Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-477-7
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Gegen Mittag entwickelte der handige Nordwest bösartige Schärfe.
Wolkenbänke schoben sich über die Kimm, die See wurde fast schwarz. Philip Hasard Killigrew betrachtete die langen weißen Schaumstreifen und zog die Brauen zusammen, bis sie nur noch von einer steilen Falte über der Nasenwurzel getrennt wurden.
„Das kommt ja ganz schön dick, was?“ fragte Ben Brighton, der Bootsmann und erste Offizier der „Isabella“.
„Noch dicker“, brummte Hasard. Der Wind zerrte an seinem schwarzen Haar und ließ Luvwanten und Pardunen wie zu straff gespannte Saiten vibrieren. Die ranke Galeone mit den überlangen Masten segelte raumschots durch den Kanal, auf dem Weg von Plymouth zur Themse-Mündung. Länger als ein halbes Jahrzehnt waren die Seewölfe nicht mehr in ihrer Heimat gewesen. Jetzt hatten sie endlich wieder Merry Old England erreicht, hatten die „Bloody Mary“ in Plymouth auseinandergenommen und die Perücke des dicken Nathaniel Plymson schwimmen lassen – und auch schon gemerkt, daß die Schätze der „Isabella“, die Ausbeute ihrer tollkühnen Raids rund um die Welt, geradezu magisch Galgenvögel, Halsabschneider und alles mögliche Gesindel anzog.
„Gei auf Marssegel! Fier weg Großsegel und Blinde!“
Hasards Stimme übertönte mühelos das Orgeln des Sturms. Zu viele Segel würden sie jetzt nur in Schwierigkeiten bringen, falls der Wind umsprang. Pete Ballie stand am Ruder, die ankerklüsengroßen Fäuste um die Speichen des Rads gelegt, und hielt eisern Kurs. Auf der Kuhl lüftete Ed Carberry seine Decksmannen an und drohte, ihnen eigenhändig die Haut in Streifen von einem gewissen edlen Körperteil zu ziehen. Aber das tat er immer. Solange der Profos fluchte, Old O’Flynn Geister sah und der Schiffszimmermann den baldigen Untergang wegen der Bohrwürmer prophezeite, war auf der „Isabella VIII.“ die Welt in Ordnung.
Philip und Hasard, die siebenjährigen Zwillinge, kauerten einträchtig neben dem Kombüsenschott und teilten sich die Reste einer Kokosnuß mit dem Schimpansen Arwenack.
Mit dieser Koskosnuß hatte es eine besondere Bewandtnis: sie war nämlich nicht einfach aufgeschlagen worden, sondern sozusagen als Kriegswaffe zu Bruch gegangen. Als die wilde Horde des Banditenführers Patrick „Red Fox“ Killarney über die „Isabella“ hergefallen war, hatten sich auch die beiden Jungen ein bißchen an dem Kampf beteiligt. Ihr Großvater, der alte O’Flynn, hatte ihnen vorher erklärt, daß gleich die Fetzen fliegen würden und sie sich gefälligst gefechtsmäßig zu benehmen hätten. Womit er meinte, daß sie unter Deck bleiben und nicht einmal eine Nasenspitze zeigen sollten. Und hinterher war dann beim besten Willen nicht mehr herauszufinden gewesen, ob Philip und Hasard das absichtlich mißverstanden oder ob die Erwachsenen sich tatsächlich so unklar ausgedrückt hatten.
Die Zwillinge jedenfalls legten das „gefechtsmäßige Benehmen“ so aus, daß sie sich mit einem Haufen von Kokosnüssen ausrüsteten und die Dinger durch das Kombüsenschott den Feinden an die Köpfe warfen.
Den Köpfen war das gar nicht gut bekommen. Einigen Kokosnüssen auch nicht. Die letzten Bruchstücke verhalfen eben jetzt den Zwillingen und dem Schimpansen zu einem Festmahl, und sie fanden gerade noch Zeit, die Schalen außenbords zu feuern, bevor Big Old Shane sie mit seiner Donnerstimme unter Deck scheuchte.
Der Seewolf ließ Manntaue spannen und die Luken verschalken.
Auch unter Fock und Besan lief die „Isabella“ jetzt eine Höllenfahrt. Der Nordwest wurde böig, so richtig biestig, überkommende Seen gurgelten über das Backbordschanzkleid, klatschten auf die Kuhl und liefen brodelnd und zischend durch die Speigatten ab. Dan O’Flynn hangelte sich über den Niedergang zum Achterkastell hoch und blieb keuchend neben Hasard und Ben Brighton stehen.
„Wäre vielleicht besser, uns in eine geschützte Bucht zu verholen!“ schrie der junge Mann über das immer heftigere Toben der Elemente hinweg.
„Ganz meine Meinung. Backbord voraus müßte jetzt jeden Moment das Hatchet-Cliff auftauchen. In der Bucht dahinter sind wir sicher wie in Abrahams Schoß.“
„Aye, aye! Ich entere mal in den Großmars. Wenn wir Glück haben, können wir die Einfahrt mit halbem Wind anliegen.“
Der Seewolf nickte nur.
Bei diesem Windchen war es keine Kleinigkeit, in den Ausguck zu entern, aber Dan O’Flynn wußte, was er tat. Er hatte immer noch die schärfsten Augen der Crew. Daran würde sich wohl auch so schnell nichts ändern, obwohl sich Dan sonst in jeder Beziehung gemausert hatte und überhaupt nicht mehr an das Bürschchen von früher erinnerte.
Geschickt wie eine Katze enterte er in die Wanten und schwang sich über die Segeltuchverkleidung der Plattform.
Er hatte das Spektiv mitgenommen und hakte einen Arm fest um den Mast, der sich bei jedem Wellenberg bedrohlich verneigte. Der Sturm pfiff und sauste, ein paar Männer blickten besorgt nach oben. Inzwischen bedeckten die dunklen, tiefhängenden Wolken fast den ganzen Himmel. Wie sie so dahinjagten, sah es aus, als würden sie jeden Augenblick an den Mastspitzen hängenbleiben. Dan wurde kräftig durchgerüttet. Doch nach einer Weile übertönte seine Stimme das Brausen.
„Hatchet-Cliff Backbord voraus. Genau drei Strich vorlicher als dwars!“
„Runter mit dir!“ rief Hasard. „An die Brassen! Anluven! Wir werden die Bucht mit halbem Wind anliegen!“
Die Rahen knirschten, als sie dichter geholt wurden, die „Isabella“ schwang nach Backbord herum.
Dan O’Flynn war schon vor dem Manöver abgeentert. Er hielt sich an einem der Manntaue fest und prüfte aus schmalen Augen das Rigg, das unter den Böen ächzte. Ein schwerer Brecher klatschte gegen die Bordwand, die „Isabella“ holte nach Steuerbord über – und im nächsten Moment gellte Dans Stimme über die Kuhl.
„Wahrschau! Die Rah!“
Krachend sauste die Großmarsrah mitsamt dem aufgegeiten Segel nach unten.
Stage brachen und pfiffen wie Peitschenschnüre durch die Luft. Die Männer spritzten blitzartig auseinander. Ed Carberry, Ferris Tukker und ein halbes Dutzend anderer fluchten um die Wette, und diesmal beteiligte sich sogar der immer ruhige Ben Brighton daran.
„Über Bord mit dem Zeug!“ kommandierte Hasard. Die zerbrochene Rah war ohnehin zu nichts mehr zu gebrauchen. „Himmelarsch, kappt das verdammte Fall, bevor der ganze Mast zu Bruch geht!“
Smoky und Ferris Tucker stürzten sich mit Enterbeilen auf das wirre Tauwerk, das verdächtig an der Großrah zerrte. Wieder gab es einen scharfen, peitschenartigen Knall, dann konnten die Männer die Trümmer in die Tiefe fahren lassen. Leewärts, wohlweislich. Die „Isabella“ wäre nicht das erste Schiff gewesen, das sich auf diese Weise im Sturm selbst leckgeschlagen hätte.
Minuten später konnte Hasard auch mit bloßem Auge die Klippe erkennen, die in ihrer Form tatsächlich an die Klinge einer Axt erinnerte.
Die Einfahrt der Bucht war breit genug. Hasard kannte das Gebiet und wußte, daß es keine gefährlichen Untiefen gab. Wie ein windzerzauster Schwan rauschte die „Isabella“ auf den dunklen Einschnitt zu. Fock und Besan wurden weggefiert, kaum daß sie die Einfahrt passiert hatten, und mit der letzten Fahrt lief die Galeone in die Bucht, wo sie vor dem immer wütender von Nordwesten heranheulenden Sturm geschützt war.
Der Anker faßte Grund, die „Isabella“ sackte leicht achteraus und schwoite um die Trosse. Vorsichtshalber ließ der Seewolf zusätzlich den zweiten Buganker ausbringen. Minuten später lag die Galeone tatsächlich sicher wie in Abrahams Schoß, und Ben Brighton wischte sich aufatmend den Schweiß von der Stirn.
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