„Möchte wissen, ob die Dons es noch vor dem Sturm bis zur Küste geschafft haben“, meinte er nachdenklich.
Hasard zuckte mit den Schultern. Die Spanier hatten ihnen Patrick „Red Fox“ Killarney auf den Hals gehetzt, den Banditenführer und ehemaligen irischen Rebellen. Immerhin bewies diese Tatsache, daß der Bursche über Kontakte zu irgendwelchen Agenten Seiner Allerkatholischsten Majestät verfügte. Die beiden spanischen Galeonen waren in die Tiefe gefahren, die Besatzungen hatten sich zum größten Teil in die Boote retten können. Und auch die Banditen, die an Bord gewesen waren – wohl um die Spanier bei dem geplanten Enterkampf zu unterstützen. Der Seewolf glaubte noch vor sich zu sehen, wie der große, knochige Mann mit dem brandroten Haarschopf im Bug eines Bootes gestanden und die Fäuste geschüttelt hatte. Was er schrie, war nicht zu verstehen gewesen, aber Hasard konnte sich denken, daß es sich um eine wüste Verwünschung gehandelt hatte.
„Mit etwas Glück dürften sie es geschafft haben“, sagte er gedehnt. Und nach einer Pause: „Dieser Rotkopf ist von der zähen Sorte. Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir dem Burschen nicht zum letztenmal begegnet sind.“
„Madonna!“ kreischte der spanische Capitan entsetzt.
Das Tosen des Sturms übertönte seine Stimme. Die heranrollende Woge packte das quergeschlagene Boot, hob es hoch in die Luft und schleuderte es krachend auf die scharfkantige Klippe. Menschen schrien, das Bersten und Splittern der Planken mischte sich mit dem Tosen der Elemente. Die Küste war ein kompakter Schatten zwischen dem aufgewühlten Meer und den jagenden Wolken, gesäumt von der fahlen Linie des Strandes, wo gerade die ersten Überlebenden an Land wateten.
„Hart Steuerbord!“ brüllte Patrick Red Fox Killarney, der sein Boot bisher mit Geschick und Instinkt vor größerem Schaden bewahrt hatte. Er bediente die Pinne, beobachtete die Wellenberge, die den kleinen Kahn immer wieder in schwindelerregende Höhen trugen und steil abstürzen ließen, und starrte erbittert zu dem weißen, schäumenden Brandungsstreifen hinüber. Wenn sie nicht vorher einen Brecher erwischten oder querschlugen, würde es sie wohl glücklich auf den Strand werfen. Red Fox schauerte bei dem Gedanken an das zerschmetterte Boot. Zwecklos, irgendwelche Überlebenden aus der kochenden See fischen zu wollen. Sie konnten von Glück sagen, wenn sie es selbst bis zur Küste schafften.
Die verdammten Spanier hatten nicht glauben wollen, daß sich da ein Unwetter zusammenbraute. Statt sich wie die Besessenen in die Riemen zu legen, hatten sie einen gemütlichen Rundschlag gepullt, und Red Fox Killarney konnte nichts gegen die Sturheit der Offiziere ausrichten, da seine eigenen Leute in den verschiedenen Booten verteilt waren.
Jetzt hockte der Erste der „Navarre“ bleich wie ein Laken auf der Ducht und überließ dem rothaarigen Banditen das Kommando, weil er eingesehen hatte, daß der zumindest die Küstengewässer von Plymouth besser kannte.
„Brecher achteraus!“ schrie einer der Männer hysterisch.
„Pullt!“ brüllte Red Fox. „Schneller, wenn euch euer Leben lieb ist! Hool weg! Hoool weg …“
Das Donnern des Brechers verschluckte seine Worte, schäumend und kochend rauschte es unter dem Bootskiel durch. Der Kahn tanzte wie eine Nußschale unter einem Wasserfall, wurde von der nächsten Woge gepackt und emporgehoben, aber irgendwie schafften sie es auch diesmal, vor dem Wind zu bleiben und nicht quer zwischen die Wellenberge zu geraten, was unweigerlich zum Kentern geführt hätte.
Minuten später gerieten sie in den Brandungsbereich, wurden von Urgewalten gepackt und vorwärts gewirbelt. Aber sie landeten auf Sand, zerschellten nicht zwischen den Klippen, und die Männer brauchten nur noch wenige Schritte durch das kochende Wasser zu waten, um den Strand zu erreichen.
Taumelnd und stolpernd hasteten sie zu den anderen hinüber, die sich im Schutz von Klippen und dicken, rundgewaschenen Felsblöcken zusammendrängten.
Das letzte Boot schaffte es ebenfalls bis zum Strand. Der spanische Capitan, der die gesunkene „Marguerite“ befehligt hatte, war bleich wie ein Laken. Wut ließ seine Zähne knirschen und seine schwarzen Augen flackern. Er hatte den ehrgeizigen Plan gehabt, die „Isabella“ zu kapern und den legendären Seewolf gefangenzunehmen – El Lobo del Mar, wie man ihn in Spanien nannte. Jetzt ruhten die „Marguerite“ und die „Navarre“ auf dem Meeresgrund. Männer waren gestorben, die Überlebenden an der Küste des feindlichen England gestrandet. Und den Schuldigen, diesen verdammten rothaarigen Iren, durften sie nicht einmal zur Hölle schicken, weil er der einzige war, der ihnen in dieser prekären Lage noch weiterhelfen konnte.
Red Fox Killarney lehnte zusammengekauert an einer der Klippen.
Auch in seinen Augen glomm die Wut wie ein Feuer. Er begriff das einfach nicht. Schon wieder hatte er eine Niederlage einstecken müssen und nur mit Mühe und Not seine Haut gerettet. Seit er den Plan gefaßt hatte, sich die Reichtümer im Bauch der „Isabella“ unter den Nagel zu reißen, hatte es überhaupt nur Niederlagen gegeben. Zuerst der Plan, die Galeone zu überfallen, während der Seewolf mit seinen Leuten unterwegs war, um die vier Männer zu befreien, die die Banditen gefangengenommen hatten. Nicht genug damit, daß die neun Männer auf der „Isabella“ mit der zweifachen Übermacht der Banditen regelrecht Ball gespielt hatten – auch die Gefangenen hatten sich befreien können, obwohl sie eigens in ein neues Versteck gebracht worden waren. Während Red Fox mit den spanischen Agenten sprach, waren seine Leute auf die zweite Hälfte der Seewölfe gestoßen und hatten prompt die zweite vernichtende Niederlage eingesteckt. Und als Killarney erschienen war und, rasend vor Wut, Philip Hasard Killigrew zum Duell gefordert hatte, war der Banditenhäuptling so sang- und klanglos untergegangen, daß er immer noch nicht begriff, wie das hatte geschehen können.
Die Flüche des spanischen Capitans unterbrachen seine Gedanken.
Killarney biß die Zähne zusammen. Am liebsten hätte er den Kerl einfach niedergeschlagen, aber er brauchte ihn noch.
„Eure eigene Schuld, Amigo“, knurrte der Banditenhäuptling gallig. „Ich habe euch gewarnt. Ich habe euch den Rat gegeben, auf Verstärkung zu warten, um die Galeone mit mehr als nur zwei Schiffen anzugreifen …“
„Gewarnt! Gewarnt! Ist der Kerl vielleicht ein Übermensch, daß man einen ganzen Verband braucht, um ihn zu vernichten?“
„Ihr habt ihn jedenfalls unterschätzt. Ich habe euch gesagt, daß diese Männer wie die leibhaftigen Teufel kämpfen …“
Killarney ballte die Hände, weil die Bilder des Kampfes auf der „Isabella“ wieder vor seinen Augen auftauchten.
Man hatte sie abfahren lassen wie dumme Jungen und sie einfach so lange immer wieder ins Wasser befördert, bis sie hatten aufgeben müssen. Mit einer Bratpfanne waren sie verprügelt worden, mit einem Holzbein getreten, mit einer Lieknadel gepikt, als ob das alles nichts weiter als ein amüsantes Feierabend-Vergnügen gewesen wäre. Sogar ein Affe hatte mitgemischt. Dann waren da noch die beiden Jungen gewesen, die aus der Kombüse mit Kokosnüssen geworfen hatten – Zwillinge. Knirpse, die sich wie ein Ei dem anderen glichen, die das gleiche schwarze Haar und die gleichen eisblauen Augen hatten wie der Seewolf.
An dieser Stelle stockten Killarneys Gedanken.
Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. Er sah sich um, entdeckte den spanischen Agenten mit dem Namen Lorenzo unter den nassen, frierenden Männern und kämpfte sich schräg gegen den Wind zu ihm hinüber.
„Schöne Bescherung, die du uns da eingebrockt hast!“ begrüßte ihn der Spanier.
„Eure eigene Schuld!“ Killarney mußte schreien, um den Sturm zu übertönen. „Hör zu, Lorenzo! Könntet ihr es schaffen, mit einem Logger oder irgendeinem anderen Kahn den Verband zu erreichen, von dem dieser blöde Hund von Capitan gesprochen hat?“
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