Lorenzo zuckte zusammen wegen der Beleidigung seines Landsmanns. Aber im Augenblick interessierte ihn mehr, was der rothaarige Banditenhäuptling inzwischen ausgebrütet hatte. Red Fox Killarney war ein Lump, ein geldgieriger Halunke, vielleicht sogar ein Verräter an der spanischen und irischen Sache, aber er war auch clever, gerissen und ungemein hartnäckig, wenn es galt, ein einmal gestecktes Ziel zu verfolgen.
„Sicher“, erwiderte Lorenzo gedehnt. „Das ließe sich hinkriegen. Aber wie wollen wir einen Logger auftreiben? Weder ihr noch wir können uns hier an der Küste offen sehen lassen.“
Red Fox blickte aus schmalen Augen auf die kochende See hinaus. Er mußte immer noch schreien, der Sturm würde so schnell wohl auch nicht abflauen. Aber das paßte im Grunde ganz gut in Killarneys Pläne.
„Die ‚Isabella‘ hat sich bei dem Wetter garantiert in eine geschützte Bucht verholt“, sagte er. „Wenn wir uns Pferde und Wagen beschaffen, könnten wir verdammt schnell die Insel Wight erreichen. Wir haben Freunde dort. Strandräuber – Leute, die nicht viele Fragen stellen, wenn es was zu holen gibt. Und der Sturm verschafft uns einen Vorsprung.“
„Einen Vorsprung wozu?“ fragte der Spanier mit zusammengekniffenen Augen.
Killarney grinste.
„Einen Vorsprung, um eine perfekte Falle zu bauen“, sagte er. „Wir erwischen die ‚Isabella‘ doch noch! Und du und deine Freunde – ihr werdet euch rühmen können, El Lobo del Mar gefangengenommen zu haben.“
Der Sturm tobte den ganzen Tag und die halbe Nacht und flaute dann so plötzlich ab, als sei ihm die Luft ausgegangen.
In der Bucht hatte er der „Isabella“ nichts anhaben können. Längst waren eine neue Großmarsrah geriggt und die restlichen Schäden behoben worden. Ferris Tucker strich wie ein grollender Geist durchs Schiff, kontrollierte jede Luke, jede Planke und jeden Augbolzen. Al Conroy, der Stückmeister, prüfte mit der gleichen Gründlichkeit den Zustand der Geschütze. Ed Carberry fluchte mal wieder das Blaue vom Himmel, aber der einzige, der wirklich Grund zum Jammern hatte, war der Kutscher, der in seiner eigenen Kombüse fast einen Salto geschlagen und dabei ein Mehlsäckchen beschädigt hatte.
Jetzt sahen Kutscher und Kombüse wie gepudert aus, und zum Schaden hatte der Koch und Feldscher der „Isabella“ natürlich auch noch den Spott, letzteren in reichem Maße. Der Profos lüftete Blacky, Smoky und Bill an, um den „verdammten Saustall“ aufzuräumen. Die Zwillinge beteiligten sich an der Aktion, und der Kutscher, gerührt ob dieses freiwilligen Einsatzes, ließ sie besonders tief in den Sack mit den getrockneten Weinbeeren greifen, was für die beiden ja auch der Sinn der Übung gewesen war.
Früh am Morgen ging die „Isabella“ ankerauf und segelte aus der Bucht.
Der Wind war kein Wind mehr, sondern höchstens ein lächerliches Säuseln, aber da er raumschots einfiel, liefen sie trotzdem Fahrt. Bill kauerte im Großmars, suchte die Kimm ab und beobachtete die grüne, hügelige Küste. Der Himmel war klar bis auf ein paar weiße Schönwetter-Wolken, die Sonne strahlte, und die starke Dünung, die der Sturm zurückgelassen hatte, glänzte wie mit großen, gleißenden Flecken von Quecksilber besät.
Bill mußte zweimal hinschauen, ehe er die Umrisse des treibenden Bootes erkannte.
Eine Nußschale von Kahn. Eher noch das Beiboot eines Fischerei-Loggers, der mit ein paar Mann Besatzung auskam. Eines Loggers, der im Sturm gekentert sein mußte, wie sich Bill klarmachte.
„Deck!“ rief er. „Boot steuerbord querab! Treibt genau auf uns zu und – verdammt, da liegt einer drin!“
„Wirst du wohl das Fluchen lassen, zum Teufel!“ schrie Carberry mit Stentorstimme.
„Ja, ver …“ Bill schluckte den Rest, weil ihm einfiel, daß er schließlich irgendwann wieder abentern mußte. „Ein Schiffbrüchiger, glaube ich“, meldete er. „Muß wohl zu einem Logger gehören, den der Sturm umgelegt hat.“
Inzwischen war das Boot auch vom Achterkastell aus zu sehen.
Hasard kniff die Augen zusammen, aber die reglose Gestalt in der Nußschale konnte er erst Minuten später erkennen. Ein Mann, der bäuchlings über der Ducht zusammengebrochen war. Die Riemen hatte er verloren. Wenn er sich tatsächlich von einem sinkenden Logger gerettet hatte, dann mußte er schon seit Stunden so treiben: zuerst in der kochenden See und jetzt in der immer noch bedrohlich steilen Dünung – bedrohlich jedenfalls für diese Nußschale, bei der es an ein Wunder grenzte, daß sie nicht längst quergeschlagen und gekentert war.
„Beiboot klarmachen!“ befahl Hasard. „Ferris, Batuti, Blacky, Luke! Backbrassen die Rahen! Wir drehen bei!“
„Könnte das ein Spanier sein?“ fragte Ben Brighton neben ihm. „Jemand von den beiden Galeonen, die wir auf Tiefe geschickt haben?“
Hasard kniff die Augen zusammen. „Glaube ich nicht! Erstens könnte er nach menschlichem Ermessen nicht mehr hier herumschwimmen, zweitens kann ich mir nicht vorstellen, daß die Spanier ein so kleines Beiboot an Bord hatten.“
„Stimmt auch wieder. Wahrscheinlich hat Bill recht – irgendein Logger, der im Sturm gekentert ist.“
Die „Isabella“ hatte an Fahrt verloren, jetzt wurden die Segel aufgegeit, die an den gegengebraßten Rahen killten. Ferris Tucker, Blacky, Luke Morgan und Batuti, der hünenhafte Gambia-Neger, schwenkten das Beiboot aus und fierten es ab, bis der Kiel aufs Wasser klatschte.
Inzwischen waren auch die Zwillinge und der Kutscher aus der Kombüse aufgetaucht. Philip und Hasard kauten mit vollen Backen. Der Kutscher hielt eine Bratpfanne in der Hand, an der noch etwas Mehl haftete – dieselbe Bratpfanne, mit der er bei dem Kampf in Plymouth um sich geschlagen hatte.
Bei diesem Kampf hatte er endlich mal so gekonnt, wie er wollte, da hatten sie jede Hand gebraucht und ihm nicht mit dem Argument kommen können, daß sich der Feldscher, der die Verwundeten zu behandeln hatte, gefälligst aus der Schußlinie heraushalten müsse. Und eine solide eiserne Bratpfanne konnte es durchaus mit jeder anderen Waffe aufnehmen. Es war schon eine Schande, daß ihm anschließend dieses Mißgeschick mit dem Mehlsack hatte passieren müssen.
Ziemlich trübsinnig sah er zu, wie das Beiboot ablegte und die Männer auf die treibende Nußschale zupullten.
Die Zwillinge enterten in die Steuerbord-Wanten, wo bereits der Schimpanse Arwenack auf einer Webleine schaukelte. Er empfing ein paar getrocknete Weinbeeren, die ihm genauso gut schmeckten, wie den beiden Jungen, was Sir John, den roten Ara-Papagei, dazu veranlaßte, ziemlich ungehalten über ihren Köpfen herumzuflattern und sie in bester Carberry-Manier als Rübenschweine und Nachkommen triefäugiger Wassermänner zu beschimpfen.
Das Beiboot der „Isabella“ hatte inzwischen den treibenden Kahn erreicht und wendete.
Luke Morgan setzte in die Nußschale über, um die Vorleine wahrzunehmen und zu belegen. Das kleinere Boot wurde in Schlepp genommen: kein Problem für Ferris Tucker und Batuti mit ihren muskelbepackten Hünengestalten. Luke Morgan kauerte auf der Ducht und hob vorsichtig den Kopf des Mannes an. Bewußtlos war der Schiffbrüchige nicht. Er stöhnte leise, seine Augen flackerten. Unverständliche Laute drangen über seine Lippen, und Luke klopfte ihm beruhigend auf den Rücken.
„Ist ja schon gut, Junge! Gleich hast du’s überstanden. Ein verdammter Don bist du nicht, eh?“
Wieder bestand die Antwort aus unverständlichen Lauten. Aber es waren immerhin englisch klingende Laute, und auch Luke Morgan begrub den Verdacht, daß es sich bei dem Mann um einen Überlebenden von der „Marguerite“ oder der „Navarre“ handeln könne.
Einen Unterschied hätte es ohnehin nicht bedeutet.
Die Seewölfe kämpften für ihr Land, aber sie kämpften nicht gegen Wehrlose oder Gegner, die sich bereits ergeben hatten. Wenn ein Mensch in Not war und Hilfe brauchte, spielte es keine Rolle, ob er Engländer, Spanier oder was auch immer war. Und inzwischen gab es schon so manchen „verdammten Don“, der die Gerüchte über die angeblich so blutrünstigen Seewölfe nicht mehr glaubte, weil er es besser wußte.
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