsaren über alles unterrichtet wurde. Es waren nur die wichtigsten Mitteilungen über die Black Queen, Caligula, Don Juan und den bevorstehenden Angriff auf die Schlangen-Insel.
Als Jörgen mit dem Schreiben fertig war, gingen sie hinüber in den Taubenverschlag, wo Jussufs Lieblinge eng beieinanderhockten.
Dann wurde die Brieftaube Omar mit der Nachricht versehen, nochmals überprüft und aufgelassen.
Der Täuberich stieg schnell auf, zog eine Orientierungsschleife über der Faktorei und „ging auf Kurs“. Gleich darauf war er ihren Blicken entschwunden.
Arne von Manteuffel sah dem Täuberich nach und lächelte.
„Der versteht von Navigation mehr als alle Seeleute zusammen“, sagte er. „Schnell und absolut zielsicher, ohne sich zu verirren.“
„Es ist die Sehnsucht nach seiner Geliebten, die ihn treibt“, sagte der Türke versonnen. „Er denkt nur an seine Suleika. Das ist noch die wahre Liebe“, fügte er seufzend hinzu.
Arne und Jörgen grinsten verständnisvoll. Jussuf war in seine Täubchen regelrecht vernarrt. Er umhegte und versorgte sie wie ein zärtlicher Vater seine Kinder.
Und doch war sein Steckenpferd unersetzlich geworden. Ohne Jussufs Brieftauben hätte es für den Bund der Korsaren schlecht ausgesehen. Sie waren lebenswichtig.
De Retortilla war in dieser Nacht wütend und enttäuscht. Er hatte durch den Deutschen eine Demütigung erfahren, die er hinnehmen mußte, ohne sich dagegen wehren zu können. Zudem saß er jetzt zwischen zwei Stühlen, denn mit dem Gouverneur war erst recht nicht mehr zu spaßen. Der hatte eiskalt angedroht, ihn über die Klinge springen zu lassen, wenn es ihm nicht gelänge, Don Juan lebend oder tot beizubringen.
Das Gaunerstückchen, das sich der feiste Gouverneur ausgedacht hatte, nämlich die Frau umzubringen, um Don Juan die Schuld in die Schuhe zu schieben, hatte de Retortilla verpatzt, als Don Juan überraschend die Flucht gelungen war. Das hatte sein Ansehen beim Gouverneur erheblich gemindert.
Es ging also darum, Don Juan so schnell wie möglich einzufangen. Alles andere war zweitrangig geworden. Dazu war de Retortilla jedes Mittel recht.
Die Hitze, die in dieser Nacht über Havanna lag, drückte ihn außerdem und ließ ihm den Schweiß über das Gesicht rinnen. Diese Schwüle trug ebenfalls nicht zu seiner Stimmung bei, und so ließ er seinen Ärger an den Soldaten aus, die er immer wieder anschnauzte und herumkommandierte.
Der Trupp bog jetzt in die Calle habañero ein, ein schmutziges Gäßchen mit zahlreichen Pinten, in denen sich die Seeleute vergnügten. Aus den Kneipen klang Musik, das Grölen Betrunkener und das Gekicher der liederlichen Frauenzimmer, die sich bei Wein und Rum vergnügten.
Auch diese Kneipen waren bereits ein paarmal durchsucht worden, und die Zecher hatten nicht gerade gute Laune, wenn sie die Soldaten sahen, die rüde, hart und rücksichtslos vorgingen. Das lag hauptsächlich an der Belohnung von hundert Goldtalern, die der Gouverneur auf den Kopf Don Juans ausgesetzt hatte – tot oder lebendig. Verständlicherweise wollte sich jetzt jeder eine goldene Nase verdienen, und da taten sich die Soldaten ganz besonders hervor.
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