Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-385-5
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
„Die Tante läuft einfach nicht mehr richtig“, stellte Ferris Tucker, der hünenhafte Schiffszimmermann, nun schon zum wiederholten Male fest. Aus zusammengekniffenen Augen blickte er vom Vorderkastell auf die schäumende Bugwelle, die die „Isabella VIII.“ vor sich herschob, und die so aussah wie ein weißer wallender Bart.
Smoky, der Decksälteste, hielt sich die Ohren zu.
„Mann, Ferris“, stöhnte er, „ich kann das bald nicht mehr hören. Du sagst es jeden Tag zehnmal. Klar, wir haben bei dem Gefecht den Besan eingebüßt, und jetzt ist er nur noch ein Stumpf, an dem sich höchstens noch die Hemden zum Trocknen aufhängen lassen. Aber ich kann doch schließlich auch nichts dafür, oder?“
„Irgendwer hat immer die Schuld“, murmelte Tucker. Er wandte Smoky sein breites Kreuz zu und ging vom Vorkastell in die Kuhl hinunter, um dort dem nächstbesten zu verkünden, daß die „Tante“, wie er den ranken Rahsegler liebevoll nannte, kaum noch Fahrt liefe.
Aber den Spruch kannten seit Tagen alle, und sie kannten auch Ferris’ schlechte Laune deswegen.
Hasard sah den Zimmermann auf sich zukommen. Sein Gesicht war ernst und verschlossen. Der Seewolf war in der letzten Zeit von harten Schicksalsschlägen heimgesucht worden. Er dachte nicht gern an die letzte Zeit zurück. Gwen, seine Frau, war tot. Sein Vater Godefroy von Manteuffel war hinterrücks von dem Spanier De Coria ermordet worden, ausgerechnet in dem Augenblick, als er ihn endlich gefunden hatte. Seine Kinder, die beiden Zwillinge Hasard und Philip, waren verschwunden. Buck Buchanan war tot. Als er sich rettend vor den Seewolf gestellt hatte, war er von De Coria erschossen worden.
Da war dieser zerschossene Besanmast eine Bagatelle.
Doch das Leben ging weiter, und Hasard blieb nichts anderes übrig, als sich mit seinem Schicksal abzufinden, so hart es auch war. Das hatte ihn reifen lassen, und in seinem dunkelbraunen Gesicht erschien jetzt auch kaum noch ein Lächeln.
Tucker blickte in die eisblauen Augen und räusperte sich. Er gab sich dem Seewolf gegenüber betont gleichmütig und ließ sich vor allem nicht anmerken, daß es ihm jetzt vordringlich um den zerfetzten Besanmast ging. Nur seine Augen waren vorwurfsvoll und betrübt auf den traurigen Stumpf des ehemaligen Mastes gerichtet.
Hasard bemerkte den Blick. Er spürte die innere Unruhe, mit der Ferris wie ein bettelnder Köter auf und ab schlich – und mußte ihm schließlich recht geben.
Klar, sie benötigten dringend einen neuen Besan. Solange das Wetter gut war, konnte nicht viel passieren. Gab es aber einmal Schlechtwetter oder harten Sturm, dann konnte die Lage für sie alle schnell kritisch werden.
Die schmalen Lippen des Seewolfs verzogen sich flüchtig. Es war kein Lächeln, es deutete lediglich ein Verstehen an, doch er sagte nichts.
Tucker räusperte sich lautstark. Betont gleichgültig sah er dann in den Himmel, an dem leichte Wolken entlangzogen. Man sah am Horizont die Küste von Syrien, wo sich schwach die Umrisse weißer Moscheen abzeichneten. Dazwischen kreuzten ein paar kleinere Segler, Kaikis, eine Dau und dicht unter Land eine Karavelle. Die „Isabella“ selbst fuhr Schlabbertörn, sie lief platt vor dem Wind her.
Wieder bemerkte Hasard den vorwurfsvollen Blick zum zerfetzten Besan, und diesmal stahl sich ein flüchtiges Lächeln auf sein Gesicht.
„Fehlt dir etwas, Ferris?“ fragte der Seewolf.
In Tuckers Augen glomm Hoffnung auf. Er kam näher aufs Achterdeck und zeigte anklagend auf den Stumpf des Besans.
„So geht das nicht mehr weiter, Hasard“, sagte er. „Ohne Besan ist das Schiff nur ein halbes Schiff. Sobald sich das Wetter ändert, kriegen wir Schwierigkeiten und Ärger.“
„Ich weiß. Wir werden irgendwo eine einsame Bucht anlaufen, eine Zeder fällen und daraus einen neuen Besan bauen. Das abgebrochene Ding ist mir schon lange ein Dorn im Auge.“
Tucker atmete erleichtert auf.
„Und wann laufen wir eine Bucht an?“
„So bald es geht.“
„Du willst erst den Malteserschatz heben?“
„Noch weiß ich gar nicht, wo sich dieser Schatz befindet, Ferris. Nein, erst zimmern wir einen neuen Mast, danach werden wir uns um den Schatz kümmern.“
Hasards Stirn umwölkte sich, wenn er an die letzten Worte seines sterbenden Vaters dachte. Er hatte kein einziges der Worte vergessen, die der sterbende Mann gesagt hatte.
„Ich weiß, wo der Schatz des Malteserordens liegt“, hatte sein Vater geflüstert, „die Kriegskasse – ich weiß, daß sie existiert, irgendwo – im Mittelmeergebiet – und du, mein Sohn, du – mußt sie suchen und finden.“
Das und noch ein paar andere Sätze waren seine letzten Worte gewesen, die jetzt wieder in Hasard nachhallten.
Sie befanden sich schon auf der Suche nach diesem Malteserschatz, aber sie hatten nur ganz vage Anhaltspunkte, genauer gesagt, so gut wie keine.
Doch jetzt ging erst einmal die Sicherheit der Mannschaft und des Schiffes vor.
Die Küste verschwand langsam und wurde zu einem flirrenden Strich fern am Horizont.
Tucker war zufrieden und teilte seine Zufriedenheit der ganzen Crew mit, indem er grinsend an Deck herumschlich. Ja, bald schon würden sie einen neuen Mast haben, das Lateinersegel hochziehen und wieder gute Fahrt laufen können.
Doch es kam anders, als die meisten sich das vorgestellt hatten.
Gegen Mittag hallte Dans Ruf aus dem Großmars. Zwei Gesichter lugten aus luftiger Höhe hinter der Segeltuchverspannung hervor. Das eine gehörte Dan O’Flynn, das andere dem Schimpansen Arwenack.
„Guckt mal, wie die beiden Affen sich ähneln“, sagte Blacky laut lachend und wies mit der Hand nach oben. „Die werden sich jeden Tag ähnlicher, und bald schon wird sie keiner mehr auseinander halten können. Ruft man einen, dann kreuzen prompt alle beide auf.“
Blacky wollte sich ausschütten vor Lachen, und auch die anderen stimmten ein, denn wenn es etwas zu hänseln gab, brachte das Abwechslung, und die wollte sich niemand entgehen lassen.
Dan O’Flynn schwoll in solchen Situationen auch immer sofort der Kamm, doch diesmal ließ er die Hänseleien verachtungsvoll über sich ergehen und ignorierte sie.
„Karavelle Backbord voraus!“ schrie er zum Deck hinunter. „Könnte einer dieser verdammten Piraten sein!“
Hasard hob die Hand, zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Er war von Piraten gründlich bedient. Uluch Ali war ihm noch unangenehm in Erinnerung und auch die anderen, die sie immer wieder gejagt hatten.
Er schob das Spektiv auseinander und blickte in die von Dan angegebene Richtung.
Mit dem Auge war kaum etwas zu sehen, dazu mußte man schon die Adleraugen eines Dan O’Flynn haben. Aber das Spektiv holte die Karavelle deutlicher heran.
Backbord voraus lief eine zweimastige Karavelle auf Parallelkurs. Sie lief unter wenig Zeug, obwohl der Wind handig wehte. Bei diesem Wetter hätte sie alle Segel setzen können.
Hasard reichte das Spektiv an Ben Brighton, der vergeblich versuchte, mit dem bloßen Auge nähere Einzelheiten zu erkennen. Auch er blickte angestrengt hindurch, ehe er den Kieker wieder zusammenschob.
„Nun – was hältst du davon?“ fragte der Seewolf. Er lehnte mit dem Ellenbogen auf dem Holz der Schmuckbalustrade.
„Anscheinend Piraten“, erwiderte Ben. „Und ich habe das Gefühl, als hätten sie uns längst entdeckt. Daher werden sie auch Segel weggenommen haben.“
„Ganz richtig, das sind auch meine Gedanken, Ben. Sie warten ab, bis wir auf gleicher Höhe sind, und dann wollen sie uns Zunder geben.“
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